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61 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Gleichwohl bedienen sich die alten Schriftsteller des Worts singen, eben sowohl bey der Re(*) De Orat. libro III.(**) In Orat.du Bos,citation der Komödien, als der Tragödien. Donatus und Euthemius, die unter der RegierungConstantinus des Grossen gelebt haben, sagen in ihren Schriften, welche de Tragœdia& Comœdia Commentatiunculæ überschriebensind, daß die Tragödie und Komödie Anfangsin nichts als in Versen bestanden habe, welchein Musik gesetzt gewesen und die ein Chor unterBegleitung von Blasinstrumenten gesungen habe. Comœdia vetus ut ipsa quoque olim Tragœdia, simplex Carmen quod chorus cum tibicine concinebat.Isidorus Hispalensis nenntgleichfalls diejenigen Sänger, welche Tragödienund Komödien spielten. (*) Sunt qui antiquagesta & facinora sceleratorum Regum luctuosocarmine, spectante populo, concinebant. Comœdi sunt qui privatorum hominum acta, dictis aut gestu exprimunt. Horaz, ehe er inseiner Dichtkunst auf das kömmt, was zu einerguten Komödie erfordert wird, sagt überhaupt, eine gute Komödie sey diejenige, welche den Zuschauer so lange angenehm unterhalte, bis derSänger ruffe: klatschet! Donec Cantor, vosplaudite, dicat. Wer war dieser Sänger?Einer von den Komödianten. Der komischeSchauspieler, Roscius zum Exempel, wardeben sowohl von musikalischen Instrumenten unterstützt, als der tragische Schauspieler, wie wirim folgenden sehen werden; und also konnte man(*) Libri primo. cap. 10.von den theatr. Vorstell. d. Alten.auch von dem einen eben so wohl, als von demandern sagen, daß er singe.


62 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

sagt Horaz, (*) wenn er von einem dieserfeinen Leute nach der Mode gegen die Venusredet. Man stelle sich vor, daß die grosse Welt,welcher die jungen Leute so gern gefallen wollen,einem beredten Jünglinge mit eben so vieler Achtung begegnete, als einem andern, welcher einguter Officier war. Und endlich war es auchMode, daß die Regenten sich selbst öfters beyöffentlichen Versammlungen hören liessen. Siemachten sich eine Ehre daraus, ihre Reden selber abgefaßt zu haben, und man hat angemerkt, (*) Hor. Carm. lib. 3. Od. pr.von den theatr. Vorstell. der Alten.daß Nero unter den römischen Kaysern der erstegewesen sey, der es nöthig gehabt hätte, sie sichvon einem andern machen zu lassen.


63 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Doch aber unterliessen es die Alten nicht gänzlich, auch mit ihren Sayteninstrumenten diejenigen zu accompagniren, welche in den Tragödiendeclamirten. Wir sehen dieses sowohl aus denalten Scholien über die griechischen Tragödienschreiber, als auch aus des Plutarchs Abhandlungvon der Musik. Desgleichen setzt auch dieDichtkunst des Horaz diesen Gebrauch voraus, und Dio erzehlt ausdrücklich, daß man sich zuden Zeiten des Nero der Sayteninstrumente beyVorstellung der Tragödien bedient habe.


64 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Plato, nachdem er angemerkt, daß die Dichter, welche Tragödien und Komödien machen(*) Quint. hist. lib. 2. cap. 11.du Bos,wollen, nicht gleich glücklich gewesen, fügt hinzu,daß die tragische und komische Gattung jede einebesondere und eigne Wendung des Geisteserfordre, und führt dabey als einen Beweis an; daß die Komödien nicht von eben denselben Schauspielern recitirt würden, welche die Tragödien declamirten. (*) Auchaus verschiednen andern Stellen der Alten siehtman es ganz klar, daß die Profeßion eines Tragödienspielers und die Profeßion eines Komödienspielers zwey ganz verschiedne Profeßionengewesen, und daß es selten zugetroffen, daß sicheine einzige Person mit beyden abgegeben hätte.Quintilian sagt, daß Aesopus viel gesezter alsRoscius declamirt habe, weil Aesopus eigentlichnur ein tragischer Schauspieler, und Rosciuseigentlich nur ein komischer war. Der eine alsosowohl als der andre, hatte die Manieren derjenigen Scene angenommen, der er sich besonders gewidmet hatte. (**) Roscius citatior, Aesopus gravior fuit, quod hic Tragœdias, ille Comœdias egit. Dieses ist der Charakter, welchen auch Horaz dem letztern gegeben hat.


65 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Auch die Kleider, die Masken und übrigenZierrathen, deren man sich bey Vorstellung derTragödien bediente, waren von denen unterschieden, die man bey der Komödie gebrauchte. (*) Die Verzierungen, die zu der Tragödie bequem waren, konnten bey der Komödienicht angebracht werden. Die man zu den Tragödien brauchte, musten Palläste und andereprächtige Gebäude vorstellen, anstatt daß dieVerzierung der Komödie nur Bürgerhäuser oderandre schlechte Gebäude abbilden durften. Wasdie tragische Declamation selbst anbelangt, so bedienen sich Horaz und alle alte Schriftsteller, wenn sie ihrer im Vorbeygehen gedenken, gemeiniglich solcher Worte, welche anzeigen, daß sievon der Art müssen gewesen seyn, welche wir diesingende nennen. Von dieser Seite greiffensie auch diejenigen von den alten Schriftstellernan, die ihr, aus verschiednen Ursachen, nicht wohlwollten. Der h. Justinus Martyr, nennt siein der Schrift, die wir vorhin angeführt haben, ein grosses Geschrey. Der Verfasser desjenigenBuchs wider die Schauspiele der Alten,welches dem h. Cyprianus beygelegt worden, nennt sie illas magnas tragicæ vocis insanias. (**)Tertullianus in dem kleinen Werke, welches erüber eben diese Materie verfertiget hat, sagt, daß der tragische Schauspieler aus Leibeskräfften(*) Onom. Poll. lib. 4. cap. 8.(**) Vitruvius lib. 5. cap. 8.von den theatr. Vorstell. der Alten.schreye: Tragœdo vociferante, und Apulejus (*)bedient sich, eben dieselbe Sache auszudrücken, auch eben derselben Worte: Comœdus sermocinatur, Trajœdus vociferatur. Der komischeSchauspieler recitirt, der tragische hingegenschreyet aus vollem Halse. Lucianus, welcheruns in der Unterredung, die er den Solon undAnacharsis mit einander halten läßt, eine artigeBeschreibung von den Personen in den Tragödien und Komödien giebt, läßt diesen ScythischenWeltweisen daselbst sagen, daß die komischen Schauspieler nicht mit so viel Nachdruck declamirten, als die tragischen.


66 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Wenn man die Dichtkunst des Horaz lieset, so sieht man wohl, daß der Fehler, welchenQuintilian der theatralischen Declamation seinerZeit vorwirft, daher gekommen sey, weil mansie, sowohl von Seiten der Recitation, als vonSeiten der Gebehrden, lebhafter, affectreicherund nachdrücklicher machen wollen, als sie in denvorhergehenden Zeiten gewesen. Da Horaznach dem Cicero und vor dem Quintiliangeschrieben hat, so wird es nicht undienlich seyndasjenige zu untersuchen, was er von den Veränderungen, die zu seiner Zeit mit der theatralischen Declamation gemacht worden, und vondem Unterschiede sagt, der sich damals zwischender alten und neuen Art zu recitiren fand.


67 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Wenn man die Dichtkunst des Horaz lieset, so sieht man wohl, daß der Fehler, welchenQuintilian der theatralischen Declamation seinerZeit vorwirft, daher gekommen sey, weil mansie, sowohl von Seiten der Recitation, als vonSeiten der Gebehrden, lebhafter, affectreicherund nachdrücklicher machen wollen, als sie in denvorhergehenden Zeiten gewesen. Da Horaznach dem Cicero und vor dem Quintiliangeschrieben hat, so wird es nicht undienlich seyndasjenige zu untersuchen, was er von den Veränderungen, die zu seiner Zeit mit der theatralischen Declamation gemacht worden, und vondem Unterschiede sagt, der sich damals zwischender alten und neuen Art zu recitiren fand.


68 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Vordem, sagt Horaz, bediente man sich zumAccompagniren und zur Unterstützung der Chöre,noch keiner F[l]löten, die mit den Trompeten gleichen Umfang haben, und die man mit Ringenvon Meßing umlegen muß. Man brauchte aufdem Theater nichts, als sehr einfache Blasinstrumente, die noch sehr wenig Löcher hatten, undalso von einem sehr kleinen Umfange waren.


69 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Allein jetzt, fügt Horaz hinzu, ist es ganz anders. Erstlich ist die Bewegung des Takts beschleiniget worden, und man bedient sich, umsie fest zu setzen, solcher Abmessungen, dergleichen man sich vorher nie bedient; und hierdurchhat die Recitation ihr altes gesetztes Wesen verlohren.


70 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Accessit numerisque modisque licentia major.Auch hat man, fährt Horaz fort, den Instrumenten einen weitern Umfang gegeben, als sievordem hatten. Da also die Töne, nach welchen man declamirt, vermehrt worden, so sindauch mehr verschiedne Klänge in die Recitationgebracht worden, als man vormals hineinbrachte. Die Schauspieler müssen jetzt weit mehrTöne aus ihrer Lunge heraushohlen als sonst, wenn sie diesen neuen Instrumenten folgen wollen, deren Sayten sie ohne Schohnen bestraffen,sobald sie den geringsten Fehler begehen.Denn in der That, je gesangreicher eine Declamation war, desto merklicher mußten die Fehlerdesjenigen, der sie ausführte, werden.


71 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Man erlaube mir, daß ich mich, zur Erläuterung dieser Stelle des Horaaz, einer Vergleichung, die von dem Kirchengesange genommen ist, bedienen darf. Der h. Ambrosius ließbey dem Gesange, den man noch jetzt den Ambrosianischen nennet, nicht mehr als vier Modos anbringen, welche die authentischenheissen. Dadurch nun ward der Gesang zwar weit von den theatr. Vorstell. der Alten.ernsthafter, zugleich aber auch weniger schön undausdrückend. Von den funfzehn Sayten, oderden funfzehn Hauptnoten, aus welchen das System der harmonischen Musik bestand, wurdenauch so gar vier Töne, nehmlich der höchste Ton, und die drey tiefsten Töne, in dem Ambrosianischen Gesange ganz und gar nicht gebraucht. Als ihn der h. Ambrosius componirte, warendie Bühnen noch offen, und man recitirte aufdenselben in eben der Sprache, in welcher manin der Kirche sang. Allem Ansehen nach wollte dieser heilige Mann also nicht haben, daßman in der Kirche die dem Theater eigenthümlichen und am meisten auf demselben gebräuchlichen Töne hören sollte. Der h. Gregorius,welcher den so genannten Gregorianischen Gesang, ungefehr funfzig Jahr, (*) nachdem dieBühnen verschlossen worden, angab, brauchteacht Modos dabey, indem er zu den vieren,deren sich der h. Ambrosius bedient hatte, nochdie sogenannten Phlagales hinzuthat. Es wurden also in dem Gregorianischen Gesange allefunfzehn Sayten der alten Musik angebracht, und alle Menschen fanden, daß der Gregorianische Gesang den Ambrosianischen so sehr anSchönheit vorzuziehen sey, daß die GallischenKirchen, zur Zeit unsrer Könige vom zweytenStamme, den Ambrosianischen Gesang zu brauchen aufhörten, und den Gregorianischen dafüreinführten.


72 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Ich lasse den Horaz wieder das Wort ergreiffen. Zugleicher Zeit sahen sich die Schauspieler genöthiget, ihre Gebehrden so wohl als ihreAussprache zu beschleunigen, weil man die Bewegung des Takts geschwinder gemacht hatte. Ihre übereilte Declamation schien also eine ganzneue Art zu recitiren zu seyn. Endlich war esauch nothwendig geworden, daß der Instrumentenspieler, welcher so schwer zu treffendeTöne angeben sollte, oft von einer Seite derBühne zu der andern gehen mußte, damit dieSchauspieler seine Töne in der Nähe desto besser hören könnten. Unsere theatralische Declamation ist also so lebhaft und so heftig geworden, daß der Schauspieler, welcher als eine Person, die über die Zukunft Betrachtungen anstellt, ganz gesetzt recitiren sollte, die allerweisesten Lehrsprüche mit mehr Bewegungen heraus stößt, alskaum die Priesterin zu Delphos machte, wennsie ihre Orakel vom Dreyfusse kund that.


73 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Ich will nicht in Abrede seyn, daß man nichtmanchmal unsere Musik und unsern Tanz, ebendadurch, weil man sie allzusehr bereichern undallzuausdrückend machen wollen, sollte verdorben haben. Allein dieses ist das unvermeidlicheSchiksal aller Künste, wenn sie einer gewissenVollkommenheit zueilen. Es finden sich immerKünstler, welche die Grenzen überschreiten, undihre Werke verunstalten, weil sie ihnen allzuvielZierlichkeit geben wollen. Diejenigen welchefür den alten Geschmack sind, führen zu ihrerRechtfertigung gemeiniglich die Ausschweifungen an, in welche die Künstler fallen, die alleswas sie machen übertreiben, und wollen daherbeweisen, daß der neue Geschmack verwerflich sey.Allein das Publicum, welches die Mängel derKunst und die Fehler des Künstlers zu unterscheiden weis, hält neue Erfindungen deßwegennicht für schlecht, weil sie hier und da gemißbrauchtwerden. Und daher hat es sich auch an die neueArt auf dem Theater zu tanzen so wohl gewöhnt, daß es numehr den Geschmack im Tanzen, welcher vor sechzig Jahren herrschte, für sehr elend von den theatr. Vorstell. der Alten.halten würde. Diejenigen, welche unsre theatralischen Tänze stuffenweise zu ihrer jetzigen Vollkommenheit haben gelangen sehen, sind nicht sosehr darüber erstaunt, als die Fremden, welcheseit langer Zeit in Frankreich nicht gewesen sind, und daher diese Verbesserung nicht anders alsfür eine schleunige Veränderung halten können. Nach dieser Ausschweifung, welche eine wichtige Stelle des Horaz ganz handgreiflich zu erklären scheinet, wollen wir auf die theatralischeDeclamation der Alten wieder zurück kommen.Das, was ich von der Art, wie sie ausgeführtwurde, sagen werde, wäre allein hinlänglichgewesen, mein ganzes Vorgeben zu beweisen.


74 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Die Aufführung dreyer Trauerspiele des Sophocles kostete den Atheniensern mehr als der Peloponnesische Krieg. Man weiß was für unsägliche Kosten die Römer verwendet haben, auchsogar in den Provinzen die prächtigsten Theater,Amphitheater, und Circos bauen zu lassen.Einige von diesen Gebäuden, welche noch ganzda stehen, sind die bewundernswürdigsten Denkmähler der alten Architektur. Und auch dieRuinen derer, die verfallen sind, bewundert man. Die römische Geschichte ist voll von Beyspielen, was für eine unmäßige Neigung das Volk gegen von den theatr. Vorstell. der Alten.die Schauspiele gehabt, und was für unglaubliche Summen es sich sowohl Regenten als Privatpersonen kosten lassen, ihr genug zu thun. Ich will also bloß hier von der Bezahlung derSchauspieler reden. Macrobius sagt, Aesopus,ein berühmter tragischer Schauspieler und Zeitgenosse des Cicero, von dem wir schon gesprochen,habe seinem Sohne, dessen Horaz (*) und Plinius als eines berichtigten Verschwenders gedenken, eine Erbschaft von fünf Millionen, die ermit dem Agiren erworben hatte, hinterlassen. Man lieset in der Geschichte des Plinius, derKomödiant Roscius, der Freund des Cicero,habe jährlich mehr als hundert tausend FrankenBesoldung gehabt. (**) Quippe cum jam apudmajores nostros Roscius histrio sestertiumquingenta millia annua meritasse prodatur.Man muß <sogar>sagar diese Besoldung des Rosciusseit der Zeit, von welcher Plinius redet, vermehrt haben, weil Macrobius sagt, es zöge dieser Komödiant von den öffentlichen Einkünftenalle Tage auf neun hundert Franken, und dieseSumme wäre für ihn ganz allein. Tanta fuitgratia ut mercedem diurnam de publico milledenarios sine gregalibus solus acceperit.


75 - Des Abts du Bos Ausschweifung von den theatralischen Vorstellungen der Alten /

Zwey Gründe bewegen mich zu glauben, daßbey dem Gebrauche, von welchem hier dieRede ist, mehr Vortheil als Unbequemlichkeitgewesen, und daß den Römern die ErfahrungAnlaß gegeben, die componirte Declamation derwillkührlichen vorzuziehen. Erstlich verhinderteder Gebrauch der Alten, daß die Schauspielerden Versen, die sie recitirten, keinen falschen Sinngeben konnten, welches auch sonst bey denen nichtunterbleibt, die noch die mehrste Ensicht haben. Zweytens gab ein geschickter Componist der Declamation den Schauspielern Ausdrücke undSchönheiten an die Hand, die sie nicht immervor sich selbst zu erfinden fähig waren. Sie waren nicht alle so gelehrt als Roscius. Diesesist das Beywort welches ihm Horaz giebt.