Suchbegriff: zesen_philipp
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1 - Zum vorliegenden Bande / Zum vorliegenden Bande

Dennoch sollten eher zufällige Umstände nicht die Leistung Hübners, Fürst Ludwigs oder Diederichs von dem Werder verdunkeln. Die frühe Fruchtbringende Gesellschaft hatte in den Versen dieser Dichter und einiger Poetae minores — besonders in den Nachdichtungen der großen Werke Salustes und Tassos — bahnbrechende und gelungene Modelle für eine deutschsprachige Nationalliteratur vorzuweisen, welche vor und neben Opitz selbständig den Wettbewerb mit romanischen Vorbildern aufnahmen. Die humanistische Erziehung des Adels, die auf germanisch-mittelalterlichen Grundlagen basierenden Gemeinsamkeiten der alteuropäischen Feudalgesellschaft (vgl. 240112 K 9) und die auf Bildungsreisen gewonnene Vertrautheit mit der Kultur süd- und westeuropäischer Höfe lassen es als folgerichtig und geradezu unabwendbar er- scheinen, daß der ständeübergreifende Hof zum kulturellen Nukleus der Nation wurde. Auch ein Fürst konnte den humanistischen Germanenmythos eines Aventinus (vgl. 230819) benutzen, um den deutschen Charakter der Fruchtbringenden Gesellschaft zu begründen, und im selben Atemzug dafür sorgen, daß Werder durch Ubersetzungen aus dem Italienischen Tassos und Alamannis die nationalen Ziele dieser Akademie förderte. Opitz, der geniale Literaturstratege (Klaus Garber), welcher in seinem großen Widmungsbrief an diesen Fürsten (250700) die kaiserlich-römische, karolingische, hochmittelalterliche und neuzeitlich-europäische Literatur an Beispielen für eine fruchtbare Beziehung von Dichtern und fürstlichen Dilettanten oder Mäzenen abhandelt, hat zwar durch seine staunenerregenden Werke sein Programm einer deutschen höfischen Gelehrtendichtung endlich mit dem Vorhaben einer gelehrt-nationalen Hofdichtung verknüpfen können, dadurch aber auch — ablesbar an der Anpassung der adligen , Reimmeister' der Fruchtbringenden Gesellschaft an Opitz' Prosodie und Metrik — die Autonomie der höfischen Schöpfung erschüttert. Dies war wohl ein unabwendbarer, in der Zusammensetzung der höfischen Gesellschaft sogar vorbereiteter, für die Schaffung einer Nationalkultur notwendiger Vorgang. Schließlich entstammten auch Hofleute wie Hübner oder Friedrich von Schilling nicht dem Schwertadel, sondern dem Beamtenadel oder Patriziat (s. 231006 K 10). Der bezeichnete Vorgang erschloß ,bürgerlichen' Gelehrten den Zugang zur Fruchtbringenden Gesellschaft und gestand ihrer Arbeit nicht nur eine alternative Gleichberechtigung, sondern sogar eine dominierende Stellung zu. Blicken wir nur auf die Rollen, die die Sprachgelehrten Buchner, Gueintz, Harsdörffer, Schottelius und Zesen in den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts in der Fruchtbringenden Gesellschaft spielten, gewinnt das Drängen des ,Aufsteigers' Opitzum 1625 die ihm gebührende historische Dimension. Die widerspruchslose adlige Vereinbarung von Germanenmythos und Imitatio antiker oder romanischer Vorbilder verliert in dem hier skizzierten Prozeß allerdings ihre ursprüngliche soziale Basis. Der Reichtum formaler Entwicklungsmöglichkeiten in einer höfischen deutschen Dichtung wird zunehmend auf das ,Opitzieren' im deutschen Vers eingeschränkt. Der Leser wird in den folgenden Bänden die Debatte verfolgen müssen, die die hier begonnene Entwicklung der Akademie — und wohl auch die der deutschen Literatur und Sprache über das 17. Jahrhundert hinaus — bestimmt. Der unten zitierte Brief Fürst Ludwigs aus dem Jahre 1648 markiert den Stand dieser Entwicklung kurz vor dem Tod dieses Wegbereiters der deutschen Nationalkultur.