Predigt Nr. 19 – Vetter 15 – BT 34va–36ra
[34va]
Überschrift
Absatz 1
FN-Anzahl: 2
1 An dem Palmsamstag vom rechten innigen und
fruchtbaren gebett, das da heißt ware vereinigung mit got und ist
über alle wort und uͤbung des ußwendigen gebetts.
2 Item von dreyen weysen, durch die man kompt in die
lütersten warheit.
3 Uß der massen
koͤstliche berichtung gewysen uff die wort
Christi:
4 "Clarifica me
pater."
1
5 Joannis xvij:
6 "Vatter verklaͤr mich."
2
1
Abschnitt 1
Absatz 2
Absatz 3
FN-Anzahl: 2
1 Der sun gotts, do er uffhuͦb seine augen in den hymmel,
sprach er:
2 "Vatter, mach klar dein
sun."
3
3 Diß werck lert
unß, das wir uff sollen heben all unser synn, hend, krefft und
gemuͤt in
A die hoͤhe und
betten in im, mit im unnd durch in.
4 Diß ist
das aller hochwürdigist gebett und werck, das gotts sun hie thet, do
er seinen vatter anbettet.
5 Diß ist aller
menschen vernunfft überschwencklich und kan niendert hierzuͦ
kommen noch versten, es sey dann von dem heiligen geist.
6 Von dem gebett spricht
Anßhelmus und sant
Augustinus, das es sey ein
uffgang des gemuͤts in gott.
1
Abschnitt 2
Absatz 4
Absatz 5
FN-Anzahl: 10
1 Die rychen menschen kommen zuͦ eüch unnd geben eüch armen
verzerten krancken kindern iiii heller oder vi und heissen euch etwa
vil gebett machen oder hundert 'pater noster' sprechen und gebent
eüch villeicht vi pfennig.
2 Von disem kauff
und sunst von andern weysen helt gott als vyl, als er will.
3 Aber ich sag dir ein
B ding:
4 Ker dich in der warheit von dir selber und von
allen geschaffen dingen, und richt dein gemuͤt gantz uff in
gott über alle creatur in den tieffen abgrundt.
5 Darinn versenck deinen geist in gotts geist in
warer gelassenheit, in allen deinen oͤbersten und nidersten
krefften über alle sinn und verstentnyß in einer waren vereiniggung
mitt gott innerlich in dem grundt.
6 Mit disem
uͤberkomst du alle wort unnd weyß unnd uͤbung.
7 Unnd darum bitt für alles, dafür du
schuldig bist zuͦ bitten unnd das die menschen von dir
begeren, unnd für alles, darumb gott will gebetten werden.
8 Unnd wiß als klein
C ein
haller gegen hunderttusent marck golds, also ist alles ußwendig
gebett gegen disem inwendigenn gebett, das da ist und heißt ware
einung mit gott, des geschaffen geists versincken unnd verschmeltzen
in den unbeschaffen geist gottes.
9 Kinder,
will dise einigung das gebett des munds leyden unnd ungehindert
darvon blyben, so thuͦ es kuͤnlich.
[35ra] Wann zwey sein besser
dann eins, und daz, darumb du gebetten bist, ist guͦt, das du
das thuͤst nach der wyß ußwendig, als du geheissen bist und
gelobt hast.
10 Und mit dem und in dem so treyb
dein gemuͤt uff in die hoͤhe und die innerliche
wuͤste, damit tryb alles dein vihe mit
Moyse4D Hindert dich aber eincherley wyß oder
gebet oder ußwendige werck, daz laß kuͤnlich uff mich faren,
ußgenommen die, die zuͦ irer zeit verbunden seind.
11 Wann alles gebet des munds ist recht als spreüer
und stro gegen edlen weitz, als
Christus sprach:
12 "Die waren
anbetter bitten in dem geist und in
a der warheit."
5In disem werden alle uͤbung
vollbracht: wort, werck und weiß, die von
Adams zeit geoͤffnet
E seind und noch geoͤffnet
werden biß an den jüngsten tag.
13 Daz
verbringen dise in einem augenblick mit disem waren wesenlichen
inkeren.
14 Als ir sehent dise kirchen und dise
manigfaͤltigkeit, die darzuͦ gehoͤrt, als das
fundament, die maur, die stein, die darzuͦ dienen, das sie
das alles herzuͦ tragen.
15 Diß ist
alles umb das gebet geschehen und würt in disem alles wesentlich
zuͦ warer frucht und in gott getragen, darumb es allessampt
worden ist und alle ding werden in einen augenblick ingetragen in
den grundt, da es alles ußgeflossen ist, da es ewigklich in
gegenwyrtigkeit gewesen ist.
16 Davon sprach
unser lieber herr:
17 "Ich hab alle ding wol
gethon, die du mir gabst zuͦ thuͦn."
6
18 Het er daz genommen nach der zeit, so wer es
nit also gewesen, wann es was noch vil ungethon, er solt noch
leydein und ersteen, sunder er meint nach der weiß der ewigkeit.
19 Da seind alle ding, als sie ewigklich
gewesen seind und ewigklich sein sollen, also seint sie yetzund in
disem nun.
20 Also dise men
F
schen, die darinn recht geraten, die wircken alle ir werck ußwendig
der zeit in ewikeit:
21 Sie betten in gottes
geist
7 und leben unnd wyrcken
in im, seind in selber gestorben.
22 Wann
niemant mag ein anders werden, er muͦß vor entwerden, daz er
ist.
23 Da betten dise und wyrcken in dem
geyst, da der vatter gebyrt seinen sun, da wirden sie wi
[35rb]der ingeboren.
24 In dem grundt würt der geyst wider
ingetragen uber alle bild und form ir selbs entbildet und entformet.
1
Abschnitt 3
Absatz 6
FN-Anzahl: 2
1 Dise menschen in disem gebett erwerben alle ding und bitten hie
den vatter für seinen sun, als bißher hat der sun für sie
gebetten.
8
2 Nun wie bitten sie für den sun?
3 Unser her lert unß betten, das sein namm
G geheiligt würd. des bitten sie all hie, daz sein
namm geheiligt und gegroͤßt und bekant und geliebt wird und
also gefunden werd, als er es ewigklichen angesehen und gemeint und
gewoͤlt hat in ewikeit, und das sein thür verdienen und syn
bitter leyden vergolten und widerlonet und fruchtbar wird.
4 Dise menschen bitten auch für die
heyligen christenheit, und ir gebett würt alweg erhoͤrt.
5 Sie nemen alle ding von got gleych,
haben und manglen lieb und leid gleichwillig und voͤlgig, da
ligt groß verdienen an.
1
Abschnitt 4
Absatz 7
FN-Anzahl: 1
1 Unser her sprach:
2 "Ich bitt dich, daz sie
eins werden, als wir eins seint."
9
3 Dise einung geschicht in zweierley weiß:
inwendig und ußwendig, mit mittel und on mittel, im geist und in
natur.
4 Diß würt offt faͤlschlich
verstanden, wan goͤtlich natur enpfecht keinen zuͦfal.
5 Dise einung mag die vernunfft nit
begreiffen, wie die seel mit dem leib vereinet ist und wie sie
würckt und bewegt sich in der hand und in den fuͤssen unnd in
den andern glidern.
6 Wie soll der mensch
goͤtlich einung versteen?
7 Die herin
kommen, die wyrcken ußwendig derzeit in ewikeit, uß geschaffenheit
in ungeschaffenheit, uß manigfaͤltigkeit in einfeltigkeitt.
8 Sie bleyben im fryd in unfridsamkeitt
und sincken mit einer begerung in den grundt und tragen got alle
wider uff, als es ewigklich in im gewesen ist und er es geliebt und
gemeint hat.
9 Diß ist neher denn das gebett,
ja, vil neher!
10 Darinn moͤgen die nitt
kommen, die in irer natürlichen vernunfft uffgewachsen seint und
gezogen in eigen toͤrlikeit und in irem sinn gelebt haben,
die kommen darzuͦ gar nit.
1
Abschnitt 5
Absatz 8
FN-Anzahl: 3
1 Nu moͤcht man fragen, welchs die weiß und die weg seind,
die da gehoͤren zuͦ der lautersten und zuͦ der
hoͤchsten und volkommesten warheitt.
[35va]
2 Unser herr
Jesus hat sant
Johannem in dryerley weiß gezogen.
3 Also zücht er noch alle menschen, die dann zuͦ der nechsten
warheit kommen sollen.
4 Nuͦn zoch
unser herr sant
Johansen
zuͦm ersten, do er in von der welt beruͦfft und macht
in zuͦ eim apostel.
10
5 Zuͦ dem andern mal ließ in unser her
ruͦwen uff seinem hertzen.
11
6 Zuͦ dem dritten, das das vollkommest
ist, das was uff den Pfingstag, da im der heilig geist gegeben ward
und er ward also ingenommen.
12
1
Abschnitt 6
Absatz 9
FN-Anzahl: 1
1 Nuͦn zuͦ dem ersten:
2 Dem
menschen würt geruͤfft mitt sant
Johansen von der welt.
13
3 Das ist, das der mensch alle seyn nidersten
krefft regier und ordne uß der oͤbersten bescheidenheit, also
das du lernest dich selber erkennen unnd bey dir selbs bleyben, das
du lernest war nemen deiner wort, das du niemand thuͦst, dann
als du woͤltest, das man dir thet, deyner bewegung, ob sie
von gott komm und wider gott zuͦfalle, deiner gedancken, das
du keinen boͤsen unnützen gedancken mit willen besitzest –
was dir darüber infelt, das ist nitt mer dann ein bereitung und ein
leüterung zuͦ einer besserung dyner werck–, das du nichts
meinest in allen deinen worten und wercken dann die ere gottes und
dein unnd aller menschen seligkeit und fryd.
4 Also nimpt dich unser lieber her von der welte und macht dich
zuͦ einem apostel gottes.
5 Unnd also
lernest du den ussern menschen machen, diß ist noch ein anfahender
mensch.
1
Abschnitt 7
Absatz 10
FN-Anzahl: 1
1 Zuͦ dem andern mal:
2 Wilt du
ruͦwen uff dem hertzen unsers herren
Jesu Christi,
14 das du ein fleissig sehen darauff
habst und sehest uff sein miltigkeit und demuͤtigkeit und an
sein senffte feürend lieb, die er hat zuͦ seinen freünden und
veynden, und an die grossen gehorsame gelassenheit, die er het in
alle weyß, in alle stett, da im der vatter innen ruͦfft.
3 Nun nimm sein tieffe miltigkeit, die er
allen menschen beweyßt, und sein gebenedyet armuͦt.
4 Hymmelreich und ertreich was syn unnd
besaß sein nie mit eygenschafft.
5 Alles, das
er sprach, und alles, das er wircket, damitt meinet er seins vatters
ere
[35vb] und aller
menschen seligkeit.
6 Nun syhe in daz
minniglich bild unsers herren
Jesu
Christi vil naͤher und tieffer, dann ich dich
geleren kan.
7 Sych dich mit fleyß an, wie
unglych du seyest disem bild, und syhe dein ungerechtigkeit und dein
kleinheit an.
8 Da laßt dich unser herr wol
ruͦwen.
9 Hierzuͦ ist dir in
diser zeyt neüt bessers noch nützers dann das sacramen des zarten
fronlychnams unsers herren
Jesu Chri
sti.
10 Wann in diser spyß findest du
alle rychtum und suͤssigkeit und krafft, mit den du warlichen
widersagst allem trost und suͤssigkeit diser welt.
1
Abschnitt 8
Absatz 11
FN-Anzahl: 3
1 Dise zwo weiß
H steend offt in vil menschen, die gar wol
wenne daran zuͦ sein mit eigenschafft in einem schwinden
gemuͤt und sich doch verren den nechsten wegen.
2 Sant
Johannes hat allein geruͦwet uff dem hertzen unsers
herren
15 - Dannocht
ließ er den mantel fallen und floch, do man
Christum fieng.
16
3 Also syest du, wie heilig du seyest in disen
zweyen weysen.
4 Ob du angegriffen würs, daz
du den mantel nit lassest fallen.
5 Aber ich
meine eygenschafft und geschwindigkeit dynes gemuͤts:
6 Daz du dich in disen zweyen wysen
uͤbest, das ist guͦt und heilig, und lassest dir dise
uͤbung diser weyß kein creatur neme, gott zyhe dich dann
selber neher.
1
Abschnitt 9
Absatz 12
FN-Anzahl: 5
1 Die dritt wyß
17 zeücht
dich denn
Christus on form und
on bild und on wyrckung, so biß sein werckzüg.
2 Das ist im vil loͤblicher und dir
nützlicher, daz du dich darinn lassest eins 'pater noster' lang,
dann ob du dich hundert jar uͤbtest in den andern zweyen
weysen.
3 Nun sprechen etlich menschen:
4 "Bistu nit darüber kommen?"
5 Ich sprich:
6 "Neyn.
7 Wann über das
I bild unsers herren mag niemant kommen."
8 Sunder du soltest sprechen:
9 "Bistu über die weg und wyß noch nit kommen, die du
mit eygenschafft besessen hast?"
10 Nuͦ
sich an mit flyß und nimm war der ordnung gotts von innen und nimm
ein weiß von der andern.
11 Hie würt die thür
uffgethon und geoͤffnet etlichen mit einem zug, etlichen mit
einer gelassenheit.
18
12 Hie würt s.
Paulus wort vollbracht, daz nie kein aug gesach, noch nie
or gehort, noch in keines men
[36ra]schen hertz kam, daz
gott hie offenbaret.
19J
1
Abschnitt 10
Absatz 13
FN-Anzahl: 1
1 Nymmer sol sich der mensch des versehen, daz er ymmer volkommen
werd, als ferr als es hie müglich ist, der usser mensch werd dann
gebracht in den inneren menschen.
2 Da wirt
der mensch ingenommen.
3 Da wirt ein
soͤllichs wunder, ein soͤllich reichtumb geoffenbaret,
und der vil darin gaffen woͤlt, der muͦß offt
zuͦ bett ligen, die na
Ktur künde es nit
getragen.
4 Nun wissent:
5 Ee daz volbracht werd, da von wir hie ge redt
haben, so muͦß uff die natur mancher todt fallen, ußwendig
und inwendig.
6 Dem selben tod antwurt ewigs
leben.
7 Und diß will nit eins tag noch eins
jars zuͦgen, es nimpt zeit.
8 Und
dazuͦ hoͤret subtilikeit, luterkeit und gelassenheit.
9 Und diß ist der aller volkommest weg,
der gesein mag, und wirt erfolget mit einem steten fleissigen
zuͦker zuͦ im selber und mit emssigen betrachten der
empfangen gaben von got etc.
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Abschnitt 11
FN-Anzahl: 0
1 Zuͦ welchem weg
uns gott vatter, sun und heiliger geist helff.
2 Amen.
1