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61 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Wenigstens ist das, was ich gesagt habe, nicht zu leugnen, daß es nämlich Köpfe giebt, welche zu einer Wissenschaft durchaus gebohren, zu jeder andern aber durchaus ungeschickt sind. Ehe also der Knabe zu studiren anfängt, muß man seine Seelenkräfte erforschen, sehen, welche Wissenschaft mit seiner Fähigkeit überein kömmt, und ihn nur diese und keine andere lernen lassen. Doch muß man nicht vergessen, daß das, was ich gesagt habe, noch nicht hinlänglich sey, einen vollkommenen Gelehrten zu machen, sondern, daß man auch noch andre Stücke in Acht zu nehmen habe, welche nicht weniger nothwendig, als die natürliche Fähigkeit, sind. Daher sagt Hippokrates, *) daß das Genie des Menschen gegen die Wissenschaft eben die Bewandniß habe, welche die Erde gegen den Saamen hat; obgleich die Erde von sich selbst fruchtbar sey, so müsse man sie doch bebauen und untersuchen, zu welcher Art des Saamens sich ihre natürliche Beschaffenheit am besten schicke, weil nicht jede Erde ohne Unterschied jeden Saamen fortbringen könne. Jn dieser Erde geräth der Waitzen besser als die Gerste; in jener die Gerste besser als der Waitzen; und auch gegen den Waitzen ist die Erde nicht einerley, weil einige nur den besten Waitzen annimmt, welchen sie hundertfältig wieder giebt, den schlechtern Waitzen aber durchaus nicht fortbringt. Doch auch mit diesen Unterscheidungen ist ein guter Landmann noch nicht zufrieden. Nachdem er das Feld zur rechten Zeit bestellet hat, wartet er auf die bequemste Zeit zum Säen, welche nicht durch das ganze Jahr ist. Wenn die Saat endlich aufgeschossen, so begätet er sie, damit sie ohne Verhinderung des Unkrautes zur Reife kommen, und die erwünschten Früchte tragen möge. Aus eben der Ursache muß man, sobald man weiß, zu welcher Wissenschaft der Knabe die meiste Geschicklichkeit habe, sie ihn

*) νομῳ.

sogleich von Kindheit an lernen lassen; denn diese, sagt Aristoteles, *) ist die allergeschickteste Zeit zum Lernen. Da übrigens das menschliche Leben sehr kurz ist, und die Künste sehr langwierig und weitläuftig sind; so muß er nicht allein gnugsame Zeit sie zu lernen haben, sondern auch Zeit übrig behalten, sie auszuüben, und demStaate damit zu dienen. Das Gedächtniß eines Kindes, sagt Aristoteles am angeführten Orte, weil es noch nicht lange auf der Welt gewesen, ist noch leer und ohne Eindruck, und kann also alles gar leicht annehmen. Ganz anders aber verhält es sich mit dem Gedächtnisse erwachsener Leute, welches nicht viel mehr annehmen kann, weil es schon mit so vielen unzählichen Sachen angefüllet ist, †) die sie durch ihr

*) προβληματων τμημα λ.

†) Der Verfasser stellt sich hier das Gedächtniß fast als ein körperliches Behältniß vor, das nur eine bestimmte Menge von Begriffen fassen könne, und erinnert sich nicht an die bekannten Erfahrungen, welche augenscheinlich zeigen, daß man sich desto mehr Kenntnisse, und sie desto geschwinder erwerben könne, jemehr man schon gelernt hat. Die Abnahme des Gedächtnisses bey alten Leuten rührt nicht von der Menge ihrer schon erlangten Begriffe, sondern von der Schwachheit desKörpers her, welche, wie bekannt, einen grossen Einfluß auf unsre Seelenkräfte hat. Denn man bemerkt die Abnahme des Gedächtnisses eben so oft an ganz unwissenden, als an gelehrten Greisen. E.

ganzes Leben gesehen haben. Plato*) rieth daher, man solle den Kindern nützliche Fabeln und lehrreiche Historien erzählen, welche sie zutugendhaften und grossen Handlungen anreizten; denn das, was man in diesem Alter lerne, vergesse man nimmermehr. Die Erlernung der Künste muß man also nicht, ob es gleich Galenus**) verlangt, so lange verschieben, bis unsre Natur alle die Stärke erlangt hat, deren sie fähig ist. Diese Meynung hat keinen Grund, man müsse sie denn mit Unterscheid annehmen. Wer Lateinisch, oder eine andreSprache lernen soll, der muß gleich in der Kindheit anfangen: denn wenn er warten will, bis der Körper zu seiner Reife und zu derjenigen Vollkommenheit gelangt ist, deren er fähig ist, so wird er nimmermehr damit zu Stande kommen. ***) Jn dem zweyten Alter, welches die Jugend ist, muß er zur Vernunftlehre schreiten, weil alsdann der Verstand sich zu entwickeln anfängt, gegen welchen die Vernunft=

*) διαλ. περι δικαιου.

**) προτρεπ. λογῳ προς τας τεχνας.

***) Jn dem zweyten Alter, welches man die Jugend nennet, verbindet der Mensch alle Verschiedenheiten seines Genies, (wie sie, versteht sich, verbunden werden können,) weil dieses Alter unter allen das gemäßigste ist. Man muß es also nicht vorbey streichen lassen, ohne diejenige Wissenschaft zu erlernen, der man sich gewidmet hat.

lehre eben das ist, was die Stricke in Ansehung des wilden Maulesels sind, die man ihm an die vordern und hintern Füsse legt, und durch die er, wenn er einige Tage darinnen gegangen ist, gesetzt und anständig gehen lernt. Eben so nimmt unser Verstand, wenn ihn die Grundsätze und Regeln der Vernunftlehre gebändiget haben, in den Wissenschaften und Streitunterredungen eine gesetztere und anständigere Art zu schliessen und zu untersuchen an. Mit zunehmender Jugend kann man sodann alle übrige Wissenschaften erlernen, welche von dem Verstande abhängen, weil er nunmehr entwickelt genug ist. Zwar nimmt Aristoteles die Naturlehre davon aus, und behauptet, ein Jüngling sey nicht geschickt genug dazu. Er hat auch Recht, weil es diejenige Wissenschaft ist, welche ein weit tieferes Nachdenken, und weit mehr Vorsichtigkeit erfordert, als jede andere.


62 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Jedes von den Stücken, auf die man, wie ich gesagt habe, sorgfältig Acht haben muß, ist nothwendig, und trägt das seine zu dem Fortgange eines iungen Menschen in den Wissenschaften bey; das meiste aber kömmt noch immer auf das Genie an: denn haben wir nicht Beyspiele, daß Leute, welche dieses gehabt haben, ob sie gleich erst nach ihrer Jugend zu studiren angefangen, ob sie gleich schlechte Lehrer gehöret, ob sie gleich nicht aus ihrem Orte gekom

*) Ου'κἐϛι δε των ἐτων αριθμῳ περιορισαι ταυτας (ἡλικιας) καθαπερ ε'νιοι πεποιηκασι, πλην ἠ κατα πλαθος.

men, und in ihrem Fleisse sehr unordentlich gewesen sind, in weniger Zeit sehr grosse Gelehrte geworden sind? Wenn aber das Genie fehlt, sagt Hippokrates, so ist alle andre Sorgfalt vergebens. *) Cicero drückt dieses noch stärker aus, wenn er, bey Gelegenheit seines Sohnes, der aller angewandten Mittel ohngeachtet, nichts lernte, und zu des Vaters größter Betrübniß, ein dummer Kopf blieb, sagt: **) „Was sieht dem Streite der Riesen wider die Götter ähnlicher, als wenn sich ein Mensch auf die Wissenschaften legt, dem das Genie dazu fehlt?“ Wie die Riesen die Götter nicht überwanden, sondern allezeit von ihnen überwunden wurden, so wird auch ein Studirender, der mit seinem schlechten Kopfe kämpfet, ihm allezeit unterliegen müssen. Cicero giebt daher selbst den Rath, uns nicht wider unsre Natur zu zwingen, und mit Gewalt Redner werden zu wollen, weil alle Mühe vergebens seyn würde, wenn dasGenie darzu mangele.


63 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Jn gleicher Absicht erzählt Hippokrates, (in dem Briefe an den Damaget) daß er

*) Man muß wissen, wie weit sich die Grenzen jeder Wissenschaft erstrecken, und welche Fragen dahin einschlagen.

einstmals jenen grossen Weltweisen, den Demokrit, besucht, und sich mit ihm von den Meynungen unterredet habe, die der Pöbel von der Arzeneykunst heget, indem er, sobald er sich gesund siehet, behauptet, GOtt habe ihn gesund gemacht, ohne dessen Willen die geschickteste Sorgfalt des Arztes ganz umsonst wäre. Diese Art zu urtheilen ist so alt, und so unzähligmal von den Naturforschern widerlegt worden, daß es sehr überflüssig, ja einigermassen nachtheilig seyn würde, wenn ich mich, hier sie gänzlich abzuschaffen, bemühen wollte: weil es in der That besser ist, daß der Pöbel, der die nächsten Ursachen einer jeden Wirkung nicht weiß, die allgemeine Ursache, den Willen GOttes anführet, als daß er eine Ungereimtheit vorbringt. Unterdessen habe ich mich doch, mehr als einmal, den Grund auszuforschen bestrebt, warum das gemeine Volk so gar gerne alle Dinge gleich GOtt zuschreibt, die Natur verläßt, und alle natürliche Mittel, deren sich die Allmacht bedient, übersieht. Jch weiß nicht, ob ich es getroffen habe; so viel aber läßt sich leicht begreiffen, daß der Pöbel, weil er nicht weiß, welche Wirkungen er unmittelbar GOtt, und welche er der Natur zuschreiben soll, beynahe gedrungen ist, so zu reden. Erstlich, weil die Menschen größtentheils sehr ungeduldig sind. Sie sehen nichts lieber, als wenn das, was sie verlangen, sogleich geschieht, und haben selten kaltes Blut genug, die natürlichen Mittel ruhig abzuwarten, welche sich sehr weit erstrecken, und ihre Wirkungen nur mit der Folge der Zeit äussern. Sie wissen, daß GOtt allmächtig ist, und daß er in einem Augenblicke alles schaffen kann, was er will; und nach den Beyspielen, welche ihnen ihr Gedächtniß darbietet, verlangen sie eben so unmittelbar gesund, wie der Gichtbrüchtige; weise, wie Salomo; reich, wie Hiob; und, wie David, von ihren Feinden befreyet zu werden. Zweytens sind wir Menschen ein vermessenes und stolzes Geschöpfe. Es giebt nicht wenige, welche sogar verlangen, GOtt solle ihnen eine besondere Gnade, nicht eine so allgemeinnützige erzeigen, als etwa der Gebrauch der Sonne ist, die er über Gute und Böse aufgehen läßt; weil ihnen die Wohlthaten desto grösser scheinen, je wenigern sie erwiesen werden. Daher kömmt es, daß gewisse Leute Oertern, welche der Andacht gewidmet sind, Wunder, die daselbst geschehen seyn sollen, andichten. Der Pöbel besucht sie, und er verehrt sie als Personen, mit welchen GOtt eine besondre Rechnung hat, und theilt ihnen, wenn sie arm sind, reichliche Allmosen mit, so, daß ihr Aberglaube jenen zum Wucher wird. Drittens sind die Menschen sehr zur Bequemlichkeit geneigt; die natürlichen Ursachen aber sind so geordnet und so an einander gekettet, daß man nicht ohne Mühe zu ihren Wirkungen gelangen kann. Sie wollen also, daß GOtt mit ihnen nach seiner Allmacht handle, und daß ihre Wünsche oh ne ihren Schweiß erfüllt werden. Der Bosheit derjenigen will ich hier nicht gedenken, welche von GOtt Wunder verlangen, um seine Allmacht auf die Probe zu stellen, und zu sehen, ob er sie thun kann; oder um Feuer vom Himmel und andre grausame Strafen bitten, ihr rachbegieriges Herz zu befriedigen. Endlich will der größte Theil des Pöbels sehr fromm seyn. Er dringt auf die Verherrlichung GOttes, und glaubt, daß diese weit eher durch Wunder, als durch natürliche Wirkungen erlangt werde. Er weiß aber nicht, daß GOtt nur alsdenn übernatürliche Begebenheiten verrichtet, wenn er seine Allmacht an denjenigen, die sie nicht erkennen, beweisen, oder seine Lehre bestärken will; und daß ausser diesen Fällen sich GOtt natürlicher Mittel bedient. *) Dieses läßt sich leichtlich daher begreifen, weil GOtt heut zu Tage keine Wunder mehr thut, wie er in dem alten Testamente und zu Anfange des neuen gethan hat. Er thut sie aber deßwegen nicht mehr, weil er nunmehr auf seiner Seite alle Vorsorge angewandt hat, daß die Menschen ihre Unwissenheit nicht mehr vorwenden können. Zu glauben aber, GOtt werde eben die Beweise noch einmal führen, und werde seine Lehre mit neuen Wundern, z. E. durch Erweckung der

*) Und der Herr wirkte mit ihnen, und bekräftigte ihr Wort durch mitfolgende Zeichen. Marci am letzten.

Todten, durch Sehendmachung der Blinden, durch Heilung der Lahmen nnd Gichtbrüchtigen, aufs neue bestärken, ist ein sehr grosser Jrrthum, weil GOtt, was den Menschen zu wissen nöthig ist, nur einmal lehrt, und nur einmal mit Wundern beweiset, ohne sie jemals zu wiederholen. *) Jch weiß kein Merkmal, aus welchem man sicherer schliessen könnte, daß ein Mensch keine Fähigkeit zur Naturlehre habe, als wenn man siehet, daß er geneigt ist, aus allen Sachen ohne Unterschied Wunderwerke zu machen: da man im Gegentheile demjenigen, welcher nicht eher ruhet, als bis er die besondre Ursache einer Wirkung entdecket hat, das dazu erforderliche Genie sicher zutrauen kann. Dieser weiß, daß es Wirkungen giebt, mit welchen man unmittelbar auf GOtt zurück gehen muß, dergleichen die Wunder sind; daß es aber weit mehrere giebt, die ihre bestimmten Ursachen haben, die man also aus der Natur erklären muß, ob man gleich in diesem Falle sowohl als in jenem nur GOtt zum ersten Urheber angiebt. Wenn daher Aristoteles sagt: GOtt und die Natur thun nichts umsonst; so ist seine Meynung nicht, als wäre die Natur eine von GOtt abgesonderte und mit ihm gleich allgemeine Ursache. Er verstehet vielmehr unter der Natur diejenige Ordnung, welche GOtt in der Welt festgesetzt hat, und

*) Semel loquitur Deus, et secundo id ipsum non repetit. Hiob 33, 14.

nach welcher die Ursachen und Wirkungen so verbunden sind, als es die Erhaltung der Welt erfordert. Auf eben die Art sagt man: der König und das Gesetz thun niemanden Unrecht. Hier heißt das Gesetz nicht etwas gewisses, welches mit dem Könige, ohne von ihm abzuhängen, die oberste Gewalt zugleich führet; sondern es ist nichts, als der Name, welcher alle Gesetze und Verordnung unter sich begreift, die der König zur Erhaltung der Ruhe in seinemStaate hat bekannt machen lassen. Wie sich also der König gewisse Fälle vorbehalten hat, welche durch das Gesetz nicht entschieden werden können, weil sie allzu besonders und wichtig sind; eben so hat sich GOtt die wunderbaren Wirkungen vorbehalten, welchen er natürliche Ursachen weder geben konnte, noch wollte. Hier muß man aber wohl merken, daß es nur eine Sache für einen sehr grossen Naturforscher sey, die übernatürlichen Wirkungen zu erkennen, und sie von den natürlichen zu unterscheiden, weil er die bestimmten Ursachen aller und jeder Wirkungen kennen muß; welches aber gleichwohl noch nicht genug ist, wenn nicht die rechtgläubige Kirche dasjenige, was er für Wunder erkennet, gleichfalls für Wunder annimmt. DieNaturlehrer müssen eben das thun, was die Rechtsgelehrten thun. *) Diese lesen das bürgerliche

*) Die Unwissenheit in der Naturlehre macht Wunder, wo keine sind.

Gesetz und drücken es ihrem Gedächtnisse fest ein, damit sie in dem oder jenem Falle untrüglich wissen mögen, was des Königs Wille sey; jene bestreben sich die Ordnung und Folge zu erkennen, welche GOtt, gleich von dem ersten Tage der Schöpfung an, in der Welt feststellte, damit sie die Art einsehen können, nach welcher er eine Wirkung aus der andern hat wollen entspringen lassen. Wie es also sehr lächerlich wäre, wenn ein Rechtsgelehrter in seinen Schriften als etwas ausgemachtes anführte, der König wolle diesen oder jenen Fall so und nicht anders entschieden wissen, ohne das Gesetz zu nennen, nach welchem er entschieden werden muß; eben so lächerlich kömmt es den Naturforschern vor, wenn sie jemanden sagen hören: dieses oder jenes Werk ist von GOtt, ohne daß er die Reihe der besondern Ursachen, aus welchen es entspringen kann, angiebt. Und wie der König denjenigen nicht erhören will, welcher von ihm die Abschaffung eines gerechten Gesetzes, oder die Entscheidung eines Falles wider die Art, nach welcher er will, daß in den Gerichten entschieden werden soll, bittet; so will auch GOtt denjenigen nicht erhören, welcher ohne Noth Wunder oder Thaten, die in dem Zusammenhange der Welt ihren Grund nicht haben, verlangt. Denn obgleich ein König fast alle Tage Gesetze giebt und aufhebt, und die gerechtlichen Verfahrungen ändert, theils, weil sich die Umstände der Zeit ändern, theils, weil die menschliche Klug heit viel zu schwach ist, als daß sie gleich auf das erstemal alles nach der schärfsten Wahrheit und Gerechtigkeit anordnen sollte; so hat doch der einmal von GOtt festgesetzte Zusammenhang, nach welchem in der Welt eins aus dem andern folgt, und welchen wir die Natur nennen, nicht nöthig, daß er nur in dem geringsten Stücke aufgehoben oder verändert werde, weil ihn GOtt mit einer so unendlichen Weisheit angeordnet hat, daß derjenige, welcher von ihm etwas ausser und wider diesen Zusammenhang zu thun bittet, durch diese Bitte sein Werk für unvollkommen erkläret.


64 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

*) Hippokrates drückt sich sehr schlecht aus, wenn er (ἐπιδημιων το ἑκτον, τμημα πεμ-πτον) sagt: ἀνθρωπου ψυχη αει φυεται με- χρι θανατου. Siehe des Galenusεἰς το περι Φυσεως ἀνθρωπου του Ιπποκρατους ὑπομνημα α; sein Buch, ὁτι τα της ψυχης ἠθη ταις του σωματος κρασεσι επεται, und des Plato Gespräch περι ψυχης.


65 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Aristoteles, *) und die übrigen Philosophen, drücken sich näher aus, und erklären die Natur durch die selbstständige Form, welche einem Dinge das Seyn giebt, und die Grundursache aller seiner Wirkungen ist. Nach dieser Erklärung würde unsere vernünftige Seele die Natur zu nennen seyn, weil sie es ist, die uns zu Menschen macht, und von ihr alle unsre Handlungen und Verrichtungen herrühren. Da aber alle vernünftige Seelen von einerley Vollkommen

*) Φυσικης ἀκροασεως το β. κεφ. α.

heit sind, sowohl die Seele des Weisen als des Narren, so kann man nicht behaupten, daß die Natur in dieser Bedeutung dasjenige sey, welches den Menschen die Fähigkeit gäbe; weil sonst alle Menschen ohne Ausnahme einerley Genie, und einerley Seelenkräfte haben müßten. Aristoteles selbst sucht daher *) eine andre Bedeutung des Worts Natur, in so ferne sie die Ursache ist, warum die Menschen fähig oder unfähig sind. Er sagt nämlich, die verschiednen Vermischungen der Wärme, Kälte, Feuchtigkeit und Trockenheit wäre es, welche man die Natur nennen müsse, weil nur von dieser Vermischung alle Fähigkeiten des Menschen, seineTugenden und seine Laster, und die grosse Verschiedenheit ihrer Genies abhängen könnten. Dieses erhellet deutlich, wenn man die verschiednen Lebensalter auch des weisesten Menschen betrachtet. Er ist in seiner Kindheit nichts als ein unvernünftiges Thier, an welchem sich keine andere Kräfte äussern, als Zorn und Begierde. Jn seiner Jugend fängt er allmälig an, das vortrefliche Genie zu entdecken, welches aber, wie die Erfahrung lehret, nur eine gewisse Zeit und nicht länger dauert; denn wenn das Alter herannahet, so vermindern sich seine Kräfte von Tag zu Tage, bis sie sich endlich gar verlie=

*) προβληματων τμημα το λ.

ren. *) Daß diese Verschiedenheit des Genies nicht von der vernünftigen Seele herrührt, ist unwidersprechlich, weil sie in allen Lebensaltern eben dieselbe ist, ohne an ihren Kräften oder an ihrem Wesen die geringsten Veränderungen zu er dulden; sondern daher, daß jedes Alter sein besondres Temperament, und seine verschiedne Leibesbeschaffenheit hat, vermöge welcher die Seele gewisse Handlungen in der Kindheit, andre in der Jugend, und andre im Alter vornimmt. Da aber, welches unleugbar ist, eben dieselbe Seele in eben demselben Körper ganz verschiedene Handlungen wirken kann, weil sie in jedem Alter ein ganz verschiednes Temperament hat; so kann ja wohl auch der Unterschied zweyer Knaben, wovon der eine fähig, der andre aber dumm ist, nirgends anders herrühren, als aus beyder durchaus verschiednem Temperamente, welches die Arzneygelehrten und Weltweisen, weil von ihm alle Handlungen der vernünftigen Seele bestimmt werden, die Natur nennen. Jn dieser Bedeutung nun hat der Ausspruch seine vollkommene Richtigkeit: die Natur macht

*) Hippokrates drückt sich sehr schlecht aus, wenn er (ἐπιδημιων το ἑκτον, τμημα πεμ-πτον) sagt: ἀνθρωπου ψυχη αει φυεται με- χρι θανατου. Siehe des Galenusεἰς το περι Φυσεως ἀνθρωπου του Ιπποκρατους ὑπομνημα α; sein Buch, ὁτι τα της ψυχης ἠθη ταις του σωματος κρασεσι επεται, und des Plato Gespräch περι ψυχης.

uns fähig. Zur Bestärkung dieser Lehre schrieb Galenus ein ganzes Buch, worinnen er bewies, daß die Eigenschaften der Seele von dem Temperamente des mit ihr verbundenen Körpers abhängen, und daß, nach Beschaffenheit der Wärme, Kälte, Trockenheit oder Feuchtigkeit des Landes, nach Beschaffenheit der Speisen, des Wassers, und der Luft, die Menschen bald dumm, bald klug; bald tapfer, bald feige; bald grausam, bald barmherzig; bald zurückhaltend, bald offenherzig; bald lügenhaft, bald aufrichtig; bald verrätherisch, bald treu; bald unruhig, bald stille; bald verschmitzt, bald einfältig; bald geitzig, bald freygebig; bald verschämt, bald unverschämt; bald schwer, bald leicht zu überreden wären. Er führt in dieser Absicht eine ziemliche Anzahl Stellen aus dem Hippokrates, Plato und Aristoteles an, welche alle behaupten, daß die Verschiedenheit der Völker, sowohl in Ansehung des Baues ihrer Körper, als der Aeusserungen ihrer Seelen, von der Verschiedenheit des Temperaments herrühre. Und man darf nur die Erfahrung zu Rathe ziehen. Wie unendlich sind nicht die Griechen von den Scythen, die Franzosen von den Spaniern, die Jndianer von den Deutschen, die Aethiopier von denEngländern unterschieden! Doch, was brauchen wir so weit entlegene Länder gegen einander zu halten? Wir dürfen ja nur die Provinzen betrachten, die das einzige Spanien umschließt, und es wird nicht schwer seyn, eine Aus theilung der nur gedachten Tugenden und Laster unter ihnen zu machen. Man betrachte nur einmal das Genie und die Sitten der Catalonier, der Valencianer, der Murcianer, der Granadiner, der Andalusier, der Estremenger, der Portugiesen, der Galleger, der Asturianer, der Montangesen, der Biscajaner, der Navarrer, der Arragonesen, und der innersten Einwohner Castiliens. Wer sieht nicht, wie sehr sie nicht allein nach ihrer Gesichtsbildung, und nach dem Baue ihres Körpers, sondern auch nach den Tugenden und Lastern ihrer Seelen von einander abweichen? Alle diese Abweichungen aber entstehen bloß daher, weil jede Provinz ihre besondere, und von andern unterschiedene natürliche Einrichtung hat. Doch auch diese Provinzen mögen noch zu weit auseinander liegen; der Unterschied der Sitten äussert sich schon an Oertern, die kaum eine kleine Meile von einander entfernet sind, so daß die Mannigfaltigkeit derGenies unter den Einwohnern eines sehr kleinen Strichs ganz unglaublich ist.


66 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Vor den Zeiten des Hippokrates und Plato war es eine von den Naturforschern fast durchgängig angenommene Meynung, das Herz sey der vornehmste Theil, wo die Seele ihren Sitz habe, und das Werkzeug, wodurch sie alle Handlungen der Klugheit, der Scharfsinnigkeit, des Gedächtnisses und des Verstandes verrichte. *) Sogar die heilige Schrift bequemt sich nach der damals gewöhnlichen Art zu reden, indem sie hin und wieder des Herzens, als des vorzüglichsten Theiles des Menschen gedenkt. Als aber jene zwey grossen Weltweisen auftraten, so bewiesen sie aus unzähligen Gründen und Erfahrungen, daß das Gehirn der vornehmste Sitz der vernünftigen Seele sey. Diese Entdeckung nahmen alle an, nur Aristoteles nicht, welcher aus Begierde, dem Plato in allen zu widersprechen, die alte Meynung wieder aufwärmte, und sie mit topischen Argumenten wahrscheinlich zu machen suchte. Welches die wahrscheinlichste Meynung sey, ist jetzt nicht mehr Zeit zu fragen; denn keiner von den jetzigen Weltweisen wird es noch in Zweifel ziehen, daß das Gehirn dasjenige Werkzeug sey, welches die Natur bestimmt habe, den Menschen verständig und fähig zu machen. Nur kömmt es darauf an, daß man erkläret, wie dieser Theil beschaffen seyn müsse, wenn er die gehörige Vollkommenheit haben, und der Knabe aus diesem Grunde vonGenie und Fähigkeit seyn soll.


67 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Die Mischung der vier Hauptbeschaffenheiten, welche wir in dem vorhergehenden die Natur genannt haben, ist von solcher Gewalt, daß sie Pflanzen, Thiere und Menschen, jedes zu denjenigen Verrichtungen antreibt, welche seinem Geschlechte zukommen. Wenn sie so vollkommen ist, als sie seyn kann, so wissen, ohne jemands Unterricht, die Pflanzen sogleich in der Erde Wurzel zu schlagen, durch dieselbe Nahrung an sich zu ziehen, sie zu behalten, sie in Säfte zu verwandeln, und das Unbrauchbare derselben wieder von sich zu stossen. Die Thiere kennen sogleich von ihrer Geburt an das, was ihrer Natur zuträglich ist, und fliehen das, was ihr zuwider und verderblich ist. Was aber diejenigen, die keine Kenntniß der Natur haben, zu noch grösserm Erstaunen bringen muß, ist, daß der Mensch, wenn er ein wohleingerichtetes Gehirn hat, das zu dieser oder jener Wissenschaft besonders bequem ist, aus dieser Wissenschaft sogleich, ohne daß er sie jemals erlernt hat, so feine und versteckte Sachen vorzubringen weiß, daß man es kaum glauben sollte. Die gemeinen Philosophen, wenn sie die wunderbaren Handlungen der unvernünftigen Thiere sehen, sagen, man dürfe sich eben darüber nicht wundern, weil sie alles aus einem eingepflanzten Triebe der Natur thäten, welcher jedes Thier lehre, was ihm nach seiner Art zu thun zukomme. Und sie haben auch nicht Unrecht, weil, wie wir schon bewiesen haben, die Natur nichts anders ist, als die Mischung der vier Hauptbeschaffenheiten, nach welcher eine jede Seele, was ihr zukömmt, wirket: wenn sie nur unter dem eingepflanzten Triebe der Natur nicht einen Mischmasch von Dingen verständen, wovon sie nur die Hülle kennen, keines aber zu erklären und deutlich zu machen wissen. Die tiefsinnigern Weltweisen, Hippokrates, Plato und Aristoteles schränken alle diese wunderbaren Handlungen auf die Wärme, Kälte, Feuchtigkeit und Trockenheit ein, und nehmen diese zu der ersten Ursache an, ohne einen Schritt weiter zu gehen. Wenn man also fragt: wer ist es, der den Menschen schliessen lehret? so ant wortet Hippokrates: *) φυσιες παντων ἀδι-δακτοι; gleich als ob er sagen wollte: die Vermögenheiten oder das Temperament, welches diese Vermögenheiten ausmacht, sind alle verständig, ohne daß sie von jemanden den geringsten Unterricht bekommen hätten. Dieses scheinet sehr deutlich aus der Betrachtung derSeele, von welcher der Mensch regieret wird, zu erhellen, besonders der Pflanzenseele, die aus einem Stäubchen menschlichen Saamens, nachdem sie es wohl durchwirkt und zubereitet, und ihm die gehörige Temperatur mitgetheilet hat, einen so schönen und so wohl organisirten Körper macht, daß alle Künstler in der Welt ihn so schön nicht nachmachen können. Galenus**) selbst erstaunt über dieses wundervolle Gebäude, über die Anzahl seiner Theile, über die Gestalt und über den Gebrauch eines jeden Theiles insbesondere so sehr, daß er gar behauptet, es wäre unmöglich, daß die vegetativische Seele, oder das Temperament, ein so erstaunliches Werk machen könnten, ohne daß GOtt oder ein anderes weises Wesen der Urheber davon sey.Ακραν γαρ ὁρω ἐν τη διαπλασει σοφιαν τε ἁμα και δυναμιν, οὐτε την ἐν τω σπερματι ψυχην, φυτικην μεν ὑπο των περι τον Αρι-ϛοτελην καλουμενην, ἐπιθυμιτκην δε ὑπο Πλατωνος, ὑπο δε των ϛωικων οὐδε ψυχην ὁλως ἀλλα φυσιν, ἡγουμαι διαπλαττειν το

*) περι τροΦης.

**) (περι κυκουμενων διαπλασεως.

ἐμβρυον, οὐ μονον, οὐκ οὐσαν σοφην, αλλα και πανταπασιν ἀλογον u. s. w. Doch diese Art von GOtt zu reden, welche zwar überhaupt ihren Grund hat, ist schon in dem vorhergehenden von uns verworfen worden, weil es einemNaturforscher unanständig ist, mit den Wirkungen unmittelbar auf GOtt zurückzugehen, und die nächsten natürlichen Ursachen zu überspringen. Besonders aber ist es ihm in diesem Falle unanständig, wo uns die Erfahrung nicht selten lehret, daß, wenn der menschliche Saamen nicht beschaffen ist, wie er seyn soll, die vegetativische Seele tausend Fehler begehet. Jst er z. E. feuchter und kälter, als er seyn soll, so kommen, sagt Hippokrates, *) Untüchtige oder Zwitter daraus; ist er allzutrocken und warm, sagt Aristoteles, **) so entstehen Dicklippigte, Krummbeinigte und Stumpfnäsigte, wie die Mohren sind; ist er allzu feuchte, sagtGalenus, ***) so wird der Körper groß und unförmlich; ist er aber zu trocken, so wird der Körper zu klein. Alles dieses sind Mängel an dem menschlichen Geschlechte, derentwegen die Natur weder gelobt, noch weise genannt werden kann, und deren keiner da seyn würde, wenn GOtt die unmittelbare Ursache von dem Baue des menschlichen Körpers wäre. Die ersten Menschen allein, sagtPlato, ****) sind von GOtt erschaffen worden;

*) περι ἀερων, ὑδατων, τοπων.

**) προβληματων τμημα δ.

***) περι ἀριϛης κατασκευης του σωματος.

****) περι ανθρωπου φυσεως.

die andern alle hat die Folge natürlicher Ursachen hervorgebracht. Wenn diese Folge so ist, wie sie seyn soll, so bringt die vegetativische Seele ihre Wirkungen glücklich zu Stande: ist sie es aber nicht, so begeht diese Seele in ihrem Baue tausend Fehler. Worinnen besteht aber die gute Verbinduug der zu dieser Absicht bestimmten natürlichen Ursachen? Jn nichts anders, als in dem guten Temperament der vegetativischen Seele. Wenn sie darinnen nicht besteht, so sage mir einmal Galenus, oder ein anderer Weltweise, er sey wer er wolle, warum die vegetativische Seele in dem zartesten Alter des Menschen so viel Weisheit und Macht hat, daß sie den Körper bilden, wachsen lassen, und erhalten kann; und warum sie im Alter diese Weisheit und Macht nicht hat? Warum, wenn einem Alten ein Backzahn ausfällt, dieser Backzahn nimmermehr wieder wachsen kann, und warum gleichwohl ein Kind die Zähne, wenn sie ihm auch alle ausfielen, wieder bekömmt? Jst es wohl möglich, daß eine Seele, die Zeit ihres Daseyns mit nichts anders beschäftiget gewesen ist, als Nahrung an sich zu ziehen, sie zu behalten, sie zu verdauen, das Unnütze von sich zu stossen, und die fehlenden Theile zu ersetzen, alles dieses am Ende ihres Daseyns so sehr vergessen sollte, daß sie keines mehr thun könnte? Was Galenus hierauf antworten könnte, ist unwidersprechlich, daß nämlich die vegetativische Seele darum in ihrer Jugend so weise und mächtig sey, weil sie viel natürliche Wärme und Feuchtigkeit habe: daß sie es aber in ihrem Alter nicht sey, weil der Körper alsdann allzutrocken und kalt ist.


68 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Die Mischung der vier Hauptbeschaffenheiten, welche wir in dem vorhergehenden die Natur genannt haben, ist von solcher Gewalt, daß sie Pflanzen, Thiere und Menschen, jedes zu denjenigen Verrichtungen antreibt, welche seinem Geschlechte zukommen. Wenn sie so vollkommen ist, als sie seyn kann, so wissen, ohne jemands Unterricht, die Pflanzen sogleich in der Erde Wurzel zu schlagen, durch dieselbe Nahrung an sich zu ziehen, sie zu behalten, sie in Säfte zu verwandeln, und das Unbrauchbare derselben wieder von sich zu stossen. Die Thiere kennen sogleich von ihrer Geburt an das, was ihrer Natur zuträglich ist, und fliehen das, was ihr zuwider und verderblich ist. Was aber diejenigen, die keine Kenntniß der Natur haben, zu noch grösserm Erstaunen bringen muß, ist, daß der Mensch, wenn er ein wohleingerichtetes Gehirn hat, das zu dieser oder jener Wissenschaft besonders bequem ist, aus dieser Wissenschaft sogleich, ohne daß er sie jemals erlernt hat, so feine und versteckte Sachen vorzubringen weiß, daß man es kaum glauben sollte. Die gemeinen Philosophen, wenn sie die wunderbaren Handlungen der unvernünftigen Thiere sehen, sagen, man dürfe sich eben darüber nicht wundern, weil sie alles aus einem eingepflanzten Triebe der Natur thäten, welcher jedes Thier lehre, was ihm nach seiner Art zu thun zukomme. Und sie haben auch nicht Unrecht, weil, wie wir schon bewiesen haben, die Natur nichts anders ist, als die Mischung der vier Hauptbeschaffenheiten, nach welcher eine jede Seele, was ihr zukömmt, wirket: wenn sie nur unter dem eingepflanzten Triebe der Natur nicht einen Mischmasch von Dingen verständen, wovon sie nur die Hülle kennen, keines aber zu erklären und deutlich zu machen wissen. Die tiefsinnigern Weltweisen, Hippokrates, Plato und Aristoteles schränken alle diese wunderbaren Handlungen auf die Wärme, Kälte, Feuchtigkeit und Trockenheit ein, und nehmen diese zu der ersten Ursache an, ohne einen Schritt weiter zu gehen. Wenn man also fragt: wer ist es, der den Menschen schliessen lehret? so ant wortet Hippokrates: *) φυσιες παντων ἀδι-δακτοι; gleich als ob er sagen wollte: die Vermögenheiten oder das Temperament, welches diese Vermögenheiten ausmacht, sind alle verständig, ohne daß sie von jemanden den geringsten Unterricht bekommen hätten. Dieses scheinet sehr deutlich aus der Betrachtung derSeele, von welcher der Mensch regieret wird, zu erhellen, besonders der Pflanzenseele, die aus einem Stäubchen menschlichen Saamens, nachdem sie es wohl durchwirkt und zubereitet, und ihm die gehörige Temperatur mitgetheilet hat, einen so schönen und so wohl organisirten Körper macht, daß alle Künstler in der Welt ihn so schön nicht nachmachen können. Galenus**) selbst erstaunt über dieses wundervolle Gebäude, über die Anzahl seiner Theile, über die Gestalt und über den Gebrauch eines jeden Theiles insbesondere so sehr, daß er gar behauptet, es wäre unmöglich, daß die vegetativische Seele, oder das Temperament, ein so erstaunliches Werk machen könnten, ohne daß GOtt oder ein anderes weises Wesen der Urheber davon sey.Ακραν γαρ ὁρω ἐν τη διαπλασει σοφιαν τε ἁμα και δυναμιν, οὐτε την ἐν τω σπερματι ψυχην, φυτικην μεν ὑπο των περι τον Αρι-ϛοτελην καλουμενην, ἐπιθυμιτκην δε ὑπο Πλατωνος, ὑπο δε των ϛωικων οὐδε ψυχην ὁλως ἀλλα φυσιν, ἡγουμαι διαπλαττειν το

*) περι τροΦης.

**) (περι κυκουμενων διαπλασεως.

ἐμβρυον, οὐ μονον, οὐκ οὐσαν σοφην, αλλα και πανταπασιν ἀλογον u. s. w. Doch diese Art von GOtt zu reden, welche zwar überhaupt ihren Grund hat, ist schon in dem vorhergehenden von uns verworfen worden, weil es einemNaturforscher unanständig ist, mit den Wirkungen unmittelbar auf GOtt zurückzugehen, und die nächsten natürlichen Ursachen zu überspringen. Besonders aber ist es ihm in diesem Falle unanständig, wo uns die Erfahrung nicht selten lehret, daß, wenn der menschliche Saamen nicht beschaffen ist, wie er seyn soll, die vegetativische Seele tausend Fehler begehet. Jst er z. E. feuchter und kälter, als er seyn soll, so kommen, sagt Hippokrates, *) Untüchtige oder Zwitter daraus; ist er allzutrocken und warm, sagt Aristoteles, **) so entstehen Dicklippigte, Krummbeinigte und Stumpfnäsigte, wie die Mohren sind; ist er allzu feuchte, sagtGalenus, ***) so wird der Körper groß und unförmlich; ist er aber zu trocken, so wird der Körper zu klein. Alles dieses sind Mängel an dem menschlichen Geschlechte, derentwegen die Natur weder gelobt, noch weise genannt werden kann, und deren keiner da seyn würde, wenn GOtt die unmittelbare Ursache von dem Baue des menschlichen Körpers wäre. Die ersten Menschen allein, sagtPlato, ****) sind von GOtt erschaffen worden;

*) περι ἀερων, ὑδατων, τοπων.

**) προβληματων τμημα δ.

***) περι ἀριϛης κατασκευης του σωματος.

****) περι ανθρωπου φυσεως.

die andern alle hat die Folge natürlicher Ursachen hervorgebracht. Wenn diese Folge so ist, wie sie seyn soll, so bringt die vegetativische Seele ihre Wirkungen glücklich zu Stande: ist sie es aber nicht, so begeht diese Seele in ihrem Baue tausend Fehler. Worinnen besteht aber die gute Verbinduug der zu dieser Absicht bestimmten natürlichen Ursachen? Jn nichts anders, als in dem guten Temperament der vegetativischen Seele. Wenn sie darinnen nicht besteht, so sage mir einmal Galenus, oder ein anderer Weltweise, er sey wer er wolle, warum die vegetativische Seele in dem zartesten Alter des Menschen so viel Weisheit und Macht hat, daß sie den Körper bilden, wachsen lassen, und erhalten kann; und warum sie im Alter diese Weisheit und Macht nicht hat? Warum, wenn einem Alten ein Backzahn ausfällt, dieser Backzahn nimmermehr wieder wachsen kann, und warum gleichwohl ein Kind die Zähne, wenn sie ihm auch alle ausfielen, wieder bekömmt? Jst es wohl möglich, daß eine Seele, die Zeit ihres Daseyns mit nichts anders beschäftiget gewesen ist, als Nahrung an sich zu ziehen, sie zu behalten, sie zu verdauen, das Unnütze von sich zu stossen, und die fehlenden Theile zu ersetzen, alles dieses am Ende ihres Daseyns so sehr vergessen sollte, daß sie keines mehr thun könnte? Was Galenus hierauf antworten könnte, ist unwidersprechlich, daß nämlich die vegetativische Seele darum in ihrer Jugend so weise und mächtig sey, weil sie viel natürliche Wärme und Feuchtigkeit habe: daß sie es aber in ihrem Alter nicht sey, weil der Körper alsdann allzutrocken und kalt ist.


69 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Die Mischung der vier Hauptbeschaffenheiten, welche wir in dem vorhergehenden die Natur genannt haben, ist von solcher Gewalt, daß sie Pflanzen, Thiere und Menschen, jedes zu denjenigen Verrichtungen antreibt, welche seinem Geschlechte zukommen. Wenn sie so vollkommen ist, als sie seyn kann, so wissen, ohne jemands Unterricht, die Pflanzen sogleich in der Erde Wurzel zu schlagen, durch dieselbe Nahrung an sich zu ziehen, sie zu behalten, sie in Säfte zu verwandeln, und das Unbrauchbare derselben wieder von sich zu stossen. Die Thiere kennen sogleich von ihrer Geburt an das, was ihrer Natur zuträglich ist, und fliehen das, was ihr zuwider und verderblich ist. Was aber diejenigen, die keine Kenntniß der Natur haben, zu noch grösserm Erstaunen bringen muß, ist, daß der Mensch, wenn er ein wohleingerichtetes Gehirn hat, das zu dieser oder jener Wissenschaft besonders bequem ist, aus dieser Wissenschaft sogleich, ohne daß er sie jemals erlernt hat, so feine und versteckte Sachen vorzubringen weiß, daß man es kaum glauben sollte. Die gemeinen Philosophen, wenn sie die wunderbaren Handlungen der unvernünftigen Thiere sehen, sagen, man dürfe sich eben darüber nicht wundern, weil sie alles aus einem eingepflanzten Triebe der Natur thäten, welcher jedes Thier lehre, was ihm nach seiner Art zu thun zukomme. Und sie haben auch nicht Unrecht, weil, wie wir schon bewiesen haben, die Natur nichts anders ist, als die Mischung der vier Hauptbeschaffenheiten, nach welcher eine jede Seele, was ihr zukömmt, wirket: wenn sie nur unter dem eingepflanzten Triebe der Natur nicht einen Mischmasch von Dingen verständen, wovon sie nur die Hülle kennen, keines aber zu erklären und deutlich zu machen wissen. Die tiefsinnigern Weltweisen, Hippokrates, Plato und Aristoteles schränken alle diese wunderbaren Handlungen auf die Wärme, Kälte, Feuchtigkeit und Trockenheit ein, und nehmen diese zu der ersten Ursache an, ohne einen Schritt weiter zu gehen. Wenn man also fragt: wer ist es, der den Menschen schliessen lehret? so ant wortet Hippokrates: *) φυσιες παντων ἀδι-δακτοι; gleich als ob er sagen wollte: die Vermögenheiten oder das Temperament, welches diese Vermögenheiten ausmacht, sind alle verständig, ohne daß sie von jemanden den geringsten Unterricht bekommen hätten. Dieses scheinet sehr deutlich aus der Betrachtung derSeele, von welcher der Mensch regieret wird, zu erhellen, besonders der Pflanzenseele, die aus einem Stäubchen menschlichen Saamens, nachdem sie es wohl durchwirkt und zubereitet, und ihm die gehörige Temperatur mitgetheilet hat, einen so schönen und so wohl organisirten Körper macht, daß alle Künstler in der Welt ihn so schön nicht nachmachen können. Galenus**) selbst erstaunt über dieses wundervolle Gebäude, über die Anzahl seiner Theile, über die Gestalt und über den Gebrauch eines jeden Theiles insbesondere so sehr, daß er gar behauptet, es wäre unmöglich, daß die vegetativische Seele, oder das Temperament, ein so erstaunliches Werk machen könnten, ohne daß GOtt oder ein anderes weises Wesen der Urheber davon sey.Ακραν γαρ ὁρω ἐν τη διαπλασει σοφιαν τε ἁμα και δυναμιν, οὐτε την ἐν τω σπερματι ψυχην, φυτικην μεν ὑπο των περι τον Αρι-ϛοτελην καλουμενην, ἐπιθυμιτκην δε ὑπο Πλατωνος, ὑπο δε των ϛωικων οὐδε ψυχην ὁλως ἀλλα φυσιν, ἡγουμαι διαπλαττειν το

*) περι τροΦης.

**) (περι κυκουμενων διαπλασεως.

ἐμβρυον, οὐ μονον, οὐκ οὐσαν σοφην, αλλα και πανταπασιν ἀλογον u. s. w. Doch diese Art von GOtt zu reden, welche zwar überhaupt ihren Grund hat, ist schon in dem vorhergehenden von uns verworfen worden, weil es einemNaturforscher unanständig ist, mit den Wirkungen unmittelbar auf GOtt zurückzugehen, und die nächsten natürlichen Ursachen zu überspringen. Besonders aber ist es ihm in diesem Falle unanständig, wo uns die Erfahrung nicht selten lehret, daß, wenn der menschliche Saamen nicht beschaffen ist, wie er seyn soll, die vegetativische Seele tausend Fehler begehet. Jst er z. E. feuchter und kälter, als er seyn soll, so kommen, sagt Hippokrates, *) Untüchtige oder Zwitter daraus; ist er allzutrocken und warm, sagt Aristoteles, **) so entstehen Dicklippigte, Krummbeinigte und Stumpfnäsigte, wie die Mohren sind; ist er allzu feuchte, sagtGalenus, ***) so wird der Körper groß und unförmlich; ist er aber zu trocken, so wird der Körper zu klein. Alles dieses sind Mängel an dem menschlichen Geschlechte, derentwegen die Natur weder gelobt, noch weise genannt werden kann, und deren keiner da seyn würde, wenn GOtt die unmittelbare Ursache von dem Baue des menschlichen Körpers wäre. Die ersten Menschen allein, sagtPlato, ****) sind von GOtt erschaffen worden;

*) περι ἀερων, ὑδατων, τοπων.

**) προβληματων τμημα δ.

***) περι ἀριϛης κατασκευης του σωματος.

****) περι ανθρωπου φυσεως.

die andern alle hat die Folge natürlicher Ursachen hervorgebracht. Wenn diese Folge so ist, wie sie seyn soll, so bringt die vegetativische Seele ihre Wirkungen glücklich zu Stande: ist sie es aber nicht, so begeht diese Seele in ihrem Baue tausend Fehler. Worinnen besteht aber die gute Verbinduug der zu dieser Absicht bestimmten natürlichen Ursachen? Jn nichts anders, als in dem guten Temperament der vegetativischen Seele. Wenn sie darinnen nicht besteht, so sage mir einmal Galenus, oder ein anderer Weltweise, er sey wer er wolle, warum die vegetativische Seele in dem zartesten Alter des Menschen so viel Weisheit und Macht hat, daß sie den Körper bilden, wachsen lassen, und erhalten kann; und warum sie im Alter diese Weisheit und Macht nicht hat? Warum, wenn einem Alten ein Backzahn ausfällt, dieser Backzahn nimmermehr wieder wachsen kann, und warum gleichwohl ein Kind die Zähne, wenn sie ihm auch alle ausfielen, wieder bekömmt? Jst es wohl möglich, daß eine Seele, die Zeit ihres Daseyns mit nichts anders beschäftiget gewesen ist, als Nahrung an sich zu ziehen, sie zu behalten, sie zu verdauen, das Unnütze von sich zu stossen, und die fehlenden Theile zu ersetzen, alles dieses am Ende ihres Daseyns so sehr vergessen sollte, daß sie keines mehr thun könnte? Was Galenus hierauf antworten könnte, ist unwidersprechlich, daß nämlich die vegetativische Seele darum in ihrer Jugend so weise und mächtig sey, weil sie viel natürliche Wärme und Feuchtigkeit habe: daß sie es aber in ihrem Alter nicht sey, weil der Körper alsdann allzutrocken und kalt ist.


70 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Auf eben die Art hänget die Weisheit der sensitivischen Seele von der Mischung in dem Gehirne ab. Wenn diese gut ist, und so wie sie ihre Verrichtungen erfordern, so gehen ihre Verrichtungen auch wohl von statten; wo aber nicht, so fällt sie in eben so viel Fehler als die vegetativische Seele. Galenus hat ein Mittel ausfindig gemacht, die Weisheit der sensitivischen Seele mit Augen zu sehen und zu betrachten. Er nahm nämlich ein junges Böckchen, das nur erst geworfen worden: sobald man es auf die Erde setzte, fieng es an zu gehen, nicht anders, als wenn man es gelehrt hätte, daß die Beine zu diesem Gebrauche gemacht wären; hierauf schüttelte es sich die überflüssige Feuchtigkeit ab, die es mit aus der Mutter gebracht; es hob den Fuß auf, und kratzte sich damit hinter dem Ohre, und als man ihm verschiedene kleine Näpfe vorsetzte, wovon eins mit Wein, das andre mit Wasser, das dritte mit Essig, und endlich eins mit Milch, gefüllet war, so beroch es zwar alle, aus keinem aber trank es, als aus dem mit der Milch. Verschiedne Weltweise, die diese Erfahrung zugleich mit dem Galenus anstellten,

*) περι των πεπονθοτων τοπων, βιβλιον ς.

gestanden einmüthig, Hippokrates habe das größte Recht gehabt, zu sagen, die Seelen wären weise, ohne einigen Unterricht bekommen zu haben. Hierbey aber blieb Galenus noch nicht stehen. Als zwey Monate verflossen waren, nahm er es halb todt vor Hunger auf das Feld, wo es verschiedene Kräuter beroch, keine andre aber fraß, als die, welche die Thiere seines Geschlechts zu fressen pflegen. Hätte er aber seine Bemerkungen, so wie er sie mit einem jungen Bocke vorgenommen, mit drey oder vieren zugleich angestellt, so würde er gesehen haben, daß einer besser, als der andere gehe, sich mehr, als der andere schüttele, oder kratze, kurz, daß jeder alle gedachte Handlungen besser oder schlechter zeige, alsdie andern. Hätte er ferner verschiedene Füllen aufgezogen, so würde er gesehen haben, daß immer eines die Füsse mit mehr Geschwindigkeit und Anmuth hebe, oder stärker laufestärkerlaufe, oder leichter anzuhalten sey, oder auch mehr Treue beweise, als das andre; gesetzt, sie wären auch alle nur von einem Vater und einer Mutter gewesen. Er hätte auch nur ein Nest junger Falken nehmen, und diese aufziehen dürfen; einer würde ohne Zweifel schneller im Fluge; ein anderer geschickter zur Jagd; ein dritter gefrässiger oder sonst unfähiger geworden seyn. Eben dieses kann man an jungen Hünerhunden sehen; der eine, ob sie gleich alle von einem Wurfe sind, kann mit wenig Mühe zur Jagd abgerichtet werden, wenn aus dem andern kaum ein guter Hirtenhund wird. Das alles kann man unmöglich jenem von den Philosophen erdachten und nichts erklärenden Naturtriebe zuschreiben. Denn, wenn man sie fragt, woher es denn nun komme, daß unter Hunden von einer Art und von einem Wurfe einer immer einen stärkern Naturtrieb habe, als der andere? was können sie anders, als die Ausflucht vorbringen: GOtt hat es so haben wollen. Fragt man sie ferner: warum ist denn dieser und jener Hund, wenn er jung ist, ein guter Jäger, und warum ist er es nicht mehr, wenn er alt wird? oder umgekehrt; warum ist dieser Hund wann er jung ist, zur Jagd untüchtig und warum wird erst in seinem Alter fähig und verschmitzt? Jch sehe nicht, was sie vernünftiges antworten können, wann sie nicht sagen wollen: der eine Hund ist deswegen geschickter zur Jagd, als der andere, weil das Temperament seines Gehirns dazu fähiger ist; und der eine ist deswegen in der Jugend auf der Jagd zu gebrauchen, im Alter aber nicht, weil er in der Jugend das zur Jagd erforderliche Temperament hat, und weil er es im Alter verliert. Hieraus also fließt, daß die Mischung der vier Hauptbeschaffenheiten der Grund ist, warum sich dieses oder jenes Thier zu dieser oder jener Verrichtung seiner Art fähiger oder unfähiger zeiget, und daß das Temperament dasjenige ist, von dem die sensitivische Seele was ihr zu thun obliegt, lernet. Hätte Galenus die Wege der Amei sen, ihre Klugheit, ihre Barmherzigkeit, ihre Gerechtigkeit, ihre Regierungsart betrachtet, so würde er vielleicht sein Urtheil noch weiter getrieben haben, voller Erstaunen, daß ein so kleines Thier solche Weisheit, ohne einen Lehrmeister gehabt zu haben, besitze. *) Wenn man aber das Gehirn der Ameise betrachtet, und vorzüglich dieses überlegt, welches wir im folgenden zeigen werden, wie vortheilhaft es zur Weisheit eingerichtet sey, so muß das Erstaunen aufhören, und man lernt einsehen, daß die unvernünftigen Thiere zu den Geschicklichkeiten und Ueberlegungen, die wir an ihnen wahrnehmen, vermöge des Temperaments und der Bilder, welche durch die fünf Sinne in dasselbe gebracht werden, gelangen; daß der Unterscheid unter Thieren von einer Art, da immer eines leichter abzurichten ist, als das andre, daher rühret, weil das Gehirn des einen immer von einer bessern Einrichtung ist, als des andern; und daß, wenn diese gute Einrichtung entweder durch den langen Gebrauch, oder durch Krankheiten verloren geht, sich die Klugheit und Fähigkeit, eben

*) Gehe hin zur Ameise du Fauler: siehe ihre Weise an, und lerne; ob sie wohl keinen Fürsten, noch Hauptmann, noch Herrn hat: bereitet sie doch ihr Brod im Sommer, und sammelt ihre Speise in der Erndte.

sowohl, wie bey dem Menschen, sogleich auch verliere. *)


71 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

*) Weit besser antwortet Hippokrates, wenn er sagt: Φυσεις παντων ἀδιδακτοι. (περι τρο- φης) und (ἐπιδημιων το ἑκτον τμημα πεμ- πτον) ἀπαιδευτος ἡ Φυσις ἐουσα, και οὐ μα-θουσα τα δεοντα ποιειν.


72 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Der erste, welcher bey dergleichen wunderbaren, Begebenheiten das Göttliche zu Hülfe rief, war Hippokrates: (προγνωϛ.) ἁμα δε και εἰ τι θειον ενεϛιν ἐν τησι νουσησι, {??}και του-

*) Die Sibyllen, welche die katholische Kirche bewundert, waren von der natürlichen Beschaffenheit, von welcher Aristoteles redet; sie besassen aber auch noch über dieses einen ihnen von G O T T ertheilten prophetischen Geist, weil der natürliche Verstand, so weise er auch seyn konnte, zu so was hohem nicht hinreichend war.

του την προνοιαν ἐκμανθανειν. *) Hiermit will er den Aerzten rathen, daß sie sich auch das Göttliche, was etwa ein Kranker sagen möchte, zu verstehen, und was es für einen Ausgang haben würde, vorher verkündigen zu können, bestreben sollten. Worüber ich mich aber bey dieser Materie nicht genug verwundern kann, ist, daß Plato, als man ihn fragte: woher es doch komme, daß von zwey Söhnen eines Vaters der eine Verse machen könne, ohne es jemals gelernt zu haben, der andre aber, der Mühe ungeachtet, die er daran wende, keine machen lerne; daß, sage ich, Plato hierauf hat antworten können: es käme daher, weil der eine, welcher als ein Dichter gebohren worden, begeistert sey; der andre aber es nicht sey. Aristoteles hatte also Grund, ihn zu tadeln, weil er nur auf das Temperament hätte zurück gehen dürfen, wie er es sonst schon gethan hatte.


73 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Jn Wahrheit aber entstehet aus dieser Beschaffenheit keine Verschiedenheit des Genies, und Aristoteles hat eigentlich auch nicht sagen wollen, daß ein kaltes, sondern, daß ein am wenigsten hitziges Geblüte die Ursache eines grössern Verstandes sey. Gleichfalls rühret die Unbeständigkeit eines Menschen nur von der allzugrossen Hitze her, welche die Bilder in dem Gehirne erhebet, und so zu reden zum Aufsieden bringt, so daß sich deren allzuviele dem Geiste darstellen, und ihn, sie zu betrachten, einladen; da er denn, weil er sie alle geniessen will, von einem auf das andre springen muß. Das Gegentheil hiervon äussert sich bey der Kälte, die, weil sie die Bilder unterdrückt, und nicht aufkommen läßt, den Menschen bey einer Meynung feste erhält, indem keine andre aufsteigen, die ihn davon abziehen könnten. Ueberhaupt ist das die Eigenschaft der Kälte, daß sie die Bewegungungen nicht allein der körperlichen Dinge, sondern auch der Bilder und Begriffe, welche dieWeltweisen für etwas geistiges halten, verhindert, und sie in dem Gehirne unbeweglich macht; diese Festigkeit aber ist vielmehr für eine Trägheit, als für eine Verschiedenheit des Genies zu halten. Doch giebt es auch noch eine andre Art der Festigkeit, welche daher entstehet, weil der Verstand allzusehr eingeschlossen ist, nicht aber, weil das Gehirn zuviel Kälte hat. Es bleiben also bloß die Trockenheit, die Feuchtigkeit, und die Wärme, die Werkzeuge der vernünfti gen Vermögenheiten. Welcher Weltweise aber kann denn bey jeder Gattung des Genies dasjenige bestimmen, was eigentlich ihre Verschiedenheit ausmacht? Heraklitus*) sagte: ἀυγη jηρη, ψυχη σοφωτατη, und will uns durch diesen Ausspruch zu verstehen geben, die Trockenheit wäre es, welche den Menschen weise mache; er sagt aber nicht, welche Art der Weisheit er hier verstehe. Eben dieses sagt Plato, wenn er vorgiebt, unsere Seele komme sehr weise in den Körper; durch die viele Feuchtigkeit aber, die sie in demselben fände, würde sie träge und thöricht, bis sich diese mit der Zeit verlöre, und die Trockenheit ihre erste Weisheit wieder entdecke. Unter den unvernünftigen Thieren, sagt Aristoteles, sind diejenigen die klügsten, in deren Temperamente die Kälte und Trockenheit herrschet, dergleichen die Ameisen und Bienen sind, welche an Klugheit mit den allervernünftigsten Menschen um den Rang streiten. Jm Gegentheil ist das Schwein dasjenige Thier, welches die meiste Feuchtigkeit und also den wenigsten Verstand hat; daher auch Pindarus, wenn er die Dummheit der Böotier beschreiben will, sagt: ἠν ὁτε συας βοιωτιον οὐθνος ἐνεπον, **)

*) Galenus führt ihn an in seinem Buche, ὁτι τα της ψυχης ἠθη u. s. w.

**) Wenn Homer sagen will, daß Ulysses nicht thöricht und unverständig gewesen wäre; so beweiset er es durch die Erdichtung, weil er in kein Schwein sey verwandelt worden.

Sogar das Blut, sagt Galenus, *) macht die Menschen wegen der allzuvielen Feuchtigkeit einfältig. Er erzählt daher, die Komödienschreiber hätten über die Söhne des Hippokrates, als über Leute gespottet, die viel natürliche Wärme hätten, als welches eine sehr feuchte und flüchtige Substanz ist. **) Diesem Fehler sind fast alle Söhne weiser Leute unterworfen, wovon wir weiter unten den Grund angeben wollen. Unter den vier Flüssigkeiten endlich ist die Melancholie die kälteste und trockenste von allen; und gleichwohl versichert Aristoteles, ***) daß alle, die sich jemals in der Welt durch die Gelehrsamkeit hervorgethan hätten, Melancholici gewesen wären. Kurz, alle kommen darinnen überein, daß die Trockenheit den Menschen geschickt mache; keiner aber bestimmt zu welchen Wirkungen der vernünftigen Seele eigentlich die Trockenheit am vortheilhaftesten sey. Der einzige Prophet Jesaias nennt sie mit Namen, wenn er (im 28. Hauptst.) sagt: Anfechtung giebt Verstand; denn die Anfechtung, die Traurigkeit, die Betrübniß verzehret nicht allein die Feuchtigkeit des Gehirns, sondern trocknet auch die Gebeine aus, daß sie also durch die Trockenheit, welche sie verursacht, den Verstand weit schärfer und

*) in seiner Abhandlung, ὁτι τα της ψυχης ἠθη u. s. w.

**) Οι δε Ιπποκρατους ὑιεις ους ἐπι μωρια σκωπ-τουσιν οἱ κωμικοι δια την ἀμετρον θερμην.

***) προβλ. τμημ. λα.

durchdringender macht. Einen unwidersprechlichen Beweis kann man daraus nehmen, wenn man überlegt, daß oft Leute, so lange sie in Armuth und Verachtung gelebt, die bewundernswürdigsten Lehren gesagt und geschrieben haben; sobald sie aber in bessere Umstände, zum guten Essen und Trinken gekommen sind, haben sie selten was gescheutes mehr reden können, weil das köstliche Leben, die Ruhe, der gute Fortgang, die Erlangung aller Wünsche das Gehirn schlaff und feuchte machen. Dieses ist es, was Hippokrates *) unter dem ἡ ἐυθυμιη ἀφιει καρ-διην verstehet; die Zufriedenheit erweitert das Herz, und giebt ihm Wärme und Fettigkeit. Man kann dieses auch auch ganz leicht auf eine andre Art beweisen: wenn nämlich die Traurigkeit und die Anfechtung das Fleisch austrocknet und verzehret, und also den Verstand des Menschen vermehret, so muß ihr Gegentheil, welches die Freude ist, nothwendig das Gehirn feuchte, und den Verstand schwach machen. **) Diejenigen also, die ein solch Genie bekommen sollen, legen sich sogleich auf Zeitvertreib, wohnen den Schmausereyen, der Musik, und andern lustigenGesellschaften bey, und fliehen im Gegentheil alles, was ihnen vordem Freude und Vergnügen machte. Hieraus mag das gemeine Volk die

*) ἐπιδημιων το ἑπον τμημοα πεμπον.

**) Das Herz der Weisen ist im Klaghause, und das Herz der Narren im Hause der Freuden.Pred. Sal. 7.

Ursache einsehen lernen, woher es komme, daß ein weiser und tugendhafter Mann, der vorher in Armuth und Verachtung gelebt hat, wenn er zu einer grossen Ehrenstelle erhaben wird, sogleich alle seine Gewohnheiten, und sogar seine Art zu denken ändert. Diese Veränderung nämlich entsteht daher, weil er ein ganz anderes, feuchtes und dunstiges Temperament bekommen hat, welches die Bilder, die er vorher im Gedächtnisse hatte, auslöscht, und den Verstand träge macht.


74 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Jn Wahrheit aber entstehet aus dieser Beschaffenheit keine Verschiedenheit des Genies, und Aristoteles hat eigentlich auch nicht sagen wollen, daß ein kaltes, sondern, daß ein am wenigsten hitziges Geblüte die Ursache eines grössern Verstandes sey. Gleichfalls rühret die Unbeständigkeit eines Menschen nur von der allzugrossen Hitze her, welche die Bilder in dem Gehirne erhebet, und so zu reden zum Aufsieden bringt, so daß sich deren allzuviele dem Geiste darstellen, und ihn, sie zu betrachten, einladen; da er denn, weil er sie alle geniessen will, von einem auf das andre springen muß. Das Gegentheil hiervon äussert sich bey der Kälte, die, weil sie die Bilder unterdrückt, und nicht aufkommen läßt, den Menschen bey einer Meynung feste erhält, indem keine andre aufsteigen, die ihn davon abziehen könnten. Ueberhaupt ist das die Eigenschaft der Kälte, daß sie die Bewegungungen nicht allein der körperlichen Dinge, sondern auch der Bilder und Begriffe, welche dieWeltweisen für etwas geistiges halten, verhindert, und sie in dem Gehirne unbeweglich macht; diese Festigkeit aber ist vielmehr für eine Trägheit, als für eine Verschiedenheit des Genies zu halten. Doch giebt es auch noch eine andre Art der Festigkeit, welche daher entstehet, weil der Verstand allzusehr eingeschlossen ist, nicht aber, weil das Gehirn zuviel Kälte hat. Es bleiben also bloß die Trockenheit, die Feuchtigkeit, und die Wärme, die Werkzeuge der vernünfti gen Vermögenheiten. Welcher Weltweise aber kann denn bey jeder Gattung des Genies dasjenige bestimmen, was eigentlich ihre Verschiedenheit ausmacht? Heraklitus*) sagte: ἀυγη jηρη, ψυχη σοφωτατη, und will uns durch diesen Ausspruch zu verstehen geben, die Trockenheit wäre es, welche den Menschen weise mache; er sagt aber nicht, welche Art der Weisheit er hier verstehe. Eben dieses sagt Plato, wenn er vorgiebt, unsere Seele komme sehr weise in den Körper; durch die viele Feuchtigkeit aber, die sie in demselben fände, würde sie träge und thöricht, bis sich diese mit der Zeit verlöre, und die Trockenheit ihre erste Weisheit wieder entdecke. Unter den unvernünftigen Thieren, sagt Aristoteles, sind diejenigen die klügsten, in deren Temperamente die Kälte und Trockenheit herrschet, dergleichen die Ameisen und Bienen sind, welche an Klugheit mit den allervernünftigsten Menschen um den Rang streiten. Jm Gegentheil ist das Schwein dasjenige Thier, welches die meiste Feuchtigkeit und also den wenigsten Verstand hat; daher auch Pindarus, wenn er die Dummheit der Böotier beschreiben will, sagt: ἠν ὁτε συας βοιωτιον οὐθνος ἐνεπον, **)

*) Galenus führt ihn an in seinem Buche, ὁτι τα της ψυχης ἠθη u. s. w.

**) Wenn Homer sagen will, daß Ulysses nicht thöricht und unverständig gewesen wäre; so beweiset er es durch die Erdichtung, weil er in kein Schwein sey verwandelt worden.

Sogar das Blut, sagt Galenus, *) macht die Menschen wegen der allzuvielen Feuchtigkeit einfältig. Er erzählt daher, die Komödienschreiber hätten über die Söhne des Hippokrates, als über Leute gespottet, die viel natürliche Wärme hätten, als welches eine sehr feuchte und flüchtige Substanz ist. **) Diesem Fehler sind fast alle Söhne weiser Leute unterworfen, wovon wir weiter unten den Grund angeben wollen. Unter den vier Flüssigkeiten endlich ist die Melancholie die kälteste und trockenste von allen; und gleichwohl versichert Aristoteles, ***) daß alle, die sich jemals in der Welt durch die Gelehrsamkeit hervorgethan hätten, Melancholici gewesen wären. Kurz, alle kommen darinnen überein, daß die Trockenheit den Menschen geschickt mache; keiner aber bestimmt zu welchen Wirkungen der vernünftigen Seele eigentlich die Trockenheit am vortheilhaftesten sey. Der einzige Prophet Jesaias nennt sie mit Namen, wenn er (im 28. Hauptst.) sagt: Anfechtung giebt Verstand; denn die Anfechtung, die Traurigkeit, die Betrübniß verzehret nicht allein die Feuchtigkeit des Gehirns, sondern trocknet auch die Gebeine aus, daß sie also durch die Trockenheit, welche sie verursacht, den Verstand weit schärfer und

*) in seiner Abhandlung, ὁτι τα της ψυχης ἠθη u. s. w.

**) Οι δε Ιπποκρατους ὑιεις ους ἐπι μωρια σκωπ-τουσιν οἱ κωμικοι δια την ἀμετρον θερμην.

***) προβλ. τμημ. λα.

durchdringender macht. Einen unwidersprechlichen Beweis kann man daraus nehmen, wenn man überlegt, daß oft Leute, so lange sie in Armuth und Verachtung gelebt, die bewundernswürdigsten Lehren gesagt und geschrieben haben; sobald sie aber in bessere Umstände, zum guten Essen und Trinken gekommen sind, haben sie selten was gescheutes mehr reden können, weil das köstliche Leben, die Ruhe, der gute Fortgang, die Erlangung aller Wünsche das Gehirn schlaff und feuchte machen. Dieses ist es, was Hippokrates *) unter dem ἡ ἐυθυμιη ἀφιει καρ-διην verstehet; die Zufriedenheit erweitert das Herz, und giebt ihm Wärme und Fettigkeit. Man kann dieses auch auch ganz leicht auf eine andre Art beweisen: wenn nämlich die Traurigkeit und die Anfechtung das Fleisch austrocknet und verzehret, und also den Verstand des Menschen vermehret, so muß ihr Gegentheil, welches die Freude ist, nothwendig das Gehirn feuchte, und den Verstand schwach machen. **) Diejenigen also, die ein solch Genie bekommen sollen, legen sich sogleich auf Zeitvertreib, wohnen den Schmausereyen, der Musik, und andern lustigenGesellschaften bey, und fliehen im Gegentheil alles, was ihnen vordem Freude und Vergnügen machte. Hieraus mag das gemeine Volk die

*) ἐπιδημιων το ἑπον τμημοα πεμπον.

**) Das Herz der Weisen ist im Klaghause, und das Herz der Narren im Hause der Freuden.Pred. Sal. 7.

Ursache einsehen lernen, woher es komme, daß ein weiser und tugendhafter Mann, der vorher in Armuth und Verachtung gelebt hat, wenn er zu einer grossen Ehrenstelle erhaben wird, sogleich alle seine Gewohnheiten, und sogar seine Art zu denken ändert. Diese Veränderung nämlich entsteht daher, weil er ein ganz anderes, feuchtes und dunstiges Temperament bekommen hat, welches die Bilder, die er vorher im Gedächtnisse hatte, auslöscht, und den Verstand träge macht.


75 - Johann Huart's Prüfung der Köpfe zu den Wissenschaften /

Von der Feuchtigkeit ist es schwer zu bestimmen, welche Gattung des Genies aus ihr entstehe, weil sie sogar sehr den vernünftigen Vermögenheiten widerstrebet. Nach der Meynung wenigstens des Galenus, machen alle Feuchtigkeiten unsers Körpers, wenn sie allzufliessend sind, den Menschen dumm und unverständig. Το μεν ὀjυ, spricht er, *) και συνετον ἐν τῃ ψυχῃ δια τον χολωδη χυμον ἐϛαι. Το δ' ἑδραιον και βεβαιον δια τον μελαγχο-λικον. Το δ' ἁπλουν και ἠλιθιωτερον δια το ἁιμα. Του δε φλεγματος ἡ φυσις εἰς μεν ἠθοποιϊαν ἀχρηϛος. Die Klugheit, will er sagen, und die Stärke des Geistes, entstehen von der Galle; die Beständigkeit des Menschen entspringt aus der melancholischen Feuchtigkeit; die Dummheit und Einfalt aus dem Blute; das Phlegma aber kann die See

*) Υπομνη. α. εἰς το περι Φυσεως ἀνθρωπου του Ιπποκρατους.

le zu nichts brauchen, als zum Schlafen. Das Blut also, weil es flüssig ist, und das Phlegma machen, daß die Seele ihre vernünftigen Vermögenheiten und ihr Genie verliert; doch ist dieses nur von den thätigen, und nicht von den leidenden vernünftigen Vermögenheiten zu verstehen, wie zum Beyspiel das Gedächtniß ist, welches von der Feuchtigkeit abhänget, so wie der Verstand von der Trockenheit. Wir nennen aber das Gedächtniß deswegen eine vernünftige Vermögenheit, weil ohne dasselbe der Verstand und die Einbildungskraft ohne allen Nutzen ist. *) Beyden muß es den Stoff zum Schliessen und die Bilder hergeben; daher Aristoteles sagt: ὁταν δε θεωρῃ, ἀναγκη ἁμα φαντασμα τι θεωρειν. Diese Bilder muß das Gedächtniß beständig in Bereitschaft halten, so oft sie der Verstand betrachten will. Wenn also das Gedächtniß verloren geht, so ist es unmöglich, daß die übrigen Vermögenheiten wirken können. Daß aber seine ganze Verrichtung in weiter nichts besteht, als in Behaltung dieser Bilder, ohne daß sie eigene Erfindungen hat, dieses drückt Galenus**) folgender Gestalt aus: την μνημην ἀποτι-

*) Wenn Cicero daher das Genie erkläret, so rückt er in die Erklärung das Gedächtniß mit hinein: docilitas et memoria, quae fe- re appellatur uno ingenii nomine. De fi- nib. bon. et mal. lib. 1.

**) εἰς το κατ' ἰητρειον του Ιπποκρατους.

θεσϑαι τε και φυλαττειν ἐν ἀυτῃ γνωσϑεν-τα δἰ αἰσϑησεως και νου, ταμειον τι των εἰρημενων ἀτοις οὐσα, οὐκ ἀυτην ἑυρισκουσαν ἑκαϛου πραγματος φυσιν. Seine Verrichtung erhellet auch daraus, daß es von der Feuchtigkeit abhänget, weil diese das Gehirn weich macht, und die Bilder sich ihm, vermittelst des Eindrucks, einverleiben. Dieses zu beweisen, kann man keinen stärkern Beweis, als die Kindheit anführen, als in welchem Alter man mehr in das Gedächtniß faßt, als in allen übrigen, weil das Gehirn zu der Zeit am feuchtesten ist. Auch Aristoteles legt *) die Frage vor: δια τι πρεσβυτεροι μεν γινομενοι μαλλον νουν ἐχο-μεν, νεωτεροι δε ὀντες, θαττον μανθανο-μεν; das ist: warum wir im Alter mehr Verstand haben, und in der Jugend leichter lernen? Er antwortet hierauf: weil das Gedächtniß alter Leute von allen den Sachen, die sie Zeit ihres Lebens gesehen und gehört haben, schon so erfüllt sey, daß es nichts mehr fassen könne, was sie auch noch hereinbringen wollten, indem kein leerer Platz in dem Gehirne zu finden wäre; bey jungen Leuten aber, die seit noch nicht langer Zeit gebohren worden, sey das Gedächtniß noch ganz unbesetzt, und können also alles, was man sie lehre, ganz leichte fassen. Dieses noch deutlicher zu machen, vergleiche ich das Morgengedächtniß mit dem Abendgedächtnisse, und sage, daß man des Morgens weit besser lerne, weil

*) προβλ. τμημ. λ.

das Gedächtniß noch leer sey, daß man aber des Abends sehr schwer lerne, weil das Gedächtniß mit allem angefüllet sey, was uns den Tag über begegnet ist. Doch die Antwort des Aristoteles auf diese Aufgabe ist nichts weniger als richtig. Wenn die Bilder in dem Gedächtnisse körperlich und also einen Platz einnähmen, so möchte sie ganz gut seyn; da diese Bilder aber unkörperlich und geistig sind, so können sie den Ort, wo sie sind, weder voll noch leer machen. Und sehen wir nicht aus der Erfahrung, daß das Gedächtniß von Tag zu Tag stärker, und desto fähiger wird, je mehr man es angreift? Aus meinen Grundsätzen folgt eine weit klärere Auflösung dieses Problems, diese nämlich: die Alten haben viel Verstand, weil sie viel Trockenheit haben, und haben wenig Gedächtniß, weil sie wenig Feuchtigkeit haben. Die Substanz ihres Gehirns wird also hart, und kann den Eindruck der Bilder nicht annehmen; so wie das harte Wachs den Abdruck des Siegels sehr schwer, das weiche aber sehr leicht annimmt. Das Gegentheil ereignet sich an iungen Leuten, welche wegen der vielen Feuchtigkeit ihres Gehirns die verständigsten nicht sind, wegen seiner grossen Weiche aber ein weit stärkeres Gedächtniß haben; weil die Bilder, welche von aussen in das Gehirn kommen, in dasselbe, vermöge seiner Feuchtigkeit, einen weit grössern, leichtern, tiefern und deutlichern Eindruck machen können. Daß das Gedächtniß des Morgens weit fähiger sey, als des Abends, kann man nicht leugnen; nur trift Aristoteles die rechte Ursache nicht, welche diese ist: der Schlaf der vergangenen Nacht hat das GehirnGehien befeuchtet und gestärkt, da es das Wachen den ganzen Tag über austrocknet und harte macht. Daher sagt Hippokrates *): ὀκοσοισι δε πινειν ὀρεjιες νυκτωρ τοισι πλην διψωσιν, ἠν ἐπικοιμη-θωσιν, αγαθον; das ist: diejenigen, welche des Nachts grossen Durst empfinden, verlieren ihn durch das Schlafen, weil der Schlaf das Fleisch befeuchtet, und alle Kräfte, durch die der Mensch regieret wird, stärket. Daß aber der Schlaf diese Wirkung habe, bekennet Aristoteles selbst. **)