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46 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Gleichwohl ist es keine allgemeine Regel, daß alle, welche in Griechenland gebohren werden, nothwendig von einem guten Temperamente, und folglich weise seyn müssen; oder daß alle übrigen nicht anders, als von einer schlechten Natur, und dumm seyn könnten. Galenus selbst erzählt von dem Anacharsis, welcher von Geburt ein Scythe war, daß er ein Genie gehabt habe, welches auch von den Griechen, ob er gleich ein Barbar gewesen wäre, sey bewundert worden. Als ein Atheniensischer Weltweise einmal über ihn spotten wollte, und zu ihm sagte: kehre in die Barbarey zurück, so antwortete ihm Anacharsis: ἐμοι μεν ἡ πατρις ὀνειδος, συδε τῃ πατριδι; das ist: mir gereicht zwar mein Vaterland, du aber gereichst deinem Vaterlande zum Schimpfe. So ein schlechter Erdstrich Scythien auch ist, und so dumm die Leute daselbst gebohren werden, so bin ich doch klug geworden; du aber bist ein Esel, ob dich gleich Athen, das Vaterland der Weisheit und desGenies, hervorgebracht hat. Man darf folglich wegen der Temperatur eines Landes nicht verzweifeln, oder glauben, daß ausser Griechenland kein grosses Genie könne gefunden werden; denn am leichtesten würde man es noch in Spanien finden, als welches Land noch gemäßigt genug ist. So gut ich ein grosses Genie darinnen habe finden können, eben so gut kann es noch mehrere dergleichen geben, ob sie mir gleich nicht bekannt geworden sind, weil ich die Gelegenheit sie zu prüfen nicht gehabt habe. Es wird daher nunmehr nöthig seyn, daß ich die Merkmale angebe, woraus man einen Menschen von dem gemäßigsten Temperamente erkennen kann, damit er, wenn er sich etwa irgend wo finden sollte, nicht länger im Verborgenen bleiben dürfe.


47 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Aus dieser Lehre folgt, nach den richtigsten Grundsätzen der natürlichen Weltweisheit, daß, wenn der Mensch eine tugendhafteHandlung, welche seinem Fleische entgegen ist, verrichten soll, er sie unmöglich ohne eine mitwirkende überna

*) ὑγιεινων βιβλ. ϛ.

türliche Gnade vollziehen kann, weil die Beschaffenheiten, womit seine untern Vermögenheiten wirken, die mächtigsten sind. Jch sage: eine tugendhafte Handlung, welche seinem Fleische entgegen ist; denn es giebt nicht wenig menschliche Tugenden, welche bloß aus der Schwäche der erzürnlichen Vermögenheit und der Begierden entstehen, wie zum Beyspiele die Keuschheit eines Menschen von kaltem Temperamente ist, welche eher eine Unvermögenheit, als eine Tugend genannt zu werden verdienet.


48 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Wie viel ferner auf ein tugendhaftes Leben und auf gute Sitten ankomme, dieses, hoffe ich, werde ich nicht weitläuftig beweisen dürfen. Derjenige, welcher das Leben der Unterthanen regieren, und ihnen Regeln und Gesetze, die der Vernunft gemäß sind, vorschreiben soll, der muß selbst sein Leben regieren und nach den Vorschriften der Vernunft handeln. Denn wie der König ist, so sind die Grossen, so sind die Mittlern und Kleinen. Auf diese Art kann er seinen Befehlen einen weit stärkern Nachdruck geben; und diejenigen mit grösserm Rechte züchtigen, welche dawider handeln.


49 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Daß Adam endlich gesund und lange gelebet habe, worinnen das vierte und fünfte Kennzeichen bestehet, wird nicht schwer zu erweisen seyn; weil er sein Leben bis auf neunhundert und dreyssig Jahr brachte. Aus allen diesen nun wird man schliessen können, daß derjenige Mensch, welcher röthlich, von angenehmer Gesichtsbildung, von mittler Statur, tugendhaft, gesund und von langem Leben ist, nothwendig auch der allerklügste seyn und das Genie haben müsse, welches zum königlichen Scepter erfordert wird. †) Wir haben hierbey zugleich die Art und Weise entdeckt, wie sich ein grosser Verstand mit einer starken Einbildungskraft und einem starken Gedächtnisse verbinden lasse, obgleich hierzu auch noch ein anderer Weg möglich ist, ohne daß der Mensch vollkommen gemäßigt sey. Die Natur aber

*) περι νομου.

†) Daß sich wider diesen Schluß gar viel einwenden lasse, wird wohl jeder Leser, auch ohne meine Erinnerung, von selbst einsehen. E.

macht so wenige Genies von dieser Art, daßich unter allen, die ich bisher untersucht, deren nicht mehr als zwey gefunden habe.


50 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Es ist in der That etwas sehr merkwürdiges, daß, obschon die Natur, wie wir alle wissen, sehr weise, klug, geschickt, künstlich und mäch= tig ist; obschon der Mensch dasjenige Werk ist, woran sie ihre Kunst am meisten zeigt: daß, sageich, die Natur gleichwohl unter unzähligen Thoren und unfähigen Menschen kaum einen weisen und tugendhaften hervorbringt. Da ich mich, von dieser Beobachtung die natürlichen Ursachen zu ergründen, bemühte, so kam ich endlich durch mein Nachdenken darauf, daß die Väter bey der Erzeu gung nicht nach der Ordnung, welche die Natur darinnen festgesetzt habe, verführen; und daß sie die Bedingungen nicht kennten, welche, wenn die Söhne klug und weise werden sollen, nothwendig beobachtet werden müssen. Denn so wie in einer gemäßigten oder ungemäßigten Gegend, ein sehr grosses Genie gebohren wird; eben sowohl können derer hundert tausend gebohren werden, wenn beständig auf einerley Art damit verfahren würde. Wenn wir also dieser Unbequemlichkeit durch die Kunst abhelfen könnten, so würden wir ohne Zweifel der Republik den allergrößten Dienst von der Welt damit leisten. Die Schwierigkeit aber hierbey ist, daß man bey dieser Materie sich nicht so zierlich und ehrbar ausdrücken kann, als es vielleicht die natürliche Schamhaftigkeit der Menschen erforderte. Wenn wir also aus dieser Ursache hier und da etwas anzumerken, und uns darüber nicht deutlich zu erklären unterlassen sollten, so würde nothwendig alles vergebens seyn; besonders da es die Meynung vieler angesehener Weltweisen ist, daß die weisesten Leute gemeiniglich die allerdümmsten Söhne zeugen, weil sie bey dem Erzeugungswerke aus Ehrbarkeit diese und jene Sorgfalt unterlassen, welche doch nothwendig angewendet werden muß, wenn die Weißheit des Vaters auch auf den Sohn soll fortgepflanzt werden.


51 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

†) Eine Behauptung, die man von einem so scharfsinnigen Manne, wie Huart, nicht erwarten sollte. Fehlt es wohl den grossen Anatomikern, die sich über solche Benennungen nicht ärgern, am Verstande? E.


52 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Jch halte also gänzlich dafür, daß keine Weibsperson eines gemässigten und hitzigen Temperaments seyn könne; sie müssen vielmehr al=

†) Die neuern Naturforscher aber haben doch bemerkt, daß es verschiedene Arten von Affen giebt, deren Weibchen eben so, wie die Weiber der Menschen, ihren monatlichen Abfluß haben. E.

le kalt und feucht seyn. Diejenigen Weltweisen und Aerzte, die mir dieses nicht zugeben wollen, mögen mir einen andern Grund sagen, warum keiner Weibsperson der Bart wächst; warum sie alle, so lange sie gesund sind, ihre monatliche Zeit haben; oder warum, wenn der Saame, aus welchem sie erzeugt worden sind, gemässigt und hitzig gewesen ist, nicht vielmehr eine Mannsperson als eine Weibsperson daraus entstanden sey? Ob es nun aber gleich wahr ist, daß alle insgesammt kalter und feuchter Natur sind; so haben doch nicht alle einerley Grad der Feuchtigkeit und Kälte. Bey einigen ist es der erste, bey andern der zweyte, bey andern der dritte Grad. Alle aber können empfangen, wenn nur die Hitze der Mannsperson jedem von diesen Graden gemäß ist; wovon wir in dem folgenden reden wollen. Aus welchen Kennzeichen man es aber schliessen könne, welcher von diesen drey Graden der Kälte und Feuchtigkeit bey einer Weibsperson anzutreffen sey, ist eine Sache, welche bis jetzt noch kein Weltweiser oder Arzt entdeckt hat. Wenn wir aber die Wirkungen betrachten, welche diese Beschaffenheiten bey den Weibspersonen hervorbringen, so können wir sie füglich in gewisse Klassen eintheilen, nach welchen sich die Stärke oder Schwäche ihrer Ursachen schliessen läßt. Jn die erste Klasse setzen wir das Genie und die Fähigkeit der Weibsperson; in die zweyte ihr Betragen und ihre Sitten; in die dritte ihre Stimme, ob sie stark oder klar ist; in die vierte, das Fleisch, ob sie dessen wenig oder viel hat; in die fünfte die Farbe; in die sechste die Haare; in die siebente die Schönheit oder Häßlichkeit.


53 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

†) Daß die Beraubung der Testikeln oft eine Schwächung der Geisteskräfte nach sich ziehe, kann wohl nicht geleugnet werden; allein daß eine castrirte Mannsperson das vorher gehabteGenie und die Geistesfähigkeiten gänzlich verliehre, ist eine Behauptung, die mit derErfahrung streitet. Abälard war auch nach seiner Entmannung noch immer ein Mann von grossen Fähigkeiten. Unter den gewöhnlichen Castraten giebt es freylich nicht viel grosseGelehrte; welches aber daher kömmt, weil man diejenigen Kinder, welche man castriren läßt, nicht zur Gelehrsamkeit, sondern zur Musik anhält, worinnen sie der Verf. ohne Grund höchst unwissend nennt. E.


54 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

†) Da ich nicht vermuthe, daß Personen, die sich verheyrathen wollen, oder schon im Ehestande leben, sich nach den Vorschriften desVerfassers richten werden, welcher mit den Grillen der alten griechischen Aerzte, seine eigene sonderbare Einfälle verbindet; so werde ich, ungeachtet hier sehr viel zu erinnern wäre, zu Vermeidung der Weitläuftigkeit, sehr wenig bey diesem Abschnitte anmerken, dessen genaue Prüfung ohnedieß sich besser für einen Arzt schickt. E.


55 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Diese bisher vorgetragene Lehre wollen wir nun durch einige Beyspiele erläutern. Man setze ein in dem ersten Grade kaltes und feuchtesFrauenzimmer, deren Merkmale, wie wir schon gesagt haben, diese sind, daß sie verschmitzt und von schlechten Sitten ist, daß sie eine völlige Stimme, wenig Fleisch, eine bräunliche Farbe, viel Haare, und überhaupt keine Schönheit hat. Dieses Frauenzimmer, behaupte ich, wird von einem dummen Menschen, der sonst von guter Beschaffenheit ist, eine zärtliche und melodische Stimme, viel weiches und weisses Fleisch, wenig Haare und eine röthliche angenehme Gesichtsbildung hat, sehr leicht gebähren. Gleichfalls kann sie sich mit einem gemässigten Menschen verheyrathen, dessen Saame nach der Meynung des Galenus*), vollkommen fruchtbar ist, und sich für eine jede Weibsperson schickt, wenn sie sich nur gesund und in dem gehörigen Alter befindet. Gleichwohl aber geht es hier mit ihrer Schwangerschaft schwer her. Denn wenn sie auch, wie Hippokrates**) sagt, empfängt, so abortirt sie innerhalb zwey Monaten, weil sie nicht genugsames Blut hat, sich und ihre Frucht neun Monate hindurch zu erhalten. Diesem Fehler kann dadurch in etwas abgeholfen werden, wenn sich die Weibsperson, ehe sie zu dem Erzeugungswerke schreitet, fleissig badet, und zwar in süssem und warmen Wasser, von welchem Hippokrates***)

*) εἰν τους ἀφορ. ὑπομν. ε.

**) ἀφορ. τμημ. ε{??}.

***) ἀφορ. τμημ. ε.

sagt, daß es die wahre Temperatur einer Weibsperson verursache, indem es das Fleisch ausdehnt und feucht erhält; von welcher Beschaffenheit auch die Erde seyn muß, wenn das Korn in derselben Wurzel schlagen und fortkommen soll. Sonst hat das Baden in süssem und warmen Wasser auch noch diese Wirkung, daß es den Appetit zum Essen vermehrt, die allzugeschwinde Auflösung verhindert, und der natürlichen Wärme einen stärkern Grad giebt, wodurch viel phlegmatisches Blut erzeugt wird, welches zur neunmonatlichen Erhaltung der Frucht nöthig ist.


56 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

†) Da der gute Huart ein schlechter Anatomicus ist, und alles, was er von anatomischen und physiologischen Dingen vorbringt, meistentheils den alten griechischen Aerzten nachschreibt, zu deren Zeit das Studium der Anatomie noch in der Wiege lag; so muß ich unerfahrne Leser erinnern, daß sie sich in diesem Stück das Ansehen des V. nicht blenden lassen. E.


57 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Alles dieses führe ich deswegen an, damit man einsehe, wie nöthig es sey, bis auf die letzten Tage des Monats zu warten, damit der Saame sogleich genugsame Nahrung finden könne *). Denn wenn das Erzeugungswerk gleich nach der Zeit der Reinigung vorgenommen wird, so kann der Saame aus Mangel des Bluts nicht hängen bleiben. Dieses aber müssen die Aeltern vornehmlich merken, daß, wenn der Saame des Mannes sich mit dem Saamen des Weibes nicht zu gleicher Zeit vermischt, wie Galenus**) sagt, keine Erzeugung Statt finden kann,

*)Ιπποκρ. περι Φυσεος ἐμβρυου und βιβλ. γ.ἐπιδημιων.

**) περι σπερματος κεφ. ϛ.

wenn der Saame des Mannes auch noch so fruchtbar ist. Die Ursache hiervon werden wir weiter unten zu geben Gelegenheit haben. Auch ist dieses gewiß, daß das Weib gleichfalls alle die jetzt erzählten Behutsamkeiten brauchen müsse, wenn nicht ihr übel zubereiteter Saame die Zeugung verhindern soll. Und folglich ist es nöthig, daß eins auf das andere, der Mann auf das Weib, oder das Weib auf den Mann warte, damit beyder Saame sich zu gleicher Zeit vermischen könne. Hierauf kömmt besonders bey dem erstenmale viel an, weil der rechte Testikel und sein Saamengefäß, wie Galenus*) sagt, eher erregt wird, und den Saamen eher von sich giebt, als das linke. Wenn daher nicht gleich das erstemal die Erzeugung vor sich geht, so ist man das zweytemal in Gefahr, ein Kind weiblichen und nicht männlichen Geschlechts zu erhalten.


58 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Hühner, Kaphähne, Kälber, und die spanischen Schöpse sind von der mittlern Substanz; ihr Fleisch ist weder zart noch grob. Jch habe mit Fleiß gesagt, das Fleisch der spanischen Schöpse; weil Galenus**) ohne Unterschied sagt, das

*) Man merke nochmals, daß der Mensch frey und Herr von seinen Handlungen ist, ob er gleich von seinem übeln Temperamente angereitzt wird.

**) βιβλ. γ. περι τροφων δυναμεως.

Schöpsenfleisch sey von grober Substanz. Er hat hierinnen Unrecht: denn gesetzt auch, daß es in Jtalien, wo er dieses schrieb, das allerschlechteste Fleisch ist, so ist es doch in unsern Gegenden, wegen der guten Weide, unter die Speisen von mittlerer Substanz zu rechnen. Söhne, welche von solchen Speisen erzeugt werden, pflegen von mittelmässigem Verstande, von mittelmässigem Gedächtnisse, und von mittelmässiger Einbildungskraft zu seyn. Jn den Wissenschaften können sie es also eben nicht allzuweit bringen, und neue Erfindungen darf man gar nicht von ihnen erwarten. Schon oben haben wir von ihnen gesagt, daß ihr Genie sehr geschmeidig sey, daß sie leicht alle Regeln und Vorschriften der Kunst fassen, sie mögen klar oder dunkel, schwer oder leicht seyn; die Folgen aber daraus, die Zweifel, die Unterscheidungen und Auflösungen müssen schon alle vor ihnen gemacht seyn, und ihnen gleichsam in den Mund gegeben werden.


59 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

†) Der Grund von dem Unterschiede zwischen den Kindern der Bauern und der Bürger ist gewiß nicht in den groben und schlechten Speisen, sondern vielmehr in der Erziehung zu suchen. Da die Söhne der Bauern, unter denen es übrigens mehr geschickte Köpfe giebt, als Herr Huarte behauptet, nicht so viel Gelegenheit haben, sich nützliche Kenntnisse zu erwerben, als die Söhne der Einwohner der Städte; so ist es kein Wunder, daß man unter den Bauern weit mehr einfältige Leute, als unter den Stadtbürgern antrifft. E.


60 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

†) Wer sich über dieses Geschwätz des Verfassers ärgern sollte, der muß überlegen, daß es sogar in unsern aufgeklärten Zeiten berühmte Schriftsteller giebt, die fast das nämliche behaupten. E.