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Zum vorliegenden Bande
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Zum vorliegenden Bande


„... ne cum vulgo crederes, literis cum ocreis minùs convenire.”

Mit diesen Worten sandte der Hofmann Tobias Hübner dem Gelehrten Augustus Buchner am 9. Juni 1625 (s. 250609) seine Dichtungen zu Festaufzügen und Ritterspielen, welche im Mai 1625 bei der Vermählung Herzog Wilhelms IV. von Sachsen-Weimar mit der Prinzessin Eleonora Dorothea von Anhalt-Dessau veranstaltet worden waren. In Hübners Mahnung drückt sich der zeitübliche Wunsch aus, die unterschiedlichen Lebensweisen des Gelehrten und Adligen zu vereinbaren. Die Sprache des frühen 17. Jahrhunderts verknüpfte ein solches Streben häufig mit dem Motto „Arte et Marte” . Stolz berichtete Hübner , in neun Rennen den Gegner siebenmal aus dem Sattel geworfen und im übrigen den ersten Dank im Ringelrennen erworben zu haben. Hätte er seinem Roß die Flügel des Pegasus verleihen dürfen, würde er noch einen vollständigeren Sieg erhofft haben: „Quinimò si Pegasi alis meis equis uti licuisset, absolutiorem adhuc victoriam sperâssem.”
Den Veränderungen in der Zusammensetzung und Aufgabenstellung des Adels in der Frühen Neuzeit entsprach die Entwicklung einer Turnierform, in der nicht mehr allein oder vor allem ritterliche Geschicklichkeit den Ausschlag gab, sondern die Invention der Aufzüge und Masken schließlich mehr als Beherrschung der Waffen und Einhaltung der Kampfregeln galt. Ein Heidelberger Kartell aus dem Jahre 1613, dem die frühesten hier wiederveröffentlichten Dichtungen Tobias Hübners beigefügt sind (vgl. 250218A K VII 2), versprach daher den ersten Preis dem Erfinder solcher Aufzüge. Das Turnier als die immer noch wichtigste festliche Darstellung adliger Lebensform hatte sich den Künsten geöffnet und war sogar, wie die in den Briefen erwähnten oder diesen beigelegten Dichtungen Hübners oder Diederichs von dem Werder (250218A, 250413, 250500, 250609) zeigen, zu einem „Rennplatz” für den dichterischen Wettkampf und die Erfindung neuer literarischer Formen geworden.
Die höfische Aristokratie stand zwar der poetischen Innovation aufgeschlossen gegenüber, jedoch war gerade der adlige Dilettant, der damit sein Prestige bei Hofe steigern konnte, auf diesem Felde am wenigsten auf die Hilfe des nichtstandesgemäßen Poeten angewiesen. In dem zitierten Brief vermeinte der adlige und gelehrte Hübner , seinen Vorrang vor dem Wittenberger Professor Buchner , immerhin dem Sohn eines geadelten Baumeisters, und besonders vor dem stellungslosen, erst später geadelten Martin Opitz zu behaupten. Wie Opitz' Werben um die Gunst Fürst Ludwigs (250700) und des weiteren der in die vorliegende Ausgabe einbezogene Briefwechsel zwischen Opitz , Buchner , Hübner und Wer- || [ 13 ] der in den Jahren 1625 und 1626 erweisen, scheiterten die Annäherungen des Gelehrten und des Dichters an den innersten Kreis der Fruchtbringenden Gesellschaft bei der ersten carrière — wie es in der Turniersprache hieß. Hübner , als einer der Manitenatoren, glaubte offenbar, den zeitlichen Vorrang seiner Versform gegen die Innovation des Aventuriers Opitz verteidigen zu müssen, der mit einer atemberaubend neuen Kampfweise — einer auf grammatische Richtigkeit, alternierende Betonung und natürlichen Wortakzent abgestellten Prosodie und Metrik — den höfischen Rennplatz betreten hatte. Dennoch war das Eingeständnis der Unterlegenheit auch schon in Hübners Briefen zu vernehmen. Sogleich begann auch Prinz Christian II. von Anhalt-Bernburg , die neue Kunst nachzuahmen (250705 I). Wie der Hofmann und anhaltische Adlige Diederich von dem Werder scheint er sich früh für die Aufnahme von Opitz in die Fruchtbringende Gesellschaft eingesetzt zu haben. Auch deshalb konnte dann Opitz' zweite Karriere zum Triumph führen: Er trat, kurz zuvor vom Kaiser geadelt, 1629 unter dem Namen des Gekrönten in die Akademie ein. 1625 hatte Opitz von Kaiser Ferdinand II. den Poetenlorbeer erhalten, jedoch nicht ihm, sondern Fürst Ludwig widmete Opitz kurz darauf in einem rhetorisch-gelehrten Prunkbrief (250700) die erste von ihm selbst zusammengestellte Gedichtsammlung. Dem Wink, den Opitz dem Fürsten in diesem Brief mit der Erwähnung der Krönung Petrarcas gab — die Rom und Paris dem Dichter gleichzeitig angetragen hatten —, folgte Fürst Ludwig damals nicht. 1637 feierte er jedoch selber — aus Anlaß der geplanten Hochzeit des Fleischerssohnes mit einer Bürgerstochter — den Gekrönten in einem Sonett.
Ist dies nur als Anerkennung einer Anpassung und außergewöhnlichen Leistung, als in der Renaissance durchaus möglicher Aufstieg eines mittellosen jungen Gelehrten in die höfischen Gefilde oder als Instrumentalisierung einer neuen Technik in dem gierig alle Novitäten aufsaugenden Fürstenstaat zu bewerten? Gewiß, die Rennbahn für eine solche Karriere war der Hof, dies aber wohl deshalb, weil diese soziale Figuration trotz aller Ritterromantik keine rückwärts gewandte, ständische Verbindung von Herren, Adligen und arrivierten Beamten war, sondern als repräsentative Öffentlichkeit einen gesellschaftlichen Raum für das Zusammentreffen und die Zusammenarbeit mit Vertretern anderer Stände und Berufe darstellen konnte. Mochte Hübner auch besonders innig im Turnierwesen Bestätigung seines Rittertums und Künstlertums suchen, so ist die Leistung seiner Welschverse — wie überhaupt seine Bedeutung für die Schöpfung einer neuen deutschen Kunstdichtung — doch nicht durch die Entdeckung zu schmälern, daß er nicht der Versuchung widerstand, mit dem manierierten Latein seiner Briefe und mit seinen neuartigen Turnierversen professionelle Gelehrte und bürgerliche Talente zu düpieren. „Arte et Marte” wäre in seinem Falle nicht als Wahlspruch des Arrivierten zu dekuvrieren, der durch den Beweis seiner Schulung gesichert, skrupellos seinen gesellschaftlichen Status ins Feld führt, um seinen Versen den ihnen nicht gebührenden Rang zu verschaffen. Die Anerkennung der historischen Rolle Hübners leidet nicht unter dem Eingeständnis, daß die poetische Qualität seiner Produktion im Vergleich zu der eines Opitz auch nach den Maßstäben des späteren 17. Jahrhun- || [ 14 ] derts abfällt — und zwar nicht nur wegen seines im Deutschen nicht heimisch gewordenen Renaissanceverses. (Wir müssen diesen, versehen mit den Erklärungen Christian Wagenknechts, wohl erst wieder lesen lernen, um seine Flexibilität zu würdigen und die Gefährdung der späteren deutschen Verssprache durch die mechanische Alternation zu erkennen.)
Gewöhnung des Ohrs und dichterische Leistung sind Phänomene, die hinterfragt und auch im historischen Vergleich bewertet werden sollten. Dafür stellen u. a. die hier zum erstenmal wiederveröffentlichten poetischen Zeugnisse Hübners und seiner Zeitgenossen die Grundlage her. Soviel läßt sich in unserem Zusammenhang, ohne der Forschung vorzugreifen, vielleicht vermuten: Hübners Turnierdichtungen — wie auch seine Gedichte zu anderen Anlässen — konnten nicht nur als Beweise für seinen zeitlichen Vorsprung vor Opitz dienen und damit seine verletzte Eitelkeit besänftigen. Sie sind auch ohne Rücksicht auf die Geschichtsschreibung, die auf chronologische Präzision angewiesen ist, als Zeugnisse einer eigenständigen höfischen Entwicklung historisch von Belang. Von Interesse ist dabei nicht nur, daß sie sich mit den am Hofe entstandenen Dichtungen des frühen Weckherlin vergleichen lassen. In den Tönen, die Hübner in seinem Briefwechsel mit Buchner und Buchner und Opitz in ihrer wechselseitigen Korrespondenz anschlagen — Töne, die rasch und vielfach gebrochen auch in anderen Schreiben und Beilagen aus den Jahren 1625 und 1626 widerhallen — klingt nämlich, von Umständen der Entstehung dieser Zeugnisse und von persönlichen Rücksichten oft gedämpft oder verzerrt, doch immer wieder als Ostinato die Verwunderung darüber durch, daß Hofleute und Gelehrte einander gebrauchen konnten, daß scheinbar unabhängig an Höfen und in Studierstuben das Streben nach einer deutschsprachigen, den volkssprachlichen europäischen Renaissanceliteraturen ebenbürtigen Literatur Frucht getragen hatte. Daher das in den persönlichen Beziehungen irritierende Streben nach zeitlichem Vorrang und gesellschaftlicher Unterordnung, das Drängen nach Anerkennung, das Buhlen um Gunst oder Freundschaft und die Zeichen von Einsicht, Anpassung, Einleitung gegenseitiger Hinnahme oder Freundlichkeit. Überreizte Erwartung, Eitelkeit oder auch widrige Umstände wie die Reihe von Schicksalsschlägen, die Fürst Ludwig 1624 und 1625 seine Kinder und seine Gemahlin raubten, haben in dieser kritischen Phase außerdem die Verständigung und Vermittlung erschwert.
Dennoch sollten eher zufällige Umstände nicht die Leistung Hübners , Fürst Ludwigs oder Diederichs von dem Werder verdunkeln. Die frühe Fruchtbringende Gesellschaft hatte in den Versen dieser Dichter und einiger Poetae minores — besonders in den Nachdichtungen der großen Werke Salustes und Tassos [] — bahnbrechende und gelungene Modelle für eine deutschsprachige Nationalliteratur vorzuweisen, welche vor und neben Opitz selbständig den Wettbewerb mit romanischen Vorbildern aufnahmen. Die humanistische Erziehung des Adels, die auf germanisch-mittelalterlichen Grundlagen basierenden Gemeinsamkeiten der alteuropäischen Feudalgesellschaft (vgl. 240112 K 9) und die auf Bildungsreisen gewonnene Vertrautheit mit der Kultur süd- und westeuropäischer Höfe lassen es als folgerichtig und geradezu unabwendbar er- || [ 15 ] scheinen, daß der ständeübergreifende Hof zum kulturellen Nukleus der Nation wurde. Auch ein Fürst konnte den humanistischen Germanenmythos eines Aventinus (vgl. 230819) benutzen, um den deutschen Charakter der Fruchtbringenden Gesellschaft zu begründen, und im selben Atemzug dafür sorgen, daß Werder durch Ubersetzungen aus dem Italienischen Tassos [] und Alamannis die nationalen Ziele dieser Akademie förderte. Opitz , der „geniale Literaturstratege” (Klaus Garber), welcher in seinem großen Widmungsbrief an diesen Fürsten (250700) die kaiserlich-römische, karolingische, hochmittelalterliche und neuzeitlich-europäische Literatur an Beispielen für eine fruchtbare Beziehung von Dichtern und fürstlichen Dilettanten oder Mäzenen abhandelt, hat zwar durch seine staunenerregenden Werke sein Programm einer deutschen höfischen Gelehrtendichtung endlich mit dem Vorhaben einer gelehrt-nationalen Hofdichtung verknüpfen können, dadurch aber auch — ablesbar an der Anpassung der adligen , Reimmeister' der Fruchtbringenden Gesellschaft an Opitz' Prosodie und Metrik — die Autonomie der höfischen Schöpfung erschüttert. Dies war wohl ein unabwendbarer, in der Zusammensetzung der höfischen Gesellschaft sogar vorbereiteter, für die Schaffung einer Nationalkultur notwendiger Vorgang. Schließlich entstammten auch Hofleute wie Hübner oder Friedrich von Schilling nicht dem Schwertadel, sondern dem Beamtenadel oder Patriziat (s. 231006 K 10). Der bezeichnete Vorgang erschloß ,bürgerlichen' Gelehrten den Zugang zur Fruchtbringenden Gesellschaft und gestand ihrer Arbeit nicht nur eine alternative Gleichberechtigung, sondern sogar eine dominierende Stellung zu. Blicken wir nur auf die Rollen, die die Sprachgelehrten Buchner , Gueintz , Harsdörffer , Schottelius und Zesen in den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts in der Fruchtbringenden Gesellschaft spielten, gewinnt das Drängen des ,Aufsteigers' Opitz um 1625 die ihm gebührende historische Dimension. Die widerspruchslose adlige Vereinbarung von Germanenmythos und Imitatio antiker oder romanischer Vorbilder verliert in dem hier skizzierten Prozeß allerdings ihre ursprüngliche soziale Basis. Der Reichtum formaler Entwicklungsmöglichkeiten in einer höfischen deutschen Dichtung wird zunehmend auf das ,Opitzieren' im deutschen Vers eingeschränkt. Der Leser wird in den folgenden Bänden die Debatte verfolgen müssen, die die hier begonnene Entwicklung der Akademie — und wohl auch die der deutschen Literatur und Sprache über das 17. Jahrhundert hinaus — bestimmt. Der unten zitierte Brief Fürst Ludwigs aus dem Jahre 1648 markiert den Stand dieser Entwicklung kurz vor dem Tod dieses Wegbereiters der deutschen Nationalkultur.
Die Diskrepanz der Lebens- und Kulturformen, die sich in den eigenen Bereichen des Hofes und der Schule immer noch — auch sprachlich getrennt — auslebte, sollte in einer neuen Kunstform überwunden werden. Diese mußte eine geradezu stupende Formkunst hervorbringen, da die Realisierbarkeit des Projekts formal unter Beweis zu stellen war und seine Verwirklichung eine sprachliche und metrische Übereinkunft und Regelung voraussetzte. Nur so ließ sich die patriotisch in das Vermögen der Volkssprache gesetzte Hoffnung erfüllen, der Glaube an die Gesetzmäßigkeit und den Reichtum des Deutschen bewahrheiten und die Kunstfähigkeit dieser Sprache durch ihre Einzwängung || [ 16 ] in das Metrum sinnfällig machen. Hierdurch wurden nicht nur, wie bemerkt, Triebe der höfischen europäischen Renaissancedichtung beschnitten, sondern auch die reichen Traditionen stadtbürgerlicher und volkstümlicher Literatur des 16. Jahrhunderts ausgegrenzt. Bezeichnenderweise tauchen in den Briefen des vorliegenden Bandes zum Beispiel einige volkstümliche Trinklieder nur in der Schilderung eines Fests (s. 250305 K 39) auf, nicht aber in den das Programm der Fruchtbringenden Gesellschaft vertretenden Werken. Gerade im Hinblick auf die Anfangszeit der Fruchtbringenden Gesellschaft, in der Fürst Ludwig und Herzog Johann Ernst d. J. von Sachsen-Weimar (FG 3) aus dem Geist der sog. Zweiten Reformation mit Hilfe Wolfgang Ratkes und nach seinen Ideen in Köthen und Weimar eine Bildungsreform auf der Grundlage der Volksschulung einleiteten, fällt die spätere Ausrichtung der Akademie auf eine von Gelehrten und Hofleuten getragene Kultur besonders auf. Vielleicht kommen in den ersten drei oder vier Jahren nach der Gründung der Gesellschaft Belange oder Werke der Akademie im erhaltenen Briefwechsel meistens nicht zufällig nur am Rande zur Sprache. Nur in seinen Gelli-Ubersetzungen, namentlich in den zur Wiederveröffentlichung vorgesehenen ( DA II A Ludwig I ), schon damals unter dem Titel Anmutige Gespräch Capricci del Bottaio genandt (1619) publizierten philosophischen Dialogen, brachte Fürst Ludwig auch als Fruchtbringer ein umfassendes volkssprachliches Bildungsprogramm in mustergültiger Sprache und Form an das Licht der Öffentlichkeit. Wenn für die marginale Bedeutung der Gesellschaftsbelange im frühesten Briefwechsel nicht mangelhafte Überlieferung der wichtigeren einschlägigen Dokumente verantwortlich zu machen ist, muß dieser Umstand wohl der anfänglichen Unterordnung der Gesellschaftsziele unter ein weitgefächertes Reformprogramm zugeschrieben werden. Dieses deutet sich in seinem kulturellen, politischen und religiösen Anspruch bereits in einem Memorial Ratkes an das Reich an. Schon 1612 wollte der Didacticus demnach darlegen, wie „im ganzen Reich, ein einträchtige Sprach, ein einträchtige Regierung, und endlich auch ein einträchtige Religion bequemlich einzuführen und friedlich zu erhalten sei.” Man wird diese Aussage nicht einfach als hohles Versprechen eines zeittypischen Projekteschmieds übergehen dürfen, schienen doch die politische Union des Protestantismus, die Erneuerung der Reformationsidee, der Irenismus, die neue Frömmigkeit, der in den Wissenschaften und dem Bildungssystem geforderte Realismus und andere Bestrebungen tatsächlich auf die bevorstehende Umwälzung der politischen, kirchlichen und kulturellen Verhältnisse hinzuweisen. Das Scheitern der politischen, konfessionellen und bildungsmäßigen Pläne drückt sich fast zugleich in der Niederlage von Fürst Ludwigs Bruder Christian I. in der Schlacht am Weißen Berge (1620) und in der Verhaftung Ratkes (1619) aus, dessen Versagen eng mit den unüberbrückbaren Gegensätzen zwischen Reformierten und Lutheranern verknüpft war. Es dürfte kein Zufall sein, daß erst danach die Fruchtbringende Gesellschaft mit ihrem Gesellschaftsbuch von 1622 selber an die Öffentlichkeit trat. Ihr Programm schien sehr viel bescheidener zu sein. Tatsächlich mögen die Gründer bei der Stiftung der Sozietät auch nur darüber nachgedacht haben, „wie eine sothane Gesellschafft zu er- || [ 17 ] wecken und anzustellen/ darinnen man in gut rein deutsch reden/ schreiben/ auch anders so bey dergleichen zusamensetzung und erhebung der Muttersprache (darzu jeder von Natur verpflichtet) gebräuchlich un dienlich/ vornehmen möchte. Worauff dann geschlossen worden/ diese Gesellschafft/ wie wol anfangs in der enge/ doch also anzurichten/ damit jedermänniglichen/ so ein liebhaber aller Erbarkeit/ Tugend' und Höfligkeit/ vornemblich aber des Vaterlands/ durch anleitung der darzu erkornen überflüssigen Matery/ anlaß hette/ desto eher nach einnehmung dieses guten Vorhabens sich freywilliglich da hinein zubegeben.” (GB 1622; veröffentlicht in DA II A Ludwig I ). Wenn auch den sächsischen und anhaltinischen Stiftern der Sozietät damals noch nicht der Mut zu verwegenen politischen Unternehmungen (vgl. 221214) und zur Fortführung der mit Kippergeld finanzierten ratichianischen Reform geschwunden war, müssen jedoch Fürst Ludwig und andere frühe Gesellschaftsmitglieder (vgl. 210421) umzudenken begonnen haben. Die im Gesellschaftsbuch von 1622 dokumentierte Besinnung auf ethische, sprachliche, literarische, höfische und kulturpatriotische Belange bedeutete aber keinen Verzicht auf die zuvor unmittelbar in politischen, militärischen, pädagogischen und wissenschaftlichen Projekten verfolgten Ziele. Die Akademie, in ihrem kulturellen Programm selbst zum Träger der anders gescheiterten Bestrebungen geworden, gewann somit eine größere Bedeutung, welche ihre Arbeit in eine politische und religiöse Dimension rückte. Die Ausdehnung in die bürgerliche Gelehrtenschicht und das nationale Bestreben standen dabei in einem nicht widerspruchsfreien Zusammenhang mit europäischen politischen, konfessionellen und ständischen Interessen. Die zunehmende Aufnahme von Katholiken wie Nikolaus von Troilo (1627), Gelehrten bürgerlicher Herkunft wie Martin Opitz (1629) und ausländischen Staatsmännern und Heerführern wie Axel Oxenstierna (1634), Johan Banér (1633) und Octavio Piccolomini (1641) bezeichnet allerdings eine Wandlung in der Taktik, wenn nicht in den Zielen und der Rolle der Gesellschaft. Eine solche Entwicklung deutet sich zwar schon zum Teil in der vorliegenden Veröffentlichung an, wird aber erst in den Folgebänden der Edition in einem solchen Umfang zutage treten, daß die Geschichte der Fruchtbringenden Gesellschaft erkennbar wird.
An dieser Stelle konnten nur einige Anhaltspunkte für die Einschätzung der weiteren Entwicklung gegeben werden. Sie lassen wohl erahnen, daß eine solche Bündelung weitgesteckter Ziele nicht von einzelnen Gelehrten, Höflingen und mißverstandenen Talenten zu erwarten war, wohl aber von Fürsten, welche die auf Ausgleich und Nutzbarmachung ausgerichteten Interessen des Hofs, die sich in der Konfiguration einer neuen Aristokratie zu kristallisieren vermochten, auf die Organisation einer ständeübergreifenden Sozietät lenken konnten. Diese nicht mehr allein vom Adel dominierte Aristokratie konnte sich allerdings nur dann im historischen Prozeß als Nukleus einer nationalen Führungsschicht erweisen, in der konfessionelle, regionale, ständische, berufliche, selbst geschlechtliche Unterschiede unter der Devise „Alles Zu Nutzen” aufgehoben wurden, wenn ein patriotisches, ethisches und kulturelles Programm wie das der Fruchtbringenden Gesellschaft die Mitglieder in dem zunächst einzugren- || [ 18 ] zenden Tätigkeitsbereich zu einem Verhalten ermunterte, das nicht durch die jeweilige partikuläre politische, dynastische, ständische, konfessionelle oder andere Motivation gefesselt war. Fürst Ludwig drückte dies am 18. 1. 1648 in seiner Antwort an den adelsstolzen Herrn Rudolph von Dietrichstein aus, der unmittelbar nach seinem Eintritt in die Akademie deren Verwandlung in einen Ritterorden und daneben die Errichtung einer zweiten Fruchtbringenden Gesellschaft für Nichtadlige vorgeschlagen hatte. Ludwig wies dieses Ansinnen mit der Erklärung der alten Gesellschaftsziele zurück: „Der Zweck ist alleine auf die Deutsche sprache und löbliche tugenden, nicht aber auf Ritterliche thaten alleine gerichtet, wiewohl auch solche nicht ausgeschlossen, Und wie die eintrettung, auf gebürliches angeben, allen ehr- und tugendliebenden vergönnet, also wird ihnen, sie kommen Zeitlich oder langsam hienein, dadurch an ihren würden und hoheit nichts benommen, nur das die Zeit der eintrettung beachtet, und wan sich ieder hienein begeben, bey gewißer feyerligkeit erinnert wird, [...]. Das fürnemste aber ist, das von anfang her und noch, bis nun in das einund dreyssigste Jhar, in der geselschaft wol erwogen und betrachtet gewesen das von wegen der freyen künste wissenschaft, die gelehrten, auch edel, sowol als die erfarnen in waffen gehalten werden können, so doch die feder am meisten führen müßen, nicht möchten ausgeschlossen sein, und man ihrer nützlich, Zu fortpflantzung der Muttersprache, Zu gebrauchen, inmassen auch solches vielfältig von ihnen geschehen, und an den Tag gekommen.” [ KE 98]. Dieser vertiefte Arte-et-Marte-Gedanke bezeichnet somit einen Anspruch, an dessen Erfüllung die geschichtliche Leistung der Fruchtbringenden Gesellschaft gemessen sein will. Die hier angeführten Briefe Hübners , Buchners , Werders , Opitz' und Christians II. heben zwar noch nicht die Grenze zwischen einer Hof- und Gelehrtenkunst auf, jedoch lassen auch sie schon die Tendenz erkennen, die in späteren Schreiben und deren Beilagen Aussagen und Werke einer entstehenden nationalen Literatur- und Sprachpflege zeitigte.
Kein Zweifel, „Alles Zu Nutzen", das ,Wort' der Fruchtbringenden Gesellschaft, zielte nicht auf eine Ausbeutung der Fähigkeiten ihrer gelehrten Mitglieder oder gar auf eine Instrumentalisierung ,bürgerlicher' Vernunft. Wenngleich wir viele frühe Mitglieder der Gesellschaft, zum Beispiel Verwandte Fürst Ludwigs und Hofbeamte wie Friedrich von Schilling oder Ernst und Heinrich von Börstel , in dem erhaltenen Briefwechsel nur im persönlichen Umgang, in politischer, militärischer, administrativer oder sonst für die Belange der Akademie nebensächlicher oder höchstens dienstbarer Tätigkeit beobachten können, manche Frauen und Männer uns darüber hinaus auch nur als verständige Leser der unter der fürstlichen Presse gedruckten Bücher entgegentreten (z. B. Fürst Christian I. v. Anhalt-Bernburg ), so trägt doch die Lektüre auch dieser Schreiben zur Erkenntnis des hier bedeutsamen Phänomens bei: der Hof konnte zum Sammel- und Organisationspunkt einer sprachlichen und literarischen Reform werden, die die erwähnten Unterschiede überwand, weil Fürsten, Adlige, Räte, Offiziere, Gelehrte und Dichter die Ansprüche ihres Standes, ihrer Bildung und ihrer jeweiligen Tätigkeit verbinden zu können glaubten. Ihre durch Studien, ausgedehnte Reisen und höfischen Verkehr ge- || [ 19 ] wonnene, humanistisch fundierte Bildung ermöglichte es ihnen, bei dem renaissancehaften Wettbewerb der Sprachen und Kulturen mitzuwirken oder diesen verständnisvoll zu begleiten. Schließlich setzte der fürstliche Hof der Frühen Neuzeit in der alteuropäischen sprachlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Gemeinschaft — anders als in der bürgerlichen Gesellschaft und dem Nationalstaat des 19. Jahrhunderts — auch der Mitwirkung der gebildeten Frau oder des Ausländers noch keine allzu engen Grenzen. Obgleich die Fruchtbringende Gesellschaft die deutsche Sprache kultivieren wollte, mußte der sprachlichen Überlieferung sogar durch die Einbeziehung recht vieler französischer, italienischer und lateinischer Briefe und Gedichte Rechnung getragen werden, zumal die fremdsprachliche Bildung und der renaissancehafte Wettbewerb das Deutsche nur im Einklang mit der Übung fremder Sprachen und in der Form der Nachahmung oder Übersetzung zu entwickeln erlaubten. Daneben empfahlen nicht nur die soziale Stellung der Frau bei Hofe und ihre Mitwirkung an Aufgaben der Fruchtbringenden Gesellschaft und der ratichianischen Bildungsreform die Einbeziehung der Briefe oder Gedichte von Frauen in den vorliegenden Band. Die gesellschaftliche Rolle der fruchtbringenden Männerakademie am Hofe wird nämlich nur dann richtig eingeschätzt werden, wenn die leider nur selten erhaltenen Schreiben (230000) von Damen der Tugendlichen Gesellschaft, einer Parallelgründung zur Fruchbringenden Gesellschaft, oder die häufiger überlieferten Briefe und Berichte der Hirten und Hirtinnen der Académie des Parfaits Amants (231206, 240112, 240301, 240400, 240718, 250228, 250305, 250500, 250514, 260000, 260000A u. 260500) in die Ausgabe einbezogen werden. Diese Zeugnisse liefern wertvolles Quellenmaterial, das es erlaubt, die Ausdrucksformen dieser Sozietäten mit denen der Fruchtbringenden Gesellschaft zu vergleichen und den Sitz dieser Vereinigungen im höfischen Leben sichtbar zu machen. So wirft das literarische Rollenspiel der Parfaits Amants, das seine Inspiration aus L'Astrée gewinnt — dem bekannten französischen Moderoman von Honoré d'Urfé und seinen Fortsetzern —, ein Licht auf die Verquickung dieser pastoralen Akademie mit der Fruchtbringenden Gesellschaft, auf die Teilnahme der Fruchtbringenden Gesellschaft am höfischen Festbetrieb und auf das gesellschaftlich gelebte Interesse an fremder Sprache und Literatur. Gleichzeitig stellen diese Quellen manchmal — wenn sie etwa von einer unkomplizierten jungen Person geschrieben sind (s. 240718) — eine Fundgrube für das Studium der höfischen Umgangssprache dar, liefern mithin wichtiges Vergleichsmaterial für die Beurteilung der literarischen und brieflichen Sprache.
In dem hier vorgelegten ersten Band der Edition, welcher die Briefe und beigefügte andere Zeugnisse aus dem ersten Jahrzehnt der Fruchtbringenden Gesellschaft vereinigt, wird der Leser programmatische Äußerungen und erste Proben der sprachlichen und literarischen Arbeit erwarten dürfen, nicht aber die Erfüllung der erwähnten Bestrebungen. Die Anwendung des allgemeinen Kriteriums für die Aufnahme eines Briefes in diesen Band — sein inhaltlicher Bezug auf Tätigkeiten, Werke, Bestrebungen, Repräsentationsformen und andere wesentliche Äußerungen der Akademie — verlangte bei vielen Schreiben || [ 20 ] eine Erläuterung, die die Aussagekraft eines Briefes für diese Belange begründete. Mitgliedschaft eines Korrespondierenden in der Akademie oder das wissenschaftliche oder literarische Interesse an einem Gelehrtenbrief durften ebensowenig den Ausschlag für die Veröffentlichung geben wie die Provenienz oder Form eines Dokuments. Einen Erzschrein im Sinne eines Archivs oder Sekretariats, in dem einschlägige Zeugnisse vom Oberhaupt oder einem Erzschreinhalter — wie in der späteren Fruchtbringenden Gesellschaft — gesammelt worden wären, gab es in der Frühzeit nicht. Als freier Zusammenschluß, der auf Vereinigungen der Aufklärung vorausweist und im übrigen Elemente der älteren oder gleichzeitigen Rittergesellschaften, Bruderschaften und fürstlichen Orden in neuartiger Weise mit den Zielen der frühen europäischen Akademiebewegung verknüpfte, besaß diese Gesellschaft keinen Apparat und keine Geschäftsordnung. Sie verstand ,Gesellschaft' letztlich in dem ursprünglichen Sinne einer natürlichen societas humana, deren Existenz und Gemeinschaftswille nur auf dem Wollen und Tun der Einzelnen beruhen sollte. Ordnungen der Sozietät wie die Bestimmungen über die Gesellschaftsnamen und den Gesellschaftszweck im Gesellschaftsbuch von 1622 oder die Ausbildung von Verkehrsformen wie dem Gebrauch von Impresen und Gesellschaftsbriefen entwickeln sich erst langsam in dem Zeitraum, dem die im ersten Band vorgelegten Schreiben und Beilagen entstammen. Nicht einmal die Existenz einer Stiftungsurkunde der Akademie ist bezeugt. Somit mußten gerade die frühen Zeugnisse der Fruchtbringenden Gesellschaft in vielen Archiven, Bibliotheken und Museen und in sehr unterschiedlichen Quellengattungen zusammengesucht werden. Das bei der Edition verfolgte Prinzip, wenigstens alle Briefe im vollen Wortlaut zu veröffentlichen und im Kommentar vollständig und eingehend zu erläutern, schien sich trotz des damit verbundenen Arbeitsaufwands in Hinsicht auf die Quellenlage und die Einbettung des Gesellschaftslebens in unterschiedliche geschichtliche Zusammenhänge zu empfehlen. Dieses Prinzip wird seine Gültigkeit auch in den Folgebänden behalten, obgleich in den späteren Briefen die allmähliche Ausbildung festerer Verkehrsformen und die damit verbundene Einengung auf literarische und sprachliche Themen eine stärkere Konzentration und Spezialisierung des Kommentars ermöglicht.
Wenn selbst Fürst Ludwig einmal in konspirativer Absicht seinen Gesellschaftsnamen (Der Nährende) unter einen Brief militärischen und politischen Inhalts setzt (221214), können weder die Benutzung eines solchen Namens, die in späteren Gesellschaftsbriefen erwartet wurde, noch die brisanten Nachrichten des Schreibens, das für die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges nicht ohne Belang ist, die Aufnahme des Briefs in die Ausgabe begründen, sondern allein das Interesse, das einem solchen ,Mißbrauch' des Gesellschaftsnamens durch das eigentliche Oberhaupt der Akademie und der die Gesellschaftsgeschichte erhellenden Verfolgung derartiger politischen und militärischen Pläne zukommt. Bedenkt man nämlich, daß erst in dieser Zeit erste Versuche unternommen wurden, eine Korrespondenz zu führen, die nur gesellschaftlich akzeptable Themen in mustergültiger Form behandelte (vgl. 200125, 210401 u. 230430), so dürfen formale Kriterien nicht über die Aufnahme oder Zurück- || [ 21 ] weisung einer Quelle in der Ausgabe entscheiden. In den meisten frühen Briefen werden in aller Regel fruchtbringerische Gegenstände nur neben politischen, administrativen, militärischen, privaten und anderen Themen angesprochen.
Während der zeigenössische Briefwechsel von Gelehrten nur in den Stücken berücksichtigt wurde, die die Fruchtbringende Gesellschaft unmittelbar betreffen, waren Schreiben anderer in der Akademie vertretener Personen gelegentlich auch dann aufzunehmen, wenn sie nur eine literarische, künstlerische oder wissenschaftliche Tätigkeit bezeugten. Das gilt besonders für Mitglieder, die keine Bücher geschrieben haben und von deren einschlägigen Interessen sonst nichts überliefert ist. Ein Verzicht auf diese Schreiben hätte der Forschung die Möglichkeit genommen, sich überhaupt ein Bild von der Rolle solcher Mitglieder in der Akademie zu verschaffen. Beispielsweise werden einige frühe, kurze Schreiben Heinrichs von Börstel (FG 78; Der Eilende), des Leiters der Landesregierung im Teilfürstentum Anhalt-Bernburg , veröffentlicht, die ihn schon vor seiner Aufnahme in die Gesellschaft als Helfer Fürst Ludwigs bei der Beschaffung von Büchern zeigen. Dieser in den Geschäften der Welt erfahrene, rührige Mann wäre wohl kaum schon früh (1623) der Mitgliedschaft gewürdigt worden, wenn er sich aufgrund seiner Stellung und Aufgeschlossenheit Fürst Ludwig nicht hätte nützlich erweisen können. Ein Brief wie Börstels Schreiben 190322 dient außerdem nicht nur dazu, uns ein Bild von der Qualifikation eines solchen Mitglieds zu verschaffen. Er gibt zudem Aufschluß über die Bibliothek des Büchersammlers Ludwig und liefert Hinweise auf Vorlagen und Hilfsmittel, die bei der Abfassung der unter der Köthener Presse gedruckten Werke benutzt worden sein mögen. So trägt selbst dieser unwichtige Brief eines wenig bedeutenden Mitglieds dazu bei, Schlaglichter auf die Mitarbeit des fürstlichen Briefempfängers bei der ratichianischen Reform und auf seine religiösen Interessen zu werfen. Er enthüllt beispielhaft ein weites europäisches Beziehungsgeflecht, das sich in diesem Fall von Anhalt über Kassel bis nach Köln , Frankfurt a. M. , Paris und Genf spannt und zwei weitere, etwas später der Fruchtbringenden Gesellschaft oder der Académie des Parfaits Amants beitretende Personen einbezieht.
Die Kriterien für die Aufnahme von Briefen in die vorliegende Edition waren besonders häufig bei den Schreiben der Jahre 1617, 1618 und 1619 am Beispiel zu überprüfen. Zwei französische Weihnachtsschreiben aus dem Jahre 1617 (171224 u. 171225) empfahlen sich weniger durch mythologische Erfindung als durch Erwähnung des Ölbergers, jenes geradezu kultischen Trinkgefäßes, dessen Gebrauch bei der Aufnahme von Gesellschaftsmitgliedern zeremoniöse Bedeutung erlangen sollte. Aus den folgenden Jahren sind im Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt in Oranienbaum [heute LHA Dessau], in der Forschungsbibliothek Gotha und im Thüringischen Hauptstaatsarchiv zu Weimar viele Konvolute mit Archivalien der ratichianischen Reform und der damals zu ihrer Unterstützung eingerichteten fürstlichen Köthener und Weimarer Druckereien und Münzen erhalten. Zwar ist in diesen Dokumenten häufig von Buchprojekten zur Kultivierung des Deutschen und anderer Sprachen und von ambitionierten wissenschaftlichen und schulischen Unternehmungen die Rede, jedoch hätte die Einbeziehung || [ 22 ] dieser Quellen in unsere Ausgabe den Rahmen gesprengt, ohne im engeren Sinne fruchtbringerisches Material zutage zu fördern. Da sich die Ziele der Fruchtbringenden Gesellschaft und die durch sie beabsichtigte weitgreifende Kulturreform aber kaum ohne den Einfluß der Ideen Wolfgang Ratkes und der bei dem Köthener Versuch einer Volksschulung gewonnenen Erfahrungen verstehen lassen, wurde dennoch eine kleine Anzahl solcher Schreiben aus den ratichianischen Konvoluten in den vorliegenden Band aufgenommen, welche diesen Zusammenhang erhellen und häufig fruchtbringerische Projekte und Drucke erwähnen.
Sehr viele der hier veröffentlichten Briefe stammen von Fürst Ludwig oder sind an ihn gerichtet. Dies ist nur zum Teil der vorwiegend mündlichen Kommunikation unter den frühen Gesellschaftsmitgliedern oder dem Zufall der Überlieferung bzw. der Ungunst der Verhältnisse zuzuschreiben, denn Privatsammlungen, Archive adliger Geschlechter oder Gutsarchive mit Briefen und anderen Quellen des 17. Jahrhunderts sind wohl schon seit alter Zeit seltener angelegt oder aufgehoben worden als die regierender Häuser. Eine Ausnahme bilden nur die Sammlungen von Gelehrtenbriefen, welche allerdings oft auch nur in Abschriften oder alten Drucken erhalten sind. Deshalb ließen sich auch nur wenige einschlägige Briefe so herausragender früher Mitglieder wie Tobias Hübner oder Diederich von dem Werder finden. Besonders bedauerlich erscheint es, daß der Gesellschaftsälteste Caspar von Teutleben (FG 1) zwar lebendige und für seine Person sehr aufschlußreiche amtliche Schreiben (z. B. im Staatsarchiv Coburg ) hinterlassen hat, daß diese aber nicht zur Kenntnis seiner Rolle in der Fruchtbringenden Gesellschaft beitragen und daher im vorliegenden Band auch nicht veröffentlicht werden konnten.
Dennoch muß für die Geschichte der Fruchtbringenden Gesellschaft der Tatsache Bedeutung beigemessen werden, daß wesentlich mehr Schreiben Fürst Ludwigs oder Prinz Christians II. von Anhalt-Bernburg als anderer hochgestellter Mitglieder im Zusammenhang der vorliegenden Edition interessieren. An der Zeitfolge ihrer Briefe läßt sich nicht nur ihre zentrale oder doch sehr große Bedeutung für die Akademie ablesen, sondern auch — sieht man auf die in ihrer Korrespondenz erscheinenden Lücken — das Ausmaß des Verlusts an ursprünglich geschriebenen Briefen fruchtbringerischen Inhalts. Maximal ein Drittel der von ihnen verfaßten einschlägigen Schreiben mag erhalten sein, jedoch sinkt der Anteil des insgesamt bewahrten gesellschaftlichen Schriftguts wahrscheinlich auf zehn Prozent oder weniger. Einen guten Maßstab für die Einschätzung solcher Verluste dürfte die geringe Zahl der erhaltenen fruchtbringerischen Schreiben Tobias Hübners oder Diederichs von dem Werder liefern. Die festgestellten Überlieferungsmängel erscheinen höchstens dann in einem tröstlicheren Lichte, wenn man bedenkt, daß das im ersten Band veröffentlichte Briefmaterial die bisher verfügbare Quellenbasis für das Studium der frühen Fruchtbringenden Gesellschaft doch erheblich erweitert. Neben einem in Gottlieb Krauses Ausgabe der Gesellschaftskorrespondenz ( KE ) gedruckten Schreiben (220824) konnten nämlich bisher von Borkowski, Chroust, Geiger und Menzel nur noch eine Handvoll anderer Briefe bekanntgemacht werden. || [ 23 ] Außerdem ergänzte noch eine kleine Anzahl von Schreiben, die schon an verschiedenen Stellen im 17. oder frühen 18. Jahrhundert publiziert wurden, den mageren Bestand, so daß aus den bisher insgesamt sehr mangelhaft veröffentlichten Briefen (200125, 210401, 220824, 221214, 221223, 230430, 240301, 240400, 250110, 250218A, 250228, 250305, 250413, 250609, 250700, 250706, 251100, 260000, 260000A, 260500), die zudem allesamt eines eingehenden Kommentars entbehren, kein annähernd genaues Bild von der Frühgeschichte der Akademie zu gewinnen war.
Eher noch unvollständiger als die Briefe sind die Beilagen zu diesen Schreiben erhalten, da sie nicht nur gemeinhin bei den gedruckten Schreiben, sondern auch meistens in den Handschriftenbeständen der Briefe fehlen. Sie konnten gleichwohl in der Mehrzahl der Fälle aufgrund der brieflichen Aussagen oder dank unterschiedlicher Indizien wiederbeschafft werden, wenn auch manchmal nur in der abweichenden Form einer Sarginschrift oder eines in einer Leichenpredigt gedruckten Trauergedichts oder auch einmal nur indirekt in der Vorlage einer verlorenen Übersetzung (210401 I). Diese Beilagen, in den meisten Fällen bisher kaum bekannte Akademiearbeiten, sind nicht nur für die Rekonstruktion des ursprünglichen Textzusammenhangs von Bedeutung, sondern auch sehr oft deshalb, weil sie die frühesten Zeugnisse einer literarischen Arbeit oder Neuerung darstellen. In einigen Fällen sind im vorliegenden Band im Anschluß an Briefe auch kurze Dokumente zitiert worden, die zwar ursprünglich nicht dem jeweiligen Schreiben beigelegen haben, jedoch das Verständnis des Briefs erhellen. Auf den Abdruck recht bekannter oder sehr umfänglicher Beilagen oder Textanhänge mußte dagegen im Rahmen dieser Ausgabe fast immer verzichtet werden. Die Art der Beilagen und Anhänge macht eine Inhaltsangabe oder detaillierte Erläuterung zumeist überflüssig. Da in der Edition die Briefe im Vordergrund stehen, mußte auch in den übrigen Fällen auf Inhaltsangaben verzichtet und der Kommentar zu den beigefügten Texten auf das Notwendigste beschränkt werden. Wichtiger erschien es, im Kommentar zu den Schreiben, welche nicht zusammen mit den übrigen Briefen der ursprünglichen Korrespondenz veröffentlicht werden können, den biographischen und historischen Zusammenhang auch durch längere Zitate aus unveröffentlichten Quellen zu rekonstruieren.
Dank gebührt vorab der Deutschen Forschungsgemeinschaft, deren Unterstützung auch die Erschließung und editorische Aufarbeitung des im vorliegenden Bande erfaßten Materials ermöglicht hat. Dem ehemaligen Leiter der Bibliothek, Herrn Prof. Dr. Drs. h. c. Paul Raabe, gilt mein besonderer Dank für das große Verständnis und die Förderung, die er dem Projekt auch schon in seiner Vorbereitungsphase gewidmet hat. Ohne die in Wolfenbüttel gehüteten Bücher und Handschriften des Befreienden, des Herzogs August d. J. zu Braunschweig und Lüneburg (FG 227), und die übrigen Schätze der Bibliothek wäre vor allem die ausführliche Kommentierung unserer Texte unvorstellbar gewesen.
Während sich mein Kollege Martin Bircher, unterstützt von Gabriele Henkel und Andreas Herz, der Edition der Dokumente aus der Hallenser Spätzeit der Fruchtbringenden Gesellschaft widmete, half mir mit dankenswertem Engage- || [ 24 ] ment Dieter Merzbacher nicht nur bei der Transkription und Einrichtung der Texte, sondern auch bei der Eruierung so mancher Quellen und Fakten. Für viele Ratschläge und praktische Hilfen bin ich auch Martin Bircher und seinen Mitarbeitern Gabriele Henkel und Andreas Herz verpflichtet. Mein Dank gilt auch so manchem Forscher, Archivar, Bibliothekar und Museologen, der durch Anregung, Kritik, Hinweise oder zuvorkommende Hilfe die Arbeiten gefördert hat. Stellvertretend für viele andere möchte ich Herrn Prof. Dr. Helmut Koopmann (U. Augsburg), Herrn Dr. Carlos Gilly (Amsterdam/Basel), Herrn Günther Hoppe (HM Köthen), Herrn Thomas Ernst (U. Pittsburgh) und den Mitgliedern des Komitees des Internationalen Arbeitskreises für Barockliteratur der Herzog August Bibliothek meinen Dank bezeugen. Aus dem Kreis der Institutionen, aus deren Sammlungen die Texte und Kommentare des vorliegenden Bandes geschöpft wurden, darf ich an dieser Stelle — stellvertretend auch für viele andere — meinen Dank nur den Mitarbeitern des Landeshauptarchivs Sachsen-Anhalt (Oranienbaum [heute Dessau]), des Thüringischen Hauptstaatsarchivs, der Anna-Amalia-Bibliothek zu Weimar und der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, Halle , aussprechen.
Das Resultat meiner Arbeit widme ich meiner lieben Frau, Jutta Conermann, die mit großer Geduld und unermüdlicher Hilfe bei der Korrektur die Entstehung dieses Buches ermöglicht hat.
T
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