Predigt Nr. 16 – Vetter 12 – BT 30vb–32ra; LT 49rb–; AT 39rb–; KT 75ra–
[30vb]
Überschrift
Absatz 1
FN-Anzahl: 2
Am zinstag in der palmwochen ein predig. Sagt, wie wir sollen hinuffgan zuͦ der hochzeyt mit einer goͤtlichen meinung und das hierzuͦ dienen alle gesetz eins geistlichen ordens. Auch wie der herr verborgenlich in unserm gebett ist oder in anderen guͦtten uͤbungen, ob wir sein doch nit enpfinden, das wir darumb nur erligen sollent. Hievon erklaͤrt würt, was sein zyt und was unser zeyt sey. Gesetzt uff die wort Christi: "Tempus meum non dum advenit etc."1aJoannes .vii. Capituluma.
Eine Predigt für den Dienstag in der Woche nach dem Palmsonntag [= Karwoche]. [Sie] spricht davon, wie wir zu dem hohen Fest mit einer auf Gott gerichteten Einstellung hinaufsteigen sollen und dass alle Vorschriften eines geistlichen Ordens hierbei dienlich sind. [Sie spricht] auch davon, wie der Herr in unserem Gebet und bei anderen frommen Tätigkeiten verborgen anwesend ist, auch wenn wir ihn nicht spüren, damit wir davon nicht erdrückt werden. Dadurch wird erklärt, was seine und was unsere Zeit ist. [Die Predigt ist] bezogen auf die Worte Christi "Tempus meum non dum advenit etc.", Johannesevangelium, 7. Kapitel.
Abschnitt 1
Absatz 2
FN-Anzahl: 6
Unser her sprach bzuͦ seinen jüngernb: "Gond ir hinuffc zuͦ der hochzeit. Ich wil yetzd nit dar gon, wann eüwer zeyt ist alle zeyt bereite, aberf mein zeit ist noch nit."2
Unser Herr sagte zu seinen Jüngern: "Zieht hinauf zu dem hohen Fest. Ich will jetzt nicht dorthin gehen, denn eure Zeit ist immer da, aber meine Zeit ist noch nicht gekommen."
Abschnitt 2
Absatz 3
FN-Anzahl: 13
Nun was ist dieg hochzeyt,A zuͦ der hunß derh herr heißt uffgen, der zyt all zeit ist? Dasi ist die warest und oͤberst hochzeyt, und die aller letst zeytj ist die hochzeyt des ewigen lebens, kdie dak die ewig seligkeit heißt, da gott gegenwertig istl in der warheit. Aberm die mag hie nitt seyn. Abern die hochzeyt, die wir hieB moͤgen haben, die ist oder ewigen hochzeyto ein vorgeschmack und ein entpfindenp in inwendiger gebrauchung, in inwendiger entpfindungq der gegenwertigkeit gottes in dem geyst. #
Was ist nun mit dem Fest gemeint, zu dem uns der Herr auffordert hinauf zu gehen und dessen Zeitpunkt jederzeit ist? Es ist das das einzig wahre und höchste Fest, und die allerletzte Zeit ist das Fest des ewigen Lebens, das ewige Seligkeit genannt wird, in dem Gott wahrhaftig gegenwärtig sein wird. Hier [in dieser Welt] jedoch kann es [= das Fest] nicht stattfinden. Doch das Fest, das wir hier feiern können, ist ein Vorgeschmack des ewigen hohen Festes und ein Gefühl des inneren Genusses in einem inneren Gefühl der Gegenwart Gottes im Geist [des Menschen].
Abschnitt 3
FN-Anzahl: 3
Das ist die zeyt, die allweg unser ist, das wir gott suͦchen und sein gegenwertigkeit mei [31ra]nen in allen unsern wercken und leben, willen und lieb3. Alsor soͤllen wir uffgeen über uns selber und über alles, das gott nit ist in allem woͤllen unnd lebens leuterlichen und annders nit. Dise zeyt ist alle zeit.
Die Zeit, die immer unsere [Zeit] ist, bedeutet, dass wir Gott suchen und unsere Gedanken in allen unseren Werken und in unserem ganzen Leben, Willen und Körper auf seine Gegenwart richten. Auf diese Weise sollen wir in unserem ganzen Wollen und Leben aufrichtig – und nicht anders – über uns selbst und alles, das Gott nicht ist, hinausstreben. Diese Zeit ist jederzeit gekommen.
Abschnitt 4
FN-Anzahl: 23
tDiser warent hochzeyt des ewigen lebensu begeren alle menschen von natur, und alle menschen woͤllen von natur selig sein. Aberv dise begerung ist nit gnuͦg. Wirw muͤssen gott meynen unnd suͦchen durch sich selber. Und disen vorschmack von der grossen waren hochzeyt hettenx vil leüt gern unnd klagen, das esy nit zwerden magz. Unnd wenn sy keiner hochzeyt entpfinden in irem grund, so sy betten aaoder ander uͤbung volbringenaa, noch gottes gegenwyrtigkeit befindenab, das verdrüßt sy und thuͦnd es dester minder oderac ungerner und sprechen, sy entpfinden gots nit. Darumb verdrieß sy des wirckens und des bettens. Diß soll derad mensch nit thuͦn. Wir soͤllen keines wercks dester minder thuͤn, wann gott ist da gegenwirtig, aber wir entpfinden sein nit. Er gieng doch heimlich zuͦ der hochzeyt. Wo gott ist, da ist in der warheit hochzeyt. 10 Und er mag des nit gelassenae, er muͦß da sein von not, da man in leuterlich meinet und in allein suͦchet afentpfintlich oderaf in eyner verborgen weyseag. 11 Er ist yedoch da. 12 Aber das wir in also leüterlich suͦchen unndC meinen in allen unsern wercken und offt inwendig söllen keren und uffgeen über uns selber, die zeyt ist, die er meynet, soah er sprach: 13 "Euwer zeytai ist alle zeyt, daz ir uffgeet."4 14 Aberaj sein zeyt ist nit alle zeyt, das er sich offenbaren soͤllak und endecken. 15 Die zeyt soͤllenn wir im entpfelhen. 16 Aberal er ist on allen zweyfel heimlich da, da er gesuͦcht und gemeint wirt.5 Darumbam thuͦ nüt dester ungerner an keynenn uͤbungen. 17 Wann du findest in sicherlich zuͦletst, wann er ist da, aber er ist dir noch verborgen.
Es liegt in der Natur aller Menschen, ein Verlangen nach diesem wahren Fest des ewigen Lebens zu haben und selig werden zu wollen. Doch dieses Verlangen ist nicht genug. Wir müssen unsere Gedanken auf Gott richten und ihn um seiner selbst willen suchen. Viele Leute verspürten gerne diesen Vorgeschmack auf das große wahre Fest und beklagen, dass sie ihn nicht bekommen können. Und wenn sie keine festliche Stimmung in ihrem inneren Grund verspüren oder Gottes Gegenwart fühlen, wenn sie beten oder andere fromme Tätigkeiten ausführen, ärgert es sie, und sie tun es dann seltener oder weniger gerne und sagen, sie spüren Gott nicht. Deshalb sind sie es leid, [gute] Taten zu vollbringen und zu beten. So soll sich der Mensch nicht verhalten. Wir dürfen kein Werk vernachlässigen, denn Gott ist dort gegenwärtig, nur spüren wir ihn nicht. Er ging ja heimlich zu dem Fest. Wo Gott ist, da ist – das ist wahr – das Fest. 10 Und er kann nicht davon ablassen: Er muss notgedrungen dort sein, wo man seine Gedanken auf ihn richtet und ihn allein sucht – spürbar oder verborgen: 11 Er ist doch immer da. 12 Dass wir ihn aber in dieser Weise aufrichtig suchen und unsere Gedanken auf ihn richten sollen in allem unseren Tun und uns oft unserem Inneren zuwenden und über uns selbst hinausgehen sollen, das ist die Zeit, die er meinte, als er sagte: 13 "Eure Zeit ist jederzeit, so dass ihr hinaufgehen sollt." 14 Seine Zeit jedoch ist nicht jederzeit, dass er sich offenbaren und enthüllen wird. 15 Diese Zeit müssen wir ihm überlassen. 16 Aber er ist zweifellos im Verborgenen dort anwesend, wo er gesucht wird und wo man seine Gedanken auf ihn richtet. Deshalb übe keines der frommen Werke weniger gern aus. 17 Denn schlussendlich findest du ihn mit Sicherheit, denn er ist anwesend, aber für dich ist er noch verborgen.
Abschnitt 5
Absatz 4
FN-Anzahl: 29
Diß meinen und diseman dienen alleao weysen undap alleaq werck und uͤbungen, die wir haben in unseremar hei [31rb]ligen orden. Und alle anderas ordnung, sy seyat, wie sy seyau, avdie volbringen wir darDumb av, das wir unsern gott allein leüterlich meinen und das er in unß hochzeyt mach und wir mit im haben einen unbekymmerten grund, deraw nicht inne hab dann got leuterlich. Und soax vil alle werck und weiß hiezuͦ dienent, so vil seind syE loͤblicher und heiliger und nützer. Woay das nit ist, da ist es alles recht als der juFden sinagoga. Die alte ee hat vil gesetz und heiligkeit und grosse wercke unnd darzuͦ mancherhande peynlicher uͤbunge. Aber mitt allem dem, so moͤcht niemandt behalten werden. Es was allein ein bereitung zuͦaz der neuwen ee, und der neuwen ee ward das reych gottes uffgeschlossen unnd uffgethon.6 Also ist es in allen uͤbungen außwendig, die allein ein weg seind unnd ein bereitung. Unnd hierinne findet man die hochzeit nit, das alt werde dann bageendet unnd das neuweba komme in den grund und in die lauterkeit, sustbb ist es zuͦmal klein oderGbcgar nichtsbc. Wir haben alle gott gelobt unnd mit eiden geschworen, das wir in lieben und meinen bdsoͤllen undbd dienen bißbe in den tode. 10 Von disem eide moͤchten uns all pfaffen unnd bischoff nit entbinden, die ye geboren wurden. 11 Und bindet unßbf vil mer, denn ob wir ein eid geschworen hetten bgvor gerichtebg unnd den brechen wirbh, vil mer undbi werdenbj meineidig, wenn wir mit willen und mit bedachtem muͦt unser hertzen undbk meinung einer creatur geben, das wir gott haben gelobt. 12 Auch hiemitt werden wir mer meineydig dann mit bleigem eidebl.
Auf dieses [Ziel] sind alle Gebräuche und alle Werke und frommen Tätigkeiten gerichtet, die wir in unserem heiligen Orden haben, und ihm dienen sie. Und alle anderen Regeln, was sie auch seien, die halten wir deswegen ein, dass wir uns aufrichtig allein auf Gott besinnen und er in uns sein hohes Fest feiert und wir mit ihm zusammen einen unbelasteten inneren Grund besitzen, in dem sich nichts anderes befindet als ausschließlich Gott. Und insoweit die ganzen [frommen] Werke und Taten diesem [Ziel] dienen, insoweit sind sie umso verdienstvoller und heiliger und nutzbringender. Wo das nicht der Fall ist, da verhält es sich genauso wie mit der Synagoge der Juden. Der alte Bund hatte viele Gesetze und heilige Ordnungen und sehr fromme Werke und zusätzlich vielerlei übertriebene fromme Tätigkeiten. Aber mit allen diesen Dingen konnte niemand errettet werden. Es diente ausschließlich der Vorbereitung für den neuen Bund, und für den neuen Bund wurde das Reich Gottes aufgeschlossen und geöffnet. Genauso verhält es sich mit allen äußerlichen frommen Tätigkeiten, die nur der Weg sind und eine Vorbereitung darstellen. Und hierbei findet man das hohe Fest nur, wenn das Alte beendet wird und das Neue in den inneren Grund und in die innere Reinheit einzieht, sonst gilt es gleich wenig oder gar nichts. Wir alle haben Gott versprochen und Eide geschworen, dass wir ihn bis zum Tod lieben und uns ihm widmen und ihm dienen werden. 10 Von diesem Schwur kann uns keiner der Pfarrer und Bischöfe, die jemals geboren wurden, entbinden. 11 Und er [= der Schwur] bindet uns viel stärker, als wenn wir vor Gericht einen Eid geschworen hätten, und den brechen wir in viel schlimmerer Weise und werden meineidig, wenn wir willentlich und mit Überlegung unser Herz und unseren Willen einer Kreatur überlassen, da wir sie doch Gott versprochen hatten. 12 Auch hierdurch werden wir in stärkerem Maße meineidig als mit einem eigenen Eid.
Abschnitt 6
Absatz 5
FN-Anzahl: 8
Des fragten unser bruͤder unsern heilgen vatter sant Dominicum, do er sterben solt, und batten in, das er in underscheid saget des wesens unnd den grund des heiligen ordens, darumm erbm alle dise gesatz gesetzt het. Den underscheid wolten sy wissen, den zuͦfall wyßten sy wol. – Also thuͦn wir auch. Allebn gesetz wissen wir wol. – Da sagt er in das wesen unnd den grund [31va]und sprach, das es were war goͤtlich liebe und demuͤtigkeit und armuͦt des geystes und des guͦts. Diß ist der grund, gott zuͦ lieben von gantzem lautern hertzen und nichts darzuͦ, und daz wir auß bruͤderlicher lieb unsbo undereinander lieben als uns selber7 und in einem demuͤtigen undergeworffen gemuͤt under got inbp einer lieblichen beweysung undereinander, und arm syn unser selbs und alles, daz gott nit ist leuterlich, aller eygenschafft arm sein, guͦtes und willen, und bloß seyn aller creaturen und alles, das uns desbq geirren mag, und daz got den grundbr gewaltigklich besitzen moͤgbs, da er sein goͤtlichs billd yngelegt hat, und besitzen sol, da alle sin genuͤgde und sein wollust anligt.
Als unser heiliger Vater Sankt Dominikus im Sterben lag, befragten ihn unsere Brüder und baten ihn, dass er ihnen die Begründung für des Wesen des heiligen Ordens und seine innere Grundlegung erklären möge, dessentwegen er alle diese Gesetze erlassen hatte. Die Begründung wollten sie wissen, das Ereignis selbst war ihnen gut bekannt. – Genauso geht es uns auch. Die Gesetze kennen wir alle gut. – Da erklärte er ihnen das Wesen und die innere Grundlegung und sagte, das seien die göttliche Liebe, Demut und Armut des Geistes und an Besitz. Folgendes ist die innere Grundlegung: Gott und nichts anderes von ganzem reinen Herzen zu lieben und dass wir in brüderlicher Liebe einander lieben wie uns selbst und uns demütig mit einer unterwürfigen Einstellung Gott unterwerfen und uns gegeneinander freundlich verhalten und arm sind in dem, was uns selbst ausmacht und in allem, was nicht Gott ist, [dass wir] aufrichtig arm sind in allem was uns zu eigen ist, Besitz und Willen, und frei sind von aller Kreatur und von allem, was uns verführen kann, und dass Gott den inneren Grund erfüllen möge, in den er sein göttliches Bild hineingesenkt hat, und [Gott] ihn [= den innerne Grund] besitzen soll, worauf seine ganze Zufriedenheit und sein Wohlgefallen beruht.
Abschnitt 7
Absatz 6
FN-Anzahl: 14
Lieben schwestern, daz ist alleyn, daz unser orden meinet. Darumb seind alle oͤrden und alle geistliche leben und aller kloͤster zucht und gesetz und weysen oder clausen und allerley leben, wie sy scheinen oder heyssen. Darumbbt all unser gesetz gesetzet und geordenet seind. Und als vil sy darzuͦ dienen, also vil sind sybu nützlicher und mer zuͦ lieben und zuͦ haben. Diß ist die meynung undbv der grundtbw, daz wirbx mer got gelobet und geschworn haben und schuldig seind. Und halten wir disen orden nit, so brechen wirbybzunser treuw und eidbz an imca. Aber halten wir im diß, so haben wir den orden undcb den grund wesentlichcc, den unser vaͤttercd sant Benedict, sant Augustin, sant Bernhart, sant Franciscuscegehebt habence. Sy all meinen disen wesentlichen orden und darincf weisen allecg ussere weise und gesetz.
Liebe Schwestern, das allein ist es, worauf unser Orden abzielt. Aus diesem Grund gibt es alle Orden und jede Form des geistlichen Lebens und die Lebensart und Gesetze und Regeln der ganzen Klöster und [deswegen gibt es] Klausen und und verschiedenes [frommes] Leben, was man auch sieht oder wie es auch heißt. Aus diesem Grund wurden alle unser Gesetze erlassen und verordnet. Und in dem Maße, in dem sie diesem Grund dienen, in dem Maße sind sie umso nützlicher und stärker zu lieben und einzuhalten. Das ist die Absicht und die Grundlegung dafür, dass wir so viel Gott versprochen und geschworen haben und ihm schuldig sind. Und halten wir diese Ordensregeln nicht ein, so brechen wir unsere Treueversprechen und unseren Eid ihm [= Gott] gegenüber. Aber halten wir es [= das Versprechen] ihm gegenüber, so sind wir im [geistlichen] Besitz des Ordens und seiner inneren Grundlegung, den unsere Väter, der heilige Benedikt, der heilige Augustinus, der heilige Bernhard [und] der heilige Franziskus hatten. Sie alle zielten auf dieses innere Wesen des Ordens ab, und dorthin führen alle äußerlichen Verhaltensweisen und Gesetze.
Abschnitt 8
Absatz 7
FN-Anzahl: 5
Lieben kinder, disen orden bit ich euch, daz ir lernent von grundt chmeinen gotch und alle ding, so vil sy euch darzuͦ gefürdern moͤgen, sy seyenci, wie sy seyencj. In der warheit, so wil und ckwirt unserck herr groß volkommen hochzeyt mit uns machencl.
Liebe Kinder, zu diesem Orden lade ich euch ein, dass ihr lernt, eure Gedanken gründlich auf Gott zu richten und auf alle Dinge, insoweit sie euch dabei helfen können, ganz egal wie sie sind. Es ist wahr: Dann will und wird unser Herr ein großes vollkommenes Fest mit uns feiern.
Abschnitt 9
Absatz 8
FN-Anzahl: 19
Nun muͤssen wircm der gesetz vil halten. Wir muͤssen zuͦ kor geen und singen und lesen, es sey unscn lieb oder leid. Darumbco laßt uns diß lieber hochzeitlich thuͦn dann dürr und mit schwerheit, also daz wir die ewigen hochzeyt nit verlieren. Wol ist daz [31vb]war: Ein mensch der on todtsünd ist in einemcp guͦten willen, also das er mit nicht woͤll thuͦn, daz wider gottes willen wer, derH wirt in dem heiligen glauben behalten. Aber seind des sicher: Woͤlt ir ymmer der froͤlichencq hochzeyt befinden, da man gottescr gegenwirtigkeit befindetcs und gewar wirt, so muͤßt ir im ein lautern unbekymmerten grundt erbieten, so mügt ir sein gewar werden in gebrauchlicher weiß. Daz heißt allein war andacht, also daz dir nichtsct anders schmeck, noch dich glust cudines guͦtescu mit lieben und mit meinen. Daz ist der minnigklich ruͦff, darumb unscv got allein in disen orden geruͦfft hat. Dem ruͦff soͤlIlen wir volgen, und er hat uns erloͤßt von der falschen boͤsen welt in daz heilig leben der waren penitentzen, wann wir von natur seind kindercw des zorns8 und des ewigen tods und der ewigen verdamnuß von unser sünd wegen. Sant Augustin spricht: 10 "Der mensch ist von einer faulen matery, stinckent und verdorben, ein cxklotz und ein fauls holtz undcx erdtrich. Dazcy end ist der ewig tod. Daz fürkompt man mit dem leben der penitentz, czdamit euchcz got geladen und geruͤfft hat von seiner lautern fryen lieb on alles verJdienen."9
Nun müssen wir viele Vorschriften befolgen: Wir müssen in den Chorraum [= in die Kirche] gehen und die Liturgie singen und lesen, ob es uns gefällt oder nicht. Deswegen lasst uns das lieber in festlicher Stimmung tun als schwächlich und bedrückt, damit uns das ewige hohe Fest nicht verloren geht. Es stimmt zwar: Ein Mensch, der ohne Todsünde und mit dem guten Willen lebt, dass er auf keinen Fall etwas tun möchte, was gegen Gottes Willen wäre, der wird durch den heiligen Glauben errettet. Aber seid euch dessen sicher: Wenn ihr jemals das frohe hohe Fest erleben wollt, in dem man Gottes Gegenwart spürt und bemerkt, dann müsst ihr ihm [= Gott] einen aufrichtigen unbeschwerten Grund bieten, dann könnt ihr ihn mit Genuß wahrnehmen. Das allein nennt man echte Andacht, wenn dir nichts anderes mehr schmeckt und du keine Freude mehr an deinem Besitz verspürst, ihn weder liebst noch daran denkst. Das allein ist der liebevolle Ruf, mit dem uns Gott in diesen Orden berufen hat. Diesem Ruf sollen wir folgen, und er [= Gott] hat uns von der betrügerischen bösen Welt für das heilige Leben der echten Buße befreit, dann von unserer Natur her sind wir aufgrund unserer Sünde Kinder des Zorns und des ewigen Todes und der ewigen Verdammnis. Der heilige Augustinus sagt: 10 "Der Mensch ist aus einem faulenden Material, stinkend und verdorben, ein ungehobelter Klotz und ein faulendes Holze und stinkende Erde. Das Ende [des Menschen] ist der ewige Tod. Dieses überwindet man mit dem Leben der Buße, zu dem Gott euch eingeladen und berufen hat aus seiner reinen großzügigen Liebe, ohne dass ihr es verdient hättet."
Abschnitt 10
Absatz 9
FN-Anzahl: 12
Was ist nun daz leben der penitentz in dem wesen und in der warheyt? Daz ist anders nicht dann ein gantz war abkeren von allem dem, das gott nit ist und ein gantz war zuͦkeren zuͦ dem lauteren unndda waren guͦt, das gott ist unnd heyßt.10 Wer das mer hat und mer thuͦt, der thuͦt mer penitentz. dbDes soͤllen irdb billich und von recht got dancken, das er eüch hierzuͦdc geruͤfft hat und gefuͤret. Dasdd sol euch großde zuͦversicht machen, daz gott euch ewigklich bey im in ewigkeyt behalten wil, der euchdf gesamlet hat von der falschen welt und euch zuͦ eigen sunderlich ußerwelten gemaheln und freüdendg geruͦfft und so sunderlichdh geladen hat zuͦ seiner sunderlichen heimlikeyt und erwelet hat. Und diß ist wol ein offen zeychen, das uns gott gegenwirtig istdi, sodj sich junger meschen dkhertz zwingtdk, die von natur wild seind und geneigt zuͦ der welt, [32ra]das sie sich moͤgen lassen zemen und fahen und volgen gott nach und lassen alle creatur. Unnd wiewol sie kein groß befinden haben von gott, so leydenn sie sich doch. Es wer unmüglich, dasdl gott nitt da weredm, doch heimlich in einer verborgen wyß.
Worin besteht nun das Leben der Buße in seinem eigentlichen Wesen und mit Gewissheit? Es ist nichts anderes, als eine vollständige aufrichtige Abkehr von allem, was Gott nicht ist, und eine vollständige aufrichtige Zuwendung zu dem reinen und wahren Gut, das Gott ist und [auch] so genannt wird. Ihr sollt, wie es ist richtig und angebracht ist, Gott danken, dass er euch hierzu berufen und hierher geführt hat. Es soll euch große Hoffnung geben, dass Gott, der euch aus der verlogenen Welt versammelt und euch als seine eigenen auserwählten Angetrauten und Freunde berufen und in so besonderer Weise auch zu seiner außerordentlichen Vertraulichkeit eingeladen und erwählt hat, euch für alle Zeit bei sich in Ewigkeit aufnehmen will. Und es ist mit Sicherheit ein deutliches Zeichen, dass Gott bei uns ist, wenn junge Menschen, die von ihrer Natur her unstet und der Welt zugeneigt sind, sich so bezwingen, dass sie sich zähmen und fangen lassen wollen, und dann Gott nachfolgen und von aller Kreatur ablassen. Und obwohl sie Gott nicht intensiv wahrnehmen, so mühen sie sich doch ab. Es ist nicht möglich, dass Gott dort nicht gegenwärtig wäre, wenn auch unbemerkt in verborgener Weise.
Abschnitt 11
Absatz 10
FN-Anzahl: 20
Eya, nun thuͦt es zuͦ guͦtemdn und thuͦt allen eüwern fleiß darzuͦ, das eüch dise wunniglichdo hochzeit werde in der warheit und das sich gott entdeck in eüch in wunne unnd in warer freüd eüchdp finde unddq gantz hochzeit drin eüch hab unddr eüch ker in eüwerm gebet und in allen eüwern wercken, die ir doch thuͦn muͤßt. Wann da in der warheitds finKdet man die grossen waren hochzyt gottes dtin derdt gegenwertigkeitt, da sich der mensch gots eygen befindtdu und niemand mer.11 In der warheit, des eygen ist auch gott. Herwiderumm ist auch er sein eygendv und laßt indw nymmer. Er dyzeücht inn in eindxdy gegenwürttigkeit von dem menschen. Ist diß nit ein wunsamdz ding ein hochzeytlich froͤlichsea leben, ebso wir seyeneb in got und gott in unß12 hie in der zeit und dortec ined ewigkeitt? Darzuͦee helff unß gott. Amen.
Ach ja, nun strebt nach dem Guten und bemüht euch so sehr, wie ihr könnt, damit ihr dieses freudige Fest wahrhaftig feiern könnt und damit sich Gott in euch in Seligkeit offenbare und euch in einer wahren Freude finde und ein vollkommenes hohes Fest in euch feiere und euch in eurem Gebet und in allen euren Werken anleite, die ihr doch verpflichtet seid zu tun. Denn – das ist wahr – dort findet man das große, wahre, hohe Fest Gottes in seiner Gegenwart, wo der Mensch sich als Gottes und niemandes sonst Eigentum fühlt. Es ist wahr: Gott ist auch dieses [Menschen] Eigentum. Er [= Gott] gehört ihm [= dem Menschen] und lässt ihn umgekehrt nie wieder los. Er [= Gott] zieht in sich die Gegenwart des Menschen. Ist das nicht eine freudige Sache, ein festliches fröhliches Leben, wenn wir in Gott sind und Gott in uns hier in dieser Welt und dort in Ewigkeit? Dabei helfe uns Gott. Amen.

Variantenapparat

a–aJoannes .vii. Capitulum] tempus at. etc. LT, fehlt AT, Ioh. vi. KT
b–bzuͦ seinen jüngern fehlt LT
chinuff] auff LT, AT
dyetz] nun LT
ebereit fehlt LT AT
faber] unnd LT
gdie] dise LT
h–hunß der] unser lieber LT
iDas] Dy LT
jzeyt fehlt LT
k–kdie da fehlt lT
list] gesehen wirt KT
mAber fehlt LT
nAber] Mer LT
o–oder ewigen hochzeyt] iener LT
pentpfinden] gefulen LT
qentpfindung] gefulunge LT
rAlso] und also LT
sleben] lieben LT AT
t–tDiser waren] Aber die war LT, aber der waren AT
ulebens] lebens der LT
vAber] und LT AT
wWir] Vil LT
xhetten] hetten auch LT
yes] es inn KT
z–zwerden mag] wirt LT
aa–aaoder ander uͤbung volbringen LT
abbefinden] nicht befinden LT
acoder] ader des do LT
adder] ein LT
aegelassen] gelassen noch vorloben LT
af–afentpfindlich oder] do musz von not sein ader er ist LT
agweyse] weisze do LT
ahso] do LT
aizeyt] czeit die LT
ajAber] Mer LT
aksoͤll] wolle und solde LT, woͤll AT
alAber] Mer LT
amDarumb] Und darumb so LT
andisem LT AT] disem aͤben BT, disem grunde KT
aoalle] alle die LT
apund fehlt KT
aqalle] alle die LT
arunserem] unserm und in allen KT
asander] andere guͦtte gesetze und KT
atsey] sein LT KT
ausey] sein LT KT
av–avdie volbringen wir darumb] und in allen unsern geseczen und ordenungen LT
awder] und der nichts LT
axso] wie LT
ayWo] und wo LT
azzuͦ fehlt LT
ba–bageendet und das neuwe] ingefueget und geendett inn das neuwe das es KT
bbsust] so LT
bc–bcgar nichts] nichts nit Kinder disz LT, gar nichts Liebe kinder KT
bd–bdsoͤllen und] sollen und dynen do wir die werlt aller erst vorschworen daz wir ym dienen solden und in lieben und meinen solden und LT, soͤllen doe wir die welt eirstmal versworen unnd verlobtenn und sworen das wir im solten KT
bebiß fehlt AT
bfunß fehlt LT AT
bg–bgvor gerichte] under dem sale LT
bhwir LT AT] wirt BT, fehlt KT
biund fehlt LT KT
bjwerden] werden wir hie LT, wir KT
bkund] und unser LT
bl–bleigem eide] einichem eide Dis meinet unser orden unnd alle unse gesetze KT
bmer fehlt LT
bnAlle] alle die LT
bouns fehlt LT
bpin] und LT
bqdes] sine LT, gottes KT
brgrund] grunt freylich und LT, edelen lieblichen grundt in unns freilich unnd KT
bsmoͤg] moge in dem edlenn lieblichen grunt LT
btDarumb] Und darumb LT
busy] sy miniglicher LT
bvund doppelt BT
bwgrundt] grunt und disz ist LT
bxwir] wir uns LT KT
bywir] mir BT
bz–bzunser treuw und eid fehlt LT AT
caim] im sicherlichen LT
cbund fehlt LT
ccwesentlich] den wesentlichen orden LT
cdvaͤtter] vater und alle vetter Es sey LT, vaͤtter und alle vaͤtter als KT
ce–cegehebt haben fehlt LT
cfdarin] in den KT
cgalle] alle die LT
ch–chmeinen got] gott lieben und meynenn KT
ciseyen] sein geschaffen LT
cjseyen] wollen LT
ck–ckwirt unser] sal dan unser lieber LT
clmachen] machen und haben LT
cmwir] wir doch LT
cnuns fehlt LT
coDarumb] und darumb so LT
cpeinem] einem heiligen LT
cqfroͤlichen] minniglichen LT
crgottes] gots in LT AT
csbefindet] erfulet LT
ctnichts] nichts nit LT
cu–cudines guͦtes] dan deines gottes Das wyr im alsus alleyn anhangen in KT
cvuns] uns der minniglich LT
cwkinder] keinder BT
cx–cxklotz und ein fauls holtz und] faul KT
cyDaz] der LT AT
cz–czdamit euch] und daz euch der minniglich LT
daunnd fehlt LT AT
db–dbDes soͤllen ir] Und sollten kinder LT
dchierzuͦ] her LT
ddDas] unnd LT
degroß] grosz sicher LT
dfeuch] euch her LT
dgfreüden] freunden LT AT KT
dhsunderlich] sunderlich minniglichen LT, sonderlich und lieblich KT
diist] ist in der warheit KT
djso] do LT
dk–dkhertz zwingt] hertzen zwyngen KT
dldas] were LT
dmwere fehlt LT
dnguͦtem] frummen LT AT
dowunniglich] minnigliche LT
dpeüch] in euch LT
dqund] daz ir KT
dr–drin eüch hab und] habe und entpfinden wan ir woldet und in LT, in eüch hab und in AT, in eüch habent und befyndent wan ir wooͤlt und in KT
dswarheit] warheit do LT
dt–dtin der] minniglichen in LT, liebliche KT
dubefindt] gefulet LT
dveygen] eigen czumal LT AT
dwin] seine LT
dxein] seine LT
dy–dyzeücht inn in ein] entzeucht im nummer seyn KT
dzwunsam] minniglichs LT
eafroͤlichs] froͤlich selig KT
eb–ebso wir seyen] wir KT
ecdort] dort in der LT, doͤr BT
edin] in der LT
eeDarzuͦ] Wann do von unsprechlichen seligkeit Das unns das allen widerfare das LT

Marginalien

A Die hochzeyt, zuͦ der uns Christus heißt uffgeen.
B Werck
C Unser zeyt ist alweg bereit.
D Warumb die wyß und werck der geistlichen orden angesehen sygent.
E Merck mit fleyß.
F Die alt ee hat auch vil gesetz unnd schwere úbung etc.
G Wir habent alle gott ein eid geschworen.
H Es ist nit genuͦg on todtsúnd sin.
I Gottes ruͦff soͤllen wir volgen.
J Das war wesen der penitentz.
K Die groß war hochzeyt gotts

Stellenkommentar

1 Io 7,6.
2 Io 7,6.
3 Die Schreibung 'lieb' markiert die Beibehaltung des langen Monophtongs von mhd. 'lîp' (= Körper) im Alemannischen.
4 Io 7,6.
5 Vgl. Ier 29,13-14.
6 Vgl. II Cor 3,4-18.
7 Vgl. Lc 10,27; Dt 6,5.
8 Vgl. Eph 2,3.
9 Vgl. Rm 3,24.
10 Vgl. Eckhart, Die rede der underscheidunge 16, DW V, S. 244,7-245,3: "Wâriu und diu aller beste pênitencie ist, dâ mite man grœzlîche und ûf daz hœhste bezzert, daz ist: daz der mensche habe ein grôz und volkomen abekêren von allem dem, daz niht zemâle got und götlich ist an im und an allen crêatûren, und habe ein grôz und ein volkomen und ein ganz zuokêren ze sînem lieben gote in einer unbewegelîchen minne alsô, daz sîn andâht und gelust grôz ze im sî." Diese Definition wird auch in Taulers Predigt 12 verwendet, dort allerdings für die Reue (vgl. Pr. 12, #,#, oben S. #, Z. #-#). Eine andere Bestimmung des Begriffs der Buße ("pênitencie") findet sich in Vetter 14, S. 65,22-26.
11 Vgl. Eph 1,14.
12 Vgl. I Io 4,16.
Jesus Christus
Anm.: biblische Person
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Johannes
Anm.: Evangelist
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Dominikus
Anm.: Heiliger, Ordensgründer des Dominikaner- Ordens
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Benedikt von Nursia
Anm.: Heiliger
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Augustinus von Hippo
Anm.: Kirchenvater
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Bernhard von Clairvaux
Anm.: mittelalterlicher Theologe und Mystiker
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Franz von Assisi, Heiliger
Anm.: Heiliger
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Eckhart, 〈Meister〉, Die deutschen und lateinischen Werke. Die deutschen Werke, Bd. 5: Meister Eckharts Traktate, hg. und übersetzt von Josef Quint, Stuttgart 1963Vetter, Ferdinand (Hg.), Die Predigten Taulers aus der Engelberger und der Freiburger Handschrift sowie aus Schmidts Abschriften der ehemaligen Straßburger Handschriften, Berlin 1910 ( DTM 11) [Digitalisat]
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