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61 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

†) Es ist sehr sonderbar, daß der Verf. diese Gewohnheit, die er doch hier selbst für unschädlich erklärt, viehisch nennt. E.


62 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Da es ohne Zweifel den meisten Lesern unangenehm würde gewesen seyn, wennich ihre Lectüre zu oft und durch sehr lange Anmerkungen unterbrochen hätte; so habe ich es für besser gehalten, meine Meynung über gewisse Behauptungen des Verfassers dieser neuen Auflage der Uebersetzung als einen Anhang beyzufügen. Um aber das Buch nicht ohne Noth zu sehr zu vergrössern, werde ich nicht jede sonderbare Meynung des Verfaßers einer Prüfung unterwerfen, zumal da ich Leser voraussetzen kann, denen die Beurtheilung mancher Grillen des Herrn Huartes keine grosse Schwierigkeit machen wird, sondern mich vorzüglich nur bey solchen Sätzen aufhalten, die etwas scheinbares haben, und worauf Huarte eine Menge anderer Sätze und Vorschriften gründet. Die Regeln selbst, welche der Verfasser zur Prüfung der Fähigkeiten giebt, leiden zwar mancherley Zusätze; allein diese findet der Leser schon in der bereits oben angeführten vortreflichen Abhandlung des Hrn. Prof. Garve, welche nicht nur in dem achten Bande derNeuen Bibliothek der schönen Wissenschaften und freyen Künste, sondern auch in der 1779 besonders gedruckten Sammlung einiger Abhandlungen aus der Neuen Bibliothek stehet. Wenn man diese Abhandlung mit der gegenwärtigen Schrift des Huarte verbindet, so wird man gewiß in Ansehung der Hauptsache keine weitern Zusätze verlangen können.


63 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Da es ohne Zweifel den meisten Lesern unangenehm würde gewesen seyn, wennich ihre Lectüre zu oft und durch sehr lange Anmerkungen unterbrochen hätte; so habe ich es für besser gehalten, meine Meynung über gewisse Behauptungen des Verfassers dieser neuen Auflage der Uebersetzung als einen Anhang beyzufügen. Um aber das Buch nicht ohne Noth zu sehr zu vergrössern, werde ich nicht jede sonderbare Meynung des Verfaßers einer Prüfung unterwerfen, zumal da ich Leser voraussetzen kann, denen die Beurtheilung mancher Grillen des Herrn Huartes keine grosse Schwierigkeit machen wird, sondern mich vorzüglich nur bey solchen Sätzen aufhalten, die etwas scheinbares haben, und worauf Huarte eine Menge anderer Sätze und Vorschriften gründet. Die Regeln selbst, welche der Verfasser zur Prüfung der Fähigkeiten giebt, leiden zwar mancherley Zusätze; allein diese findet der Leser schon in der bereits oben angeführten vortreflichen Abhandlung des Hrn. Prof. Garve, welche nicht nur in dem achten Bande derNeuen Bibliothek der schönen Wissenschaften und freyen Künste, sondern auch in der 1779 besonders gedruckten Sammlung einiger Abhandlungen aus der Neuen Bibliothek stehet. Wenn man diese Abhandlung mit der gegenwärtigen Schrift des Huarte verbindet, so wird man gewiß in Ansehung der Hauptsache keine weitern Zusätze verlangen können.


64 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Da es ohne Zweifel den meisten Lesern unangenehm würde gewesen seyn, wennich ihre Lectüre zu oft und durch sehr lange Anmerkungen unterbrochen hätte; so habe ich es für besser gehalten, meine Meynung über gewisse Behauptungen des Verfassers dieser neuen Auflage der Uebersetzung als einen Anhang beyzufügen. Um aber das Buch nicht ohne Noth zu sehr zu vergrössern, werde ich nicht jede sonderbare Meynung des Verfaßers einer Prüfung unterwerfen, zumal da ich Leser voraussetzen kann, denen die Beurtheilung mancher Grillen des Herrn Huartes keine grosse Schwierigkeit machen wird, sondern mich vorzüglich nur bey solchen Sätzen aufhalten, die etwas scheinbares haben, und worauf Huarte eine Menge anderer Sätze und Vorschriften gründet. Die Regeln selbst, welche der Verfasser zur Prüfung der Fähigkeiten giebt, leiden zwar mancherley Zusätze; allein diese findet der Leser schon in der bereits oben angeführten vortreflichen Abhandlung des Hrn. Prof. Garve, welche nicht nur in dem achten Bande derNeuen Bibliothek der schönen Wissenschaften und freyen Künste, sondern auch in der 1779 besonders gedruckten Sammlung einiger Abhandlungen aus der Neuen Bibliothek stehet. Wenn man diese Abhandlung mit der gegenwärtigen Schrift des Huarte verbindet, so wird man gewiß in Ansehung der Hauptsache keine weitern Zusätze verlangen können.


65 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Da es ohne Zweifel den meisten Lesern unangenehm würde gewesen seyn, wennich ihre Lectüre zu oft und durch sehr lange Anmerkungen unterbrochen hätte; so habe ich es für besser gehalten, meine Meynung über gewisse Behauptungen des Verfassers dieser neuen Auflage der Uebersetzung als einen Anhang beyzufügen. Um aber das Buch nicht ohne Noth zu sehr zu vergrössern, werde ich nicht jede sonderbare Meynung des Verfaßers einer Prüfung unterwerfen, zumal da ich Leser voraussetzen kann, denen die Beurtheilung mancher Grillen des Herrn Huartes keine grosse Schwierigkeit machen wird, sondern mich vorzüglich nur bey solchen Sätzen aufhalten, die etwas scheinbares haben, und worauf Huarte eine Menge anderer Sätze und Vorschriften gründet. Die Regeln selbst, welche der Verfasser zur Prüfung der Fähigkeiten giebt, leiden zwar mancherley Zusätze; allein diese findet der Leser schon in der bereits oben angeführten vortreflichen Abhandlung des Hrn. Prof. Garve, welche nicht nur in dem achten Bande derNeuen Bibliothek der schönen Wissenschaften und freyen Künste, sondern auch in der 1779 besonders gedruckten Sammlung einiger Abhandlungen aus der Neuen Bibliothek stehet. Wenn man diese Abhandlung mit der gegenwärtigen Schrift des Huarte verbindet, so wird man gewiß in Ansehung der Hauptsache keine weitern Zusätze verlangen können.


66 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Jch mache also den Anfang mit den Grundsätzen des Verfassers, auf welche er sich viel zu gute zu thun scheint, indem er sie S. 2. nicht nur vollkommen richtig nennt, sondern noch überdieses dafür hält, daß sie wegen ihrer Neuheit die Bewunderung des Lesers verdienen. Diese Grundsätze nämlich sind kürzlich folgende.


67 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Der Verfasser gesteht es selbst, daß diese Sätze hart klingen; doch setzt erzur Beruhigung seiner Leser hinzu, daß viele andere Sachen, die man gleichwohl nicht in Zweifel ziehen oder verwerfen dürfte, noch schwerer zu begreifen wären.Jch will nunmehr diese drey Sätze kürzlich durchgehen und sowohl das Wahre, als auch

das Falsche, was sie enthalten, meinen Lesern vor Augen stellen.


68 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Um diese Frage gehörig beantworten, und den Grundsatz des Herrn Huarte unpartheyisch prüfen zu können, müssen wir uns vor allen Dingen um den eigentlichen Sinn dieses Grundsatzes bekümmern, der anfänglich mehr wahres zu enthalten scheint, als man hernach findet, wenn man sich durch das Folgende die Meynung desVerfassers genauer bekannt gemacht hat. Denn erstlich ist aus dem fünften Hauptstücke klar, daß er drey Hauptfähigkeiten des menschlichen Genies annimmt, nämlich Gedächtniß, Einbildungskraft und Verstand, von denen er aber, so wie von vielen andern nöthigen Dingen, nirgends eine ordentliche Erklärung gegeben hat. Diese drey Kräfte des menschlichen Geistes, welche in dieser Schrift auch oft Gattungen oder Verschiedenheiten des Genies genannt werden, leitet er aus den drey Hauptbeschaffenheiten, nämlich aus der Wärme, Feuchtigkeit und Trockenheit des Gehirns her, aus deren verschiedenen Graden und Verhältnissen wiederum, nach seiner Meynung, allerhand Verschiedenheiten einer jeden Gattung des Genies entstehen. Von der Wärme soll die Einbildungskraft, von der Feuchtigkeit das Gedächtniß, und von der Trockenheit des Gehirns der Verstand abhängen. Weil nun das Gehirn unmöglich zu gleicher Zeit in einem hohen Grade trocken und auch in einem hohen Grade feucht seyn kann; so schließt er S. 105 hieraus, daß der Verstand und das Gedächtniß ganz entgegengesetzte und widrige Fähigkeiten seyn müßten, so daß derjenige, der ein starkes Gedächtniß hat, keinen grossen Verstand, und wiederum ein mit vielem Verstande begabter Mensch kein starkes Gedächtniß haben könnte. Eben so wenig ist nach seiner Meynung eine grosse Einbildungskraft mit einem grossen Verstande, oder mit einem starken Gedächtnisse verbunden, obgleich, wie er selbst S. 106 gesteht, diese Verbindung nach seiner Theorie nicht unmöglich wäre, weil nicht nur viel Hitze und viel Trockenheit vollkommen wohl in dem Gehirne beysammen seyn, und also ein Mensch gar wohl mit einer grossen Einbildungskraft, sowohl einen grossen Verstand, als auch ein starkes Gedächtniß verbinden könnte; welche Verbindung er aber aus folgenden Gründen nicht einräumen will. „Denn, sagt er S. 107, wenn der Mensch verständig seyn soll, so muß das Gehirn aus den allerfeinsten und zärtesten Theilen zusammengesetzt seyn, wie wir oben aus dem Galenus bewiesen haben. Die allzugrosse Hitze aber verderbt und verzehrt das Zarte, und läßt das Grobe und Jrdische unbeschädigt. Aus eben die sem Grunde kann ein starkes Gedächtniß bey einer starken Einbildungskraft nicht bestehen, weil die allzugrosse Hitze die Feuchtigkeit des Gehirns auflöset, und es trocken und hart zurückläßt, daß es die Bilder so leicht nicht annehmen kann.“


69 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Um diese Frage gehörig beantworten, und den Grundsatz des Herrn Huarte unpartheyisch prüfen zu können, müssen wir uns vor allen Dingen um den eigentlichen Sinn dieses Grundsatzes bekümmern, der anfänglich mehr wahres zu enthalten scheint, als man hernach findet, wenn man sich durch das Folgende die Meynung desVerfassers genauer bekannt gemacht hat. Denn erstlich ist aus dem fünften Hauptstücke klar, daß er drey Hauptfähigkeiten des menschlichen Genies annimmt, nämlich Gedächtniß, Einbildungskraft und Verstand, von denen er aber, so wie von vielen andern nöthigen Dingen, nirgends eine ordentliche Erklärung gegeben hat. Diese drey Kräfte des menschlichen Geistes, welche in dieser Schrift auch oft Gattungen oder Verschiedenheiten des Genies genannt werden, leitet er aus den drey Hauptbeschaffenheiten, nämlich aus der Wärme, Feuchtigkeit und Trockenheit des Gehirns her, aus deren verschiedenen Graden und Verhältnissen wiederum, nach seiner Meynung, allerhand Verschiedenheiten einer jeden Gattung des Genies entstehen. Von der Wärme soll die Einbildungskraft, von der Feuchtigkeit das Gedächtniß, und von der Trockenheit des Gehirns der Verstand abhängen. Weil nun das Gehirn unmöglich zu gleicher Zeit in einem hohen Grade trocken und auch in einem hohen Grade feucht seyn kann; so schließt er S. 105 hieraus, daß der Verstand und das Gedächtniß ganz entgegengesetzte und widrige Fähigkeiten seyn müßten, so daß derjenige, der ein starkes Gedächtniß hat, keinen grossen Verstand, und wiederum ein mit vielem Verstande begabter Mensch kein starkes Gedächtniß haben könnte. Eben so wenig ist nach seiner Meynung eine grosse Einbildungskraft mit einem grossen Verstande, oder mit einem starken Gedächtnisse verbunden, obgleich, wie er selbst S. 106 gesteht, diese Verbindung nach seiner Theorie nicht unmöglich wäre, weil nicht nur viel Hitze und viel Trockenheit vollkommen wohl in dem Gehirne beysammen seyn, und also ein Mensch gar wohl mit einer grossen Einbildungskraft, sowohl einen grossen Verstand, als auch ein starkes Gedächtniß verbinden könnte; welche Verbindung er aber aus folgenden Gründen nicht einräumen will. „Denn, sagt er S. 107, wenn der Mensch verständig seyn soll, so muß das Gehirn aus den allerfeinsten und zärtesten Theilen zusammengesetzt seyn, wie wir oben aus dem Galenus bewiesen haben. Die allzugrosse Hitze aber verderbt und verzehrt das Zarte, und läßt das Grobe und Jrdische unbeschädigt. Aus eben die sem Grunde kann ein starkes Gedächtniß bey einer starken Einbildungskraft nicht bestehen, weil die allzugrosse Hitze die Feuchtigkeit des Gehirns auflöset, und es trocken und hart zurückläßt, daß es die Bilder so leicht nicht annehmen kann.“


70 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Um diese Frage gehörig beantworten, und den Grundsatz des Herrn Huarte unpartheyisch prüfen zu können, müssen wir uns vor allen Dingen um den eigentlichen Sinn dieses Grundsatzes bekümmern, der anfänglich mehr wahres zu enthalten scheint, als man hernach findet, wenn man sich durch das Folgende die Meynung desVerfassers genauer bekannt gemacht hat. Denn erstlich ist aus dem fünften Hauptstücke klar, daß er drey Hauptfähigkeiten des menschlichen Genies annimmt, nämlich Gedächtniß, Einbildungskraft und Verstand, von denen er aber, so wie von vielen andern nöthigen Dingen, nirgends eine ordentliche Erklärung gegeben hat. Diese drey Kräfte des menschlichen Geistes, welche in dieser Schrift auch oft Gattungen oder Verschiedenheiten des Genies genannt werden, leitet er aus den drey Hauptbeschaffenheiten, nämlich aus der Wärme, Feuchtigkeit und Trockenheit des Gehirns her, aus deren verschiedenen Graden und Verhältnissen wiederum, nach seiner Meynung, allerhand Verschiedenheiten einer jeden Gattung des Genies entstehen. Von der Wärme soll die Einbildungskraft, von der Feuchtigkeit das Gedächtniß, und von der Trockenheit des Gehirns der Verstand abhängen. Weil nun das Gehirn unmöglich zu gleicher Zeit in einem hohen Grade trocken und auch in einem hohen Grade feucht seyn kann; so schließt er S. 105 hieraus, daß der Verstand und das Gedächtniß ganz entgegengesetzte und widrige Fähigkeiten seyn müßten, so daß derjenige, der ein starkes Gedächtniß hat, keinen grossen Verstand, und wiederum ein mit vielem Verstande begabter Mensch kein starkes Gedächtniß haben könnte. Eben so wenig ist nach seiner Meynung eine grosse Einbildungskraft mit einem grossen Verstande, oder mit einem starken Gedächtnisse verbunden, obgleich, wie er selbst S. 106 gesteht, diese Verbindung nach seiner Theorie nicht unmöglich wäre, weil nicht nur viel Hitze und viel Trockenheit vollkommen wohl in dem Gehirne beysammen seyn, und also ein Mensch gar wohl mit einer grossen Einbildungskraft, sowohl einen grossen Verstand, als auch ein starkes Gedächtniß verbinden könnte; welche Verbindung er aber aus folgenden Gründen nicht einräumen will. „Denn, sagt er S. 107, wenn der Mensch verständig seyn soll, so muß das Gehirn aus den allerfeinsten und zärtesten Theilen zusammengesetzt seyn, wie wir oben aus dem Galenus bewiesen haben. Die allzugrosse Hitze aber verderbt und verzehrt das Zarte, und läßt das Grobe und Jrdische unbeschädigt. Aus eben die sem Grunde kann ein starkes Gedächtniß bey einer starken Einbildungskraft nicht bestehen, weil die allzugrosse Hitze die Feuchtigkeit des Gehirns auflöset, und es trocken und hart zurückläßt, daß es die Bilder so leicht nicht annehmen kann.“


71 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Wenn man diese Gründe nur einer mittelmässigen Aufmerksamkeit würdiget, so wird man gar bald ihre Schwäche einsehen, und in manchen Stücken sogar Widersprüche bemerken, wovon ich nur einen einzigen zum Beyspiele anführen will. Der Verfasser räumt selbst S. 3 und auch in andern Stellen ein, daß sein Grundsatz bisweilen Ausnahmen leide, und daß ein Mensch mehr als eine Gattung des Genies, d. i. mehr als eine der drey HauptsähigkeitenHauptfähigkeiten in vorzüglichem Grade besitzen könnte, wenn die Natur zu der Zeit seiner Bildung sehr stark gewesen wäre, und alle ihre Kräfte zusammengenommen hätte. Jn einer Anmerkung setzt er noch hinzu, daß in Spanien die Natur nicht mehr als zwey, in Griechenland aber alle drey verschiedene Arten des Genies, d. h. nach seinem Sprachgebrauch, Gedächtniß, Einbildungskraft und Verstand mit einander verbinden könne. Wenn aber seine vorhin bereits angeführte Meynung ihre Richtigkeit hätte, daß der Verstand aus der Trockenheit, und das Gedächtniß aus der Feuchtigkeit des Gehirns entstünde, so müßte folgen, daß nach der Einrichtung der Natur in Griechenland das Gehirn eines Menschen zugleich in einem hohen Grade trocken und auch in einem hohen Grade feucht seyn könnte; eine Sache, die auch wohl der ungeübteste Leser nicht für möglich halten wird.


72 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Allein, könnte vielleicht mancher einwenden, wenn auch die Gründe des Verfassers zum Beweise seiner Meynung unzureichend sind, so läßt sich doch hieraus noch kein Schluß auf die Unrichtigkeit der Meynung selbst machen, die vielleicht auf andere Art, und vorzüglich aus der Erfahrung bewiesen werden kann, welche durch häufige Beyspiele lehret, daß selten ein grosses Gedächtniß oder eine sehr lebhafte Einbildungskraft mit einem vorzüglichen Verstande vereiniget sey, und daß man also hieraus wohl eine Widrigkeit dieser verschiedenen Seelenkräfte einigermaassen folgern könne.


73 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Jch nehme also unterdessen mit dem Verfasser ebenfalls drey Hauptfähigkeiten der menschlichen Seele an, nämlich Gedächtniß, Einbildungskraft und Verstand; weil hier die Untersuchung, ob diese Eintheilung die beste sey, oder nicht, ganz überflüssig seyn, und mich zu weit von der Absicht der gegenwärtigen Betrachtung ablenken würde. Durch das Gedächtniß wird die Seele in den Stand gesetzt, diejenigen Begriffe, welche sie sich durch Hülfe der Empfindung, oder auf eine andere Art verschaft hat, aufzubewahren, oder fortdauernd zu erhalten, und dieselben, so oft sie will, in eben der Form und Ordnung, in welcher sie dieselben erlangt hat, wieder hervorzubringen. Die Einbildungskraft, wenn man nämlich durch dieses vieldeutige Wort eben dasjenige versteht, was dadurch in dieser Schrift durchgängig von dem Verfasser verstanden wird, nimmt aus den Empfindungen und aus den übrigen in der Seele aufbewahrten Begriffen einzelne Theile und setzt daraus ein neues Ganze zusammen. Der Verstand sucht alle diese Begriffe und Vorstellungen, welche durch Hülfe des Gedächtnißes in der Seele fortdauern, und durch Hülfe der Einbildungskraft schon auf verschiedene Art unter einander verbunden worden sind, weiter zu bearbeiten, die mannigfaltigen Empfindungen theils zu zergliedern, theils mit einander zu vergleichen, dasjenige, was in ihnen ähnlich ist, zu bemerken, und in einen Begriff zu sammlen, das unähnliche aber wegzulassen, und durch die Fortsetzung dieser Beschäftigung die Seele mit dem nöthigen Vorrathe allgemeiner Begriffe zu bereichern, und ihr den zur Erkenntniß der Wahrheit unentbehrlichen Stoff zu verschaffen.


74 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Aus dieser kurzen Betrachtung der Handlungen, wodurch sich die Fähigkeiten unsrer Seele äussern, erhellt also offenbar, daß man keine Ursache habe, einen Streit oder Widrigkeit dieser Fähigkeiten anzunehmen, und daß sie wirklich alle drey, wenigstens in einem gewissen Grade, mit einander verbunden seyn müssen, wenn der Mensch diejenigen Absichten erreichen soll, um welcher willen ihn der Schöpfer zum Bewohner der Welt gemacht hat. Der Verstand und die Einbildungskraft setzen nothwendig das Gedächtniß voraus; weil ohne dasselbe diesen beyden Fähigkeiten der nöthige Stoff zu ihren Verrichtungen mangeln würde, wie Huarte selbst S. 102 bemerkt hat. Jemehr Begriffe also das Gedächtniß aufbewahrt, desto mehr Stoff finden die Einbildungskraft und der Verstand zu ihren Arbeiten. Wie könnte man also wohl mit dem Verfasser behaupten, daß der Verstand und das Gedächtniß ganz widrige und entgegengesetzte Fähigkeiten wären, und daß mit einem starken Gedächtniß nothwendig ein Mangel am Verstande verbunden seyn müßte?


75 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Das Gedächtniß könnte zwar ohne Einbildungskraft und ohne Verstand bestehen, würde aber alsdenn von keinem grossen Nutzen seyn, und bey aller Vollkommenheit den Menschen zum Thiere herabsetzen. Daß oft ein starkes Gedächtniß mit einem schwachen Verstande und schwacher Einbildungskraft, hingegen ein geringes Gedächtniß mit einem grossen Verstande oder mit einer grossen Einbildungskraft verbunden ist, und daß man selten in einer Person alle drey Fähigkeiten in einem sehr hohen Grade antrifft, kann nicht als ein Merkmal von der Widrigkeit und Unverträglichkeit dieser Seelenkräfte, oder als ein Beweis angeführt werden, daß eine Kraft die andere schwäche; weil dieser Beweis eben den Fehler haben würde, welchen der Schluß desjenigen hätte, der aus der Bemerkung, daß ein grosser Rechtsgelehrter oft sehr häßlich und sehr arm, hingegen ein in der Rechtswissenschaft sehr unerfahrner Mensch bisweilen überaus schön und sehr reich sey, den allgemeinen Satz ziehen wollte, daß kein grosser Rechtsgelehrter recht schön oder reich, und kein schöner oder reicher Mensch ein grosser Rechtsgelehrter seyn könnte. Man darf sich auch nicht wundern, daß eine feurige Einbildungskraft, ein sehr grosser Verstand und ein sehr starkes Gedächtniß so selten mit einander vereiniget gefunden werden. Man würde eher Ursache zur Verwunderung haben, wenn man diese Vereinigung sehr oft bemerkte. Denn man nehme z. B. nur bey ieder von diesen drey Fähigkeiten unsrer Seele sechs verschiedene Grade an; so wird die Anzahl der Fälle, wie diese Grade mit einander verbunden seyn können, eben so viel betragen, als die Anzahl der Würfe, die mit drey gewöhnlichen Würfeln, die sechs Flächen haben, möglich sind. So wenig man nun erwarten kann, daß man alle Augenblicke achtzehn, nämlich mit allen drey Würfeln sechs Augen werfen werde, weil unter den 216 Würfen, die mit drey Würfeln möglich sind, nur ein einziger ist, der achtzehn Augen giebt; eben so wenig kann man bey der angenommenen Voraussetzung vermuthen, daß der Fall, wo ein sehr grosser Verstand mit einem sehr starken Gedächtniß und mit einer starken Einbildungskraft verbunden ist, häufig vorkommen werde. Man darf sich also nicht auf die Erfahrung berufen, um den Grundsatz des Herrn Huarte zu erweisen; weil die Erfahrung zwar die Seltenheit der Vereinigung eines starken Gedächtnisses mit einem grossen Verstande und mit einer grossen Einbildungskraft, aber nicht die Unverträglichkeit dieser Fähigkeiten lehret. Mit größerm Rechte kann man die Erfahrung zum Beweise des Gegentheiles anführen. Denn man findet in der That verschiedene sehr merkwürdige Beyspiele von Gelehrten und Künstlern, die bey einem ausserordentlich starken Gedächtnisse, einen sehr durchdringenden Verstand, oder eine überaus feurige Einbildungskraft gehabt haben; welche Fälle gar nicht vorkommen könnten, wenn Huarte Recht hätte, daß zwischen diesen Fähigkeiten des Geistes eine natürliche Widrigkeit und Unverträglichkeit statt fände. Der berühmte Leonhard Euler, an dessen durchdringendem und seltenem Verstande gewiß niemand zweifeln wird, der von ihm nur so viel weiß, daß ihn von allen in ganz Europa jetzt lebenden Mathematikern kein einziger übertroffen hat, besaß ein so starkes Gedächtniß, daß er noch in seinem Alter im Stande war, die ganze Aeneide vom Anfange bis zum Ende auswendig herzusagen, und dabey noch überdieses die ersten und letzten Ver se einer jeden Seite seiner Ausgabe auf das genaueste anzugeben. Bey einer schlaflosen Nacht rechnete er einmal die sechs ersten Dignitäten aller Zahlen von 1 bis 19 im Kopfe aus, und sagte dieselben hernach einigen Freunden ohne Anstoß und mit der größten Richtigkeit her. Wer die Natur dieser Dignitäten ewägt, wovon einige aus mehr als sieben Ziffern bestehen, der wird gar leicht die Stärke eines solchen Gedächtnisses beurtheilen können, wodurch jemand in den Stand gesetzt wird, so viele und so hohe Dignitäten von neunzehn Zahlen im Kopfe berechnen zu können. Jch übergehe, zur Vermeidung der Weitläuftigkeit, verschiedene andere Beyspiele, die ich noch zur Bestätigung meiner Meynung anführen könnte, zumal da in dem folgenden Zusatze, der zur Prüfung des zweyten Grundsatzes des Herrn Huarte bestimmt ist, ähnliche Beyspiele vorkommen, und viele davon meinen Lesern ohne Zweifel von selbst einfallen werden.