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1 - Zum vorliegenden Bande / Zum vorliegenden Bande

Die Diskrepanz der Lebens- und Kulturformen, die sich in den eigenen Bereichen des Hofes und der Schule immer noch — auch sprachlich getrennt — auslebte, sollte in einer neuen Kunstform überwunden werden. Diese mußte eine geradezu stupende Formkunst hervorbringen, da die Realisierbarkeit des Projekts formal unter Beweis zu stellen war und seine Verwirklichung eine sprachliche und metrische Übereinkunft und Regelung voraussetzte. Nur so ließ sich die patriotisch in das Vermögen der Volkssprache gesetzte Hoffnung erfüllen, der Glaube an die Gesetzmäßigkeit und den Reichtum des Deutschen bewahrheiten und die Kunstfähigkeit dieser Sprache durch ihre Einzwängung in das Metrum sinnfällig machen. Hierdurch wurden nicht nur, wie bemerkt, Triebe der höfischen europäischen Renaissancedichtung beschnitten, sondern auch die reichen Traditionen stadtbürgerlicher und volkstümlicher Literatur des 16. Jahrhunderts ausgegrenzt. Bezeichnenderweise tauchen in den Briefen des vorliegenden Bandes zum Beispiel einige volkstümliche Trinklieder nur in der Schilderung eines Fests (s. 250305 K 39) auf, nicht aber in den das Programm der Fruchtbringenden Gesellschaft vertretenden Werken. Gerade im Hinblick auf die Anfangszeit der Fruchtbringenden Gesellschaft, in der Fürst Ludwig und Herzog Johann Ernst d. J. von Sachsen-Weimar (FG 3) aus dem Geist der sog. Zweiten Reformation mit Hilfe Wolfgang Ratkes und nach seinen Ideen in Köthen und Weimar eine Bildungsreform auf der Grundlage der Volksschulung einleiteten, fällt die spätere Ausrichtung der Akademie auf eine von Gelehrten und Hofleuten getragene Kultur besonders auf. Vielleicht kommen in den ersten drei oder vier Jahren nach der Gründung der Gesellschaft Belange oder Werke der Akademie im erhaltenen Briefwechsel meistens nicht zufällig nur am Rande zur Sprache. Nur in seinen Gelli-Ubersetzungen, namentlich in den zur Wiederveröffentlichung vorgesehenen (DA II A Ludwig I), schon damals unter dem Titel Anmutige Gespräch Capricci del Bottaio genandt (1619) publizierten philosophischen Dialogen, brachte Fürst Ludwig auch als Fruchtbringer ein umfassendes volkssprachliches Bildungsprogramm in mustergültiger Sprache und Form an das Licht der Öffentlichkeit. Wenn für die marginale Bedeutung der Gesellschaftsbelange im frühesten Briefwechsel nicht mangelhafte Überlieferung der wichtigeren einschlägigen Dokumente verantwortlich zu machen ist, muß dieser Umstand wohl der anfänglichen Unterordnung der Gesellschaftsziele unter ein weitgefächertes Reformprogramm zugeschrieben werden. Dieses deutet sich in seinem kulturellen, politischen und religiösen Anspruch bereits in einem Memorial Ratkes an das Reich an. Schon 1612 wollte der Didacticus demnach darlegen, wie im ganzen Reich, ein einträchtige Sprach, ein einträchtige Regierung, und endlich auch ein einträchtige Religion bequemlich einzuführen und friedlich zu erhalten sei. Man wird diese Aussage nicht einfach als hohles Versprechen eines zeittypischen Projekteschmieds übergehen dürfen, schienen doch die politische Union des Protestantismus, die Erneuerung der Reformationsidee, der Irenismus, die neue Frömmigkeit, der in den Wissenschaften und dem Bildungssystem geforderte Realismus und andere Bestrebungen tatsächlich auf die bevorstehende Umwälzung der politischen, kirchlichen und kulturellen Verhältnisse hinzuweisen. Das Scheitern der politischen, konfessionellen und bildungsmäßigen Pläne drückt sich fast zugleich in der Niederlage von Fürst Ludwigs Bruder Christian I. in der Schlacht am Weißen Berge (1620) und in der Verhaftung Ratkes (1619) aus, dessen Versagen eng mit den unüberbrückbaren Gegensätzen zwischen Reformierten und Lutheranern verknüpft war. Es dürfte kein Zufall sein, daß erst danach die Fruchtbringende Gesellschaft mit ihrem Gesellschaftsbuch von 1622 selber an die Öffentlichkeit trat. Ihr Programm schien sehr viel bescheidener zu sein. Tatsächlich mögen die Gründer bei der Stiftung der Sozietät auch nur darüber nachgedacht haben, wie eine sothane Gesellschafft zu er- wecken und anzustellen/ darinnen man in gut rein deutsch reden/ schreiben/ auch anders so bey dergleichen zusamensetzung und erhebung der Muttersprache (darzu jeder von Natur verpflichtet) gebräuchlich un dienlich/ vornehmen möchte. Worauff dann geschlossen worden/ diese Gesellschafft/ wie wol anfangs in der enge/ doch also anzurichten/ damit jedermänniglichen/ so ein liebhaber aller Erbarkeit/ Tugend' und Höfligkeit/ vornemblich aber des Vaterlands/ durch anleitung der darzu erkornen überflüssigen Matery/ anlaß hette/ desto eher nach einnehmung dieses guten Vorhabens sich freywilliglich da hinein zubegeben. (GB 1622; veröffentlicht in DA II A Ludwig I). Wenn auch den sächsischen und anhaltinischen Stiftern der Sozietät damals noch nicht der Mut zu verwegenen politischen Unternehmungen (vgl. 221214) und zur Fortführung der mit Kippergeld finanzierten ratichianischen Reform geschwunden war, müssen jedoch Fürst Ludwig und andere frühe Gesellschaftsmitglieder (vgl. 210421) umzudenken begonnen haben. Die im Gesellschaftsbuch von 1622 dokumentierte Besinnung auf ethische, sprachliche, literarische, höfische und kulturpatriotische Belange bedeutete aber keinen Verzicht auf die zuvor unmittelbar in politischen, militärischen, pädagogischen und wissenschaftlichen Projekten verfolgten Ziele. Die Akademie, in ihrem kulturellen Programm selbst zum Träger der anders gescheiterten Bestrebungen geworden, gewann somit eine größere Bedeutung, welche ihre Arbeit in eine politische und religiöse Dimension rückte. Die Ausdehnung in die bürgerliche Gelehrtenschicht und das nationale Bestreben standen dabei in einem nicht widerspruchsfreien Zusammenhang mit europäischen politischen, konfessionellen und ständischen Interessen. Die zunehmende Aufnahme von Katholiken wie Nikolaus von Troilo (1627), Gelehrten bürgerlicher Herkunft wie Martin Opitz (1629) und ausländischen Staatsmännern und Heerführern wie Axel Oxenstierna (1634), Johan Banér (1633) und Octavio Piccolomini (1641) bezeichnet allerdings eine Wandlung in der Taktik, wenn nicht in den Zielen und der Rolle der Gesellschaft. Eine solche Entwicklung deutet sich zwar schon zum Teil in der vorliegenden Veröffentlichung an, wird aber erst in den Folgebänden der Edition in einem solchen Umfang zutage treten, daß die Geschichte der Fruchtbringenden Gesellschaft erkennbar wird.