Predigt Nr. 14 – Vetter 10 – BT 26vb–28va; LT 43ra–45rb; AT 34rb–36va; KT 73va–75ra
[26v]
Überschrift
Absatz 1
FN-Anzahl: 3
1 Am samstag vor der palmwochen, das ist nach mittfasten,
1 werden wir in nachvolgender predig bescheidenlich underwisen, welchs die hinderniß sey, das man daz edel end nit ervolgt und nit darinn kompt.
2 Item wie der mensch widerkommen solt in seinen ersten ursprung und welchs der weg sey und das mittel oder die weiß, darin zuͦ kommen, auch was underscheid sy der waren und falschen gottes freünd.
3 Uff die wort
Christi; "Ego sum lux mundi."
2
4 Joannis .viij. capitulum
a.
1 Am Samstag vor der Woche, die mit dem Palmsonntag beginnt, das ist [der Samstag] nach dem mittleren [= vierten] Sonntag in der Fastenzeit, werden wir in der folgenden Predigt unterwiesen, welches die Hindernisse dabei sind, das edle Ziel zu verfolgen und es zu erreichen.
2 Außerdem [werden wir unterwiesen], wie der Mensch in seinen anfänglichen Ursprung zurückgelangen soll und was der Weg dorthin ist und die Hilfsmittel oder die Art und Weise, wie man dorthin gelangt, auch was der Unterschied zwischen den echten und den falschen Gottesfreunden ist.
3 [Sie ist bezogen] auf die Worte Christi "Ego sum lux mundi"
4 aus dem [Evangelium des] Johannes im 8. Kapitel.
Abschnitt 1
Absatz 2
FN-Anzahl: 9
1 dUnser her
bJesus Christusc spricht
d:
2 "Ich binn ein liecht der welt."
3
3 heDie juden sprachen
e, er wer von
Galilea,
4 und die leüt von dannen hetten nüt mit im zuͦ schaffen
fund zuͦ thuͦn
f.
5
4 Und er sprach:
5 "Eüch sey nit darumb.
6 Ich binn ein liecht der welt
gund aller menschen
gh."
6
1 Unser Herr Jesus Christusc spricht:
2 "Ich bin ein Licht für die Welt."
3 Die Juden sagten, er sei aus Galiläa, und die Leute von dort hätten überhaupt nichts mit ihm zu tun.
4 Und er sagte:
5 "Das geht euch nichts an.
6 Ich bin ein Licht für die Welt und alle Menschen."
Abschnitt 2
Absatz 3
FN-Anzahl: 0
1 Von
i disem liecht
A seint alle liecht erleüchtet uff dem erdtrich
j als die sonn
kund der mon
k und die sternen und
ldie lyblichen sinn des
l menschen und auch daz liebst
m geistlich
n liecht als die vernunfft
pder
o menschen, durch die alle creatur
p wider in iren ursprung sollen
q fliessen.
7
2 Und ob
r sie nit wider infliessent, so seint sie
sin inen selber
s ein ware vinsternyß gegenn disem waren wesenlichen liecht.
1 Durch dieses Licht werden alle Lichter auf der Erde erleuchtet wie die Sonne und der Mond und die Sterne und die körperlichen Sinne des Menschen und auch das hochgeliebte geistliche Licht wie die Vernunft des Menschen, mittels derer alle Kreaturen wieder in ihren Ursprung strömen sollen.
2 Und falls sie nicht wieder hineinfließt, so bleibt sie in sich selbst eine echte Finsternis im Gegensatz zu diesem wahren wesenhaften Licht.
Abschnitt 3
FN-Anzahl: 4
1 Nuͦn sprach unser herr:
2 "
tVerzeycht dich deins liechts
t, das da in der warheit ein finsterniß ist ge
[27ra]gen meynem liecht unnd
uwider mich
u.
3 Wann ich das war liecht binn, so will ich dir umb dein vinsternyß mein ewigs liecht eygnen, das es dein sey
v unnd alles mein wesen und leben und seligkeit und freüd."
8
4 Als er auch batt seinen himlischen vatter, das sie mitt unß eins seyen – "Ich bin in dir und du in mir, nit vereinet sunder gantz
w eins"
9 –, das sie also eins seyen in unß, doch nit von natur, aber
x von gnaden nach unbegreifflicher weyß.
10
5 Und
B darumb
y seydtmal das
z alle element in irem ursprung widerumm eylen, der stein und das feüwr und darnach
aa alle ding
ab, wie mag denn
ac ymmer gesein, das die edel creatur,
adder mensch
ad, die da ein wunder ist aller wunder
ae, durch der willen
af gott geschaffen hat alle ding
ag, hymmel und erd
ahund darinn alle ding
ah, das die allein dem menschen zuͦ einer notdurfft dienen sollen, darumb das der mensch allein dem ewigen gott dienen müg.
11
6 Ist diß nit ein ellend erbaͤrmlich ding, das der vernunfftig mensch darinn bleybt kleben und hafften unnd nit wider inkeren ist in seinen edlen ewigen ursprung in das end und in das war liecht gottes?
1 Nun sprach unser Herr:
"
2 Gib dein Licht auf, das gegenüber meinem Licht und mir selbst wirklich [nur] eine Finsternis darstellt.
3 Weil ich das wahre Licht bin, werde ich dir im Austausch für deine Finsternis mein ewiges Licht übereignen, damit es dir zusammen mit meinem Sein und Leben und Seligkeit und Freude gehört."
4 [Das tat er,] wie er auch seinen himmlischen Vater darum bat, dass sie [beide] mit uns [Menschen] eins sein sollten – "Ich bin in dir und du in mir, nicht vereinigt, sondern gänzlich ein einziges" –, dass sie auf diese Weise eins sein sollten in uns, jedoch nicht aufgrund [unserer] Natur, sondern auf unfassbare Weise aus Gnade.
5 Und deswegen: Weil alle Elemente, der Stein und das Feuer und dementsprechend alle Dinge, wieder zurück in ihren Ursprung drängen, wie kann es dann überhaupt sein, dass die edle Kreatur, der Mensch, der ein Wunder über alle Wunder darstellt und um dessentwillen Gott alle Dinge gemacht hat, Himmel und Erde und in ihnen alle Dinge, nur damit sie dem Menschen zum Leben dienen sollen und der Mensch so allein dem ewigen Gott dienen kann, [wie kann es also sein] –
6 dass der vernünftige Mensch an ihnen hängt und in ihnen verhaftet bleibt und nicht zurückkehrt in seinen edlen ewigen Ursprung, in sein Ziel und in das wahre Licht Gottes? – Stellt das nicht eine beklagenswerte erbarmungswürdige Sache dar?
Abschnitt 4
Absatz 4
FN-Anzahl: 3
1 Darumb
aiseind zwey ding hie zuͦ mercken:
2 Das ein ist, welche die hindernyß sey, das
aj man das edel end nit ervolgt und nit darin kumpt.
3 Das ander, wie der mensch widerkommen solt in seinen ursprung und welchs der weg sey und die weiß, darin zuͦ kommen.
12
1 Deshalb soll man hier zwei Dinge beachten:
2 Das eine ist, welches das Hindernis ist, dessentwegen man das edle Ziel nicht erreicht und hineingelangt.
3 Das zweite [ist], wie der Mensch zurückkommen kann in seinen Ursprung und welches der Weg und die [Art und] Weise ist, dorthinein zu kommen.
Abschnitt 5
Absatz 5
FN-Anzahl: 11
1 Nuͦ von dem ersten von der hindernyß:
2 Das
ak muͦß
alvon not
al sein, dadurch der mensch dises unsprechlichen guͦts gehindert wirt.
3 Wiß, das
am dise hindernyß ist in zweyerley menschen:
4 Die ersten
an seind weltliche hertzen, die
ao iren lust
C und ir genuͦgde nemen und lieben in den creaturen und in den ussern sinnen.
5 Und damit verzeren sie
ap ir macht und alle ir sinn.
6 Und alle ir zeit get damit hinweg.
7 Dise
aq menschen seind
ar zuͦmal in der vinsterniß
13 und seind widerwertig dem goͤttlichen liecht.
14
1 Zunächst zu dem ersten, dem Hindernis:
2 Es muss eine dringende Sache sein, durch die der Mensch von diesem unaussprechlichem höchsten Gut abgehalten wird.
3 Du sollst wissen, dass sich dieses Hindernis in zwei Sorten von Menschen findet:
4 Bei der ersten handelt es sich um weltliche Menschen, die ihre Freude und ihre Befriedigung in der Kreatur und in den äußeren Sinnen finden und lieben.
5 Und dafür wenden sie ihre Kraft und alle ihre Sinne[swahrnehmungen] auf.
6 Und ihre ganze [Lebens-] Zeit geht ihnen damit verloren.
7 Diese Menschen befinden sich stets in der Finsternis und in einem Gegensatz zum göttlichen Licht.
Abschnitt 6
Absatz 6
Absatz 7
Absatz 8
FN-Anzahl: 75
1 Die anderen
as sind sunst geistliche menschen, die
at in grossem schein steend und
au[27rb]grossen namen haben.
2 Die selben
av seind ferr über die ussern vinsternniß kommen, als
aw sie dunckt, aber
ax in iren inwendigen verborgen grundt seind
aysie warlich
ay phariseier
15 und seind da by ir selbs voll eyggner lieb und eygens willens und seint recht ir selbs gegenwurff
az.
3 Dise menschen seind
ba boͤß zuͦ erkennen under den waren freünden
bb16 außwendig.
4 Wan sie wol von mer uͤbungen underwylen seind dann
bc die waren gottes freünd von ussen.
5 Daz ist in betten, in vasten, in wachen, in hertigkeit
bd lebens, das sie dadurch also nit seind zuͦ erkennen dann allein
bedie, in den der geist gottes
be ist, die erkennen es.
17
6 Aber
bf einen waren
bg underscheid haben sie von den waren lautern freünden gotts inwendig
18.
7 Daz ist, die selben menschen seint voll urteils ander menschen
bh, der freünd gotts und ir selber
bi nicht.
19
8 Aber die waren freünd gots urteilen niemant dann bloß
bj sich selber.
9 Und
bk die besessnen gründ
bl suͦchen in allen dingen das ir an gott und an allen creaturen.
20
10 Auch
bm dise phariseische weiß, das sie
bn lieben und
bo meinen und suͦchen in allen dingen das ir, das ist
bp so tieff und so
bq gründtlich bevestet
br in die armen lustigen natur
21, das alle
bs winckel des menschen gantz
bt vol seind.
11 Und es
bu wer gar nahe also leycht durch yßnin berg zuͦ brechen,
22 als
bvdise menschen
bv mit der natur zuͦ überwinden.
12 Aber
bw diß ist nit leycht zuͦ überwinden dann allein m
it
bx eim ding:
13 So
by der ewig
bz guͤtig gott zuͦmal in dem menschen überhandt nem und die statt allein besaͤß mit im selber.
14 Diß geschicht aber in wenig menschen
caund selten
ca23.
15 Wann die schuld ist unser und nit gotts.
16 Und
cb das ist, daz wir den creaturen
cc in unß stund und statt geben, dadurch wir denn gotts warlichen entperen
cdund mangel
cd muͤssen.
17 Wann der vernünff
Dtig mensch solt kein
ce ruͦw haben, dann alle zeit durch alle creaturen
cfdurch uß hinweg tringen, biß daz er warlich kem in daz ewig leben
cf.
24
18 Und hievon so ist die welt voll daz merer teil des
cgverruͦchten lebens
cg,
[27va]davon dises übertrefflich schaden
ch kompt.
19 Darumb
ci moͤcht den lautern waren
cj fründen gottes ir hertz
ck doͤrren und
clir marck
cl erkalten in irem gebein
cm, so
cn sie das sehen und hoͤren, das irem getrüwen
co ewigen
cp gott so groß unrecht
cqund schad
cq geschicht von vyl menschen in
cr disem grossen
E faͤrlichen schadenn.
20 Darumb
cs muͦß der mensch auff disen grundt groß fleyß haben, alle die
ct weyl
cuder mensch
cu in diser zeit lebt, wann
cv diser
cw grundt württ nymmer in dem menschen gantz und gar getoͤdt und überwunden
cx25.
21 Und darumm
cy ist diß ein groß schwer hindernyß, in das war goͤttlich
czliecht zuͦ kommen unnd in den waren ursprung gottes
cz.
22 Darumb
da so fallen soͤlliche menschen uff ir eygen natürlich liecht und beleiben
db also darinn, wann darinn ist so grosser übertefflicher
dc lust in der natürlichen vernunfft, das aller lust, dann die gantzen welt hat, nicht
dd ist gegen disem lust, der in dem natürlichen liecht verborgen ist.
23 Und diß natürlich liecht haben die heiden bekant und lieb gehabt Aber sie seint darinn belyben und
de nicht fürbaß kommen, also
df das sie dadurch in ewiger finsterniß blyben muͤssen
dg.
26
1 Die zweite [Sorte] sind solche geistliche Menschen, die in großem Ansehen stehen und sich einen großen Namen gemacht haben.
2 Diese sind weit über die äußere Finsternis hinausgekommen, wie sie meinen, aber in ihrem inneren verborgenen Grund sind sie in Wahrheit Pharisäer und sind dort in sich selbst voller Eigenliebe und und Eigenwillen und sind so ihr eigenes Hindernis.
3 Diese Menschen lassen sich äußerlich schlecht unterscheiden von den wahren Freunden [Gottes],
4 weil sie durchaus zuweilen mehr äußeren Eifer an den Tag legen als die wahren Gottesfreunde,
5 das bedeutet beim Beten, beim Fasten, beim Wachen, bei der Strenge der Lebensführung, so dass sie daran nicht zu erkennen sind außer von denen, in denen der Geist Gottes ist; die erkennen es.
6 Jedoch im Inneren haben sie ein Merkmal, das sie von den wahren aufrichtigen Gottesfreunden unterscheidet:
7 Das ist, dass diese Menschen davon erfüllt sind, andere Menschen und die Freunde Gottes zu verurteilen, sich selbst aber nicht.
8 Die wahren Freunde Gottes jedoch urteilen über niemanden als nur über sich selbst.
9 Und sie, deren [Herzens-]Grund [von anderen Dingen] besetzt ist, suchen in allen Dingen, in Gott und in aller Kreatur das Ihre.
10 Auch diese Art der Pharisäer, in allen Dingen das Ihre lieb zu haben und [nur] es im Sinn zu haben und es zu suchen, ist so tief und so gründlich verankert in der armen gierigen Natur, dass jeder Winkel des Menschen voll davon ist.
11 Und es wäre ungefähr genauso leicht, durch einen eisernen Berg zu brechen, wie über diese Menschen mit Hilfe der [erschaffenen] Natur die Oberhand zu gewinnen.
12 Aber es ist kaum möglich, die Oberhand zu gewinnen außer mit einer [einzigen] Sache:
13 Wenn der ewige gute Gott einmal in dem Menschen überhand nähme und den Ort ausschließlich mit sich selbst besetzen würde.
14 Dies erfolgt aber nur in wenigen Menschen und selten,
15 denn es ist unsere Schuld und nicht die Gottes.
16 Und das ist [unsere Schuld], dass wir der Kreatur in uns Zeit und Platz geben, wodurch wir auf Gott – das ist wahr – verzichten und ohne ihn sein müssen.
17 Denn der verständige Mensch sollte nicht ruhen und immerzu durch alle Kreatur hindurch nach außen hinaus dringen, bis er wahrhaftig in das ewige Leben käme.
18 Und aus diesem Grund ist der größte Teil der Welt angefüllt mit diesem abscheulichen Leben, durch welches dieser außerordentliche Schaden entsteht.
19 Deswegen könnte den aufrichtigen wahren Gottesfreunden das Herz verdorren und das Mark in ihren Knochen erkalten, wenn sie sehen und hören, dass ihrem beständigen ewigen Gott von vielen Menschen so großes Unrecht und [solche] Verletzung zugefügt wird durch diese große gefährliche Schädigung.
20 Deshalb soll der Mensch auf diesen inneren Grund sehr achten während er auf dieser Erde lebt, denn dieser Grund wird im Menschen niemals gänzlich abgetötet und überwunden.
21 Und deswegen stellt dies ein großes beschwerliches Hindernis dar, um in das wahre göttliche Licht zu gelangen und in den wahren Ursprung Gottes.
22 Und werden solche Menschen zurück auf ihr eigenes natürliches Licht geworfen und bleiben in ihm, denn in ihm findet sich so große außergewöhnliche Freude in der natürlichen Vernunft, dass alle Lust der ganzen Welt nichts ist gegen diese Lust, die in dem natürlichen Licht verborgen liegt.
23 Und dieses natürliche Licht kannten auch die Heiden und schätzten es. Aber sie verharrten darin und kamen nicht [aus ihm] heraus, so dass sie deswegen in ewiger Finsternis bleiben müssen.
Abschnitt 7
Absatz 9
Absatz 10
FN-Anzahl: 44
1 Der ander teil, der hie zuͦ mercken ist, das ist die wyß und der warest kürtzest weg zuͦ kommen in disen ursprung und in diß war liecht.
2 Das ist ein war verleügnen sein selbs und ein lauter gruntlich blosse lieb und meinung gottes und nichts des seinen in keinen dingen, dann allein die ere
dh glori gotts begeren und suͦchen on alles mittel, und das der mensch alle ding uffnem von gott und von niemant anders, es sey lieb oder leid, saur oder suͤß,
27 das er das alles wider ufftrage in den goͤttlichen freyen willen gottes, von wannen es haͤrkumpt unnd on alle umbweg
di28.
3 Diß
dj ist der war recht weg der hoͤchsten vollkommenheit
dk.
4 Und
Fin disem weg scheidenn sich die freündt gottes und die falschen besessnen gründe von einander.
5 Wann die selben keren alle ding uff sich selber und meinen
dl[27vb]sich allezeyt mit eygenschafft an der gaben gottes und tragen
dm dieselben gnad nit allezeyt lauterlich wider uff in got mit liebe und
dn mit einem lautern ledigen verzeyhen unnd mit danckbarkeit in einem gantzem verlaugnen sein selbs
doim geist und in natur von innen und von aussen
do29.
6 Welcher mensch disenn grundt aller eygenlichst an im hatt, der ist am
dp allermeist ein rechter warer freünd gottes.
7 Aber welcher
dq diß nitt warlich liebet und an im hatt
drunnd darinne
dr besteet, sunder auff seyner eygen lieb seyn selbs und der creaturen
30, würt
ds er darinne gefunden, er gesicht das war goͤttlich liecht nymmermer ewigklich.
8 dtUnnd merck
dt, das offt diser falscher grundt in verdeckter weyß so
du sorgklich und schaͤdlich mit dem goͤttlichen liecht vermischt württ, das
eadves gar
dv sorgklich unsicher ding ist.
9 Das ist, so
dw der mensch nicht leüterlich war nimpt, noch in im selbs erkundet
dx, ob er gott allein suͦche unnd nict
dy anders.
31
10 Das ist, das die natur offt gantz und gar ist und regiert, da man
dzin gott scheynen meint
dzea.
11 Unnd desselben würt man
eb gewar in disem widerwurff:
12 ecIst das da
ec grosse schwere leyden uff den menschen fallent, mitt
ed dem selben leyden so fliehen die waren freünde gottes
ee zuͦ unserm herren und leyden diß guͤtlich durch seynen willen unnd nemen es allein von im unnd von niemant anders und
egverlassen
ef sich zuͦmal mit klagen
eg an
eh gott den herrren, dadurch in denn gott so gar innig und lieb würt, das in leyden nit leyden ist, sunder es ist in groß freüd unnd wunn durch gotts willen zuͦ leiden.
13 Aber die falschen
ei gründe in iren phariseischen weysen, so auff
G dieselben leyden fellet, so wissen sie
ej nitt recht, wo sie hynlauffenn sollen unnd
ek suͦchen,
elder in
el hilff unnd rat unnd trost unnd ergetzlicheitt
thetem, unnd woͤllen in in selbs verzweyflen unnd verderbenn
en.
14 Und wissent, das grosse angst und sorg daruff zuͦ haben ist, das es disen mensch
[28ra]en sorgklich an irem todt geen werde.
15 Wann sie haben gott nit leüterlich gesuͦcht unnd
eo gemeint und geliebet in allem irem leben.
32
16 Unnd wen sie
ep kommen an ir letst zeyt, so finden sie den gott nit leüterlich in irem grundt.
17 Wann sie haben ir gebeüwe ires lebens nit auff den stein, der da christus ist,
33 gezymmert.
18 Und darumm so muͤssen sie in den grundt dar
Hnyderfallen.
34
1 Die zweite Sache, auf die hier geachtet werden soll, ist die Art und Weise und der wahrhaftigste und kürzeste Weg, um in den Ursprung und das wahre Licht zu gelangen.
2 Dies besteht in einer echten Selbstverachtung und in einer aufrichtigen tiefgehenden reinen Liebe Gottes und [darin], seinen Sinn auf ihn zu richten und in keinen Dingen etwas Eigenes, sondern allein ohne Hindernis die Ehre und den Ruhm Gottes zu wünschen und zu verfolgen, und dass der Mensch alle Dinge von Gott empfange und von keinem anderen, es sei Lieb oder Leid, bitter oder lieblich, und dass er das wieder unmittelbar dem göttlichen freien Willen Gottes anempfehle, von dem es seinen Ausgang genommen hat.
3 Dieses ist der wahre richtige Weg zur höchsten Vollkommenheit.
4 Und auf diesem Weg trennen sich die Freunde Gottes von denen, deren [Herzens-]Grund [von anderen Dingen] besetzt ist.
5 Denn diese beziehen alle Dinge auf sich selbst und bereichern durch die Aneignung der göttlichen Gaben und empfehlen diese Gaben nicht immer wieder reinen Sinnes Gott in Liebe an und in einer reinen entblößten Selbstverachtung ihrer selbst und in einer vollständigen Nichtachtung ihrer selbst in Geist und Natur, innerlich und äußerlich.
6 Der Mensch, der diesen inneren Grund sein Eigen nennen kann, der ist in höchstem Maße ein richtiger wahrer Freund Gottes.
7 Aber wer dies nicht wirklich liebt und an sich hat und darin bleibt, sondern in der Eigenliebe seiner selbst und der Kreatur, der erblickt das wahre göttliche Licht niemals, wenn er in dieser Haltung gefunden wird.
8 Und merke dir, dass dieser falsche innere Grund oft heimlich so bedenklich und Schaden bringend mit dem göttlichen Licht vermischt wird, dass daraus eine bedenklich unsichere Sache entsteht.
9 Das geschieht, wenn der Mensch nicht gänzlich empfindet, noch in sich selbst erforscht, ob er allein Gott sucht und nichts anderes.
10 Es geschieht, dass die Natur häufig ganz und gar dort ist und herrscht, wo man beabsichtigt, in Gott zu leuchten.
11 Und dasselbe bemerkt man in folgender Reaktion:
12 Wenn es geschieht, dass einen Menschen große beschwerliche Leiden treffen, so nehmen die wahren Freunde Gottes bei diesem Leiden ihre Zuflucht zu unserem Herren und erdulden es gutwillig um seinetwillen und nehmen es nur von ihm alleine und keinem anderen an und befehlen sich dann mit Jammer Gott, dem Herrn, an, wodurch Gott so in ihr Inneres einzieht und ihnen so lieb wird, dass für sie das Leiden kein Leiden mehr ist, sondern es ihnen zu einer großen Freude und Glückseligkeit wird, um Gottes Willen zu leiden.
13 Aber wenn die falschen inneren Gründe, die in ihrer pharisäischen Weise beharren, von Leiden getroffen werden, so wissen sie gerade nicht, wo sie hinlaufen sollen und wo sie [nach jemandem] suchen sollen, der ihnen Hilfe und Rat und Trost gibt und sie belohnt, und [dann] werden sie in sich selbst verzweifeln und zugrunde gehen.
14 Und ihr müsst wissen, dass man große Angst und Furcht davor haben muss, dass es diesen Menschen bei ihrem Tod kummervoll ergehen könnte.
15 Denn sie haben nicht ihre ganzes Leben lang Gott in aufrichtiger Weise gesucht, ihren Sinn auf ihn gerichtet und ihn geliebt.
16 Und wenn ihre letzte Stunde naht, so finden sie Gott nicht in vollkommener Weise in ihrem inneren Grund.
17 Denn sie haben das Haus ihres Lebens nicht auf den Fels, der Christus ist, gebaut.
18 Und deswegen werden sie in den Abgrund stürzen.
Abschnitt 8
Absatz 11
FN-Anzahl: 21
1 Dise
eq menschen seind zuͦ tausentmal soͤrgklicher daran dann die gemeinen weltlichen menschen, wann
er dieselben menschen
es halten sich selber für sünder unnd seind allezeyt in einer demuͤtigen vorcht gotts, als da thet das gemein volck, das da
et nachvolgt unserem
eu herren
Jesu Christo.
2 Aber die phariseyen und die bischoff unnd die schreyber, die da heylig scheyneten an irem leben, die widerstuͦnden unserem
ev herren in allem seinem leben und waren in zuͦletst eins
ewschmelichen ellenden
ew todts toͤdten.
3 Disen darff man nicht sagen, wann
ex wenn man in
ey ir gebrechen sagt, so widersten sie
ez stercklich unnd zornigklich, oder
fa sie fliehen als die juden theten, do
Christusfb schrib an die erden ir missethat.
35
4 Aber
fc sie wolten ir eygen gebrechen nit erkennen
fdund wissen
fd.
5 Also huͦb sich die flucht under in von dem meisten biß zuͦ dem minsten, biß daz sie allsampt auß dem tempel gefluhen.
6 Und darumm
feso ist
fe den einfaͤltigen men
Ischen vil
ffee und
ff bessern
fg zuͦ helffen unnd zuͦ raten
fhdann disen
fh.
7 Wann dieselben bekennen ir gebrechen.
8 Und derselben menschen ding würt offt guͦtt
fi, die sich doch für sündig und gebresthafftig haltten und allezeyt in vorchten und in demuͦtigkeit steen gegen unserem herren.
1 Diese Menschen sind tausendmal gefährdeter als die einfachen weltlichen Menschen. Denn diese [weltlichen ] Menschen halten sich selbst für Sünder und befinden sich jederzeit in einer demütigen Gottesfurcht wie das einfache Volk, das unserem Herrn Jesus Christus nachlief.
2 Die Pharisäer, die Bischöfe und die Schriftgelehrten, die wegen ihrer Lebensführung scheinbar heilig waren, wehrten sich sein ganzes Leben lang gegen unseren Herrn und ließen ihn schließlich einen schmachvollen einsamen Tod sterben.
3 Diese darf man nicht belehren, denn wenn man sie auf ihre Schwächen hinweist, widersprechen sie heftig und zornig, oder sie laufen davon, wie es die Juden taten, als Christus ihre Vergehen auf die Erde schrieb.
4 Sie wollen nämlich ihre eigenen Schwächen nicht wahrnehmen und erkennen.
5 Deswegen suchten sie alle, vom Angesehensten bis zum Unbedeutendsten, die Flucht, bis sie alle aus dem Tempel geflohen waren.
6 Und aus diesem Grund kann man den einfachen Menschen viel leichter und besser helfen und sie beraten als die anderen,
7 denn sie gestehen ihre Schwächen ein.
8 Und um die Sache dieser Menschen, die sich für sündig und fehlerhaft halten und sich stets in Furcht und Demut unseres Herrn befinden, ist es häufig gut bestellt.
Abschnitt 9
Absatz 12
FN-Anzahl: 16
1 Unnd darumb
fj hat unß gott
fk wider diß groß
fl hindernyß geben grossen trost und hilff
fm,
fodas der
fn hymlisch vatter von liebe seines goͤttlichen hertzen hat
fo gesandt synen
fp eingebornen sun, unsern herren
Jesum Christum und
fq sein heiligs leben und
frdarzuͦ sein grosse
fr vollkommen tugend und sein lauter edel
fs bild und ler und sein
[28rb]manigfaltig bitter leyden und
ft verschmechtnyß ellend und armuͦt, das er alles unß
fu in gantzer ewiger lieb durch unsers
fv heils willen
fw vorgetragen hat unß
fyallen zuͦ eim exempel, das wir im also warlich nachvolgen
fx nach allem unserm vermügen inwendig und ußwendig
fy,
36 darumm das wir unser vinster liecht liessent und
fz warlich kaͤmen in das war liecht gotts.
1 Und deswegen hat uns Gott zur Überwindung dieses großen Hindernisses große Unterstützung und Hilfe gewährt, indem uns der himmlische Vater aus Liebe seines göttlichen Herzens seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn Jesus Christus und seine heilige [vorbildliche] Lebensweise geschickt hat und darüber hinaus seine große vollkommene Tugendhaftigkeit, sein reines edles Vorbild und Lehre und sein vielfältiges bitteres Leiden und Verachtung, Einsamkeit und Armut, die er uns allesamt in vollkommener immerwährender Liebe zu unserer Errettung zu einem Beispiel vorgelebt hat, damit wir ihm aufrichtig nachfolgen, so gut wir können, innerlich und äußerlich, und wir so unser dunkles Licht aufgeben und wahrhaftig in das wahre Licht Gottes kommen.
Abschnitt 10
Absatz 13
Absatz 14
FN-Anzahl: 32
1 Und darzuͦ hat unß gott
ga die heiligen sacrament geben
gb.
2 Von ersten den heiligen glauben
37 und den heiligen tauff und den
gc chrisam
38.
3 gdDiß alles hat er unß darumm gegeben
gd,
geob das geschech
ge, das wir uß der gnad gottes fielent
gf, das wir denn widerumb in gott und in sein gnad kommen moͤgen
gg, das heilig sacrament der
ggpenitentz reüw, beycht und buͦß
39 und unsers herren
gh fronleychnamm und an dem letsten das heilig oͤl
40.
4 Diß
gi seind unß
gj starcke stüren und hilff widerumb zuͦ kommen in den ursprung gots
gk und in unsern ersten anfang
gl, als sant
gmAugustinus spricht:
5 "Die
J groß edel sonn hat under ir gemacht ein minder sonn, und die beschattet mit iren wolcken die grossen sonn nit zuͦ einem bedecken, sunder zuͦ einem temperieren, das wir die grossen sonn gesehen mügen."
41
6 Die groß sonn ist der himlisch vatter.
7 Der hat under im gemacht die mindern sonn
gn.
8 Daz ist das vaͤtterlich wortt, gott der sun.
42
9 Wie
gpwol es ist
gogp, daz er im an der gotheit glich ist, so hat er sich selber doch demuͤtiglich genidert nach der menscheit:
43 nit sich unß zuͦ verbergen, sunder das er unß getemperiert würde, daz
gq wir in warlich gesehen moͤchten, wann er ist daz war
gr liecht, daz da warlich erleüchtet einen yeglichen menschen, der da kompt in dise welt.
44
10 "Diß
gs goͤttlich liecht leüchtet in die vinsternyß, und die vinsternyß enpfieng das liecht nit."
45
11 Nu
gt, diß goͤtlich liecht entpfacht niemant dan allein die menschen, die
gu armes gei
Kstes seint und die ir selbs in eigner lieb und willen ledig und
gv arm und bloß worden seint.
gw
12 Darauß volgt
gw, daz der menschen vil seind
gx, die an dem guͦt .xl. jar. arm gewesen seint
[28va]und dises edlen grunds nie ein tropffen enpfunden noch geschmeckt haben.
46
13 Aber sie haben es wol in dem sinn und in der vernunfft.
14 Aber in dem grund ist es in wild und theür, frembd und ferr.
1 Und darüber hinaus schenkte uns Gott die heiligen Sakramente,
2 zunächst das heilige Glaubensbekenntnis, die heilige Taufe und den Chrisam.
3 Das alles schenkte er uns für den Fall, dass wir die Gnade Gottes verlören, dass wir dann erneut seine Gnade erlangen könnten. Das heilige Sakrament der Poenitentia, [bestehend aus] Reue, Beichte und Buße, und [das Sakrament] der Hostie unseres Herren und schließlich das heilige Öl:
4 sie stellen für uns starke Stützen und Hilfe dar, um zurück in den Ursprung Gottes und in unseren ersten Anfang zu kommen, wie der heilige Augustinus sagt:
5 "Die große edle Sonne hat unter sich eine kleinere Sonne erschaffen, die mit ihrer Trübung vor der großen Sonne steht, nicht um sie zu verdecken, sondern um sie [= ihren Lichtschein] zu mäßigen, damit wir die große Sonne erblicken können."
6 Die große Sonne ist der himmlische Vater.
7 Dieser hat unter sich die kleinere Sonne erschaffen.
8 Das ist das Wort des Vaters, Gott, der Sohn.
9 Obwohl es stimmt, dass er [= der Sohn] ihm [= dem Vater] in der göttlichen Natur gleich ist, so hat er sich doch selbst demütig zur menschlichen Natur erniedrigt: nicht um sich vor uns zu verbergen, sondern, dass er für uns gemäßigt würde, damit wir ihn wahrhaftig sehen können. Denn er ist das wahre Licht, das wirklich jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt.
10 "Das göttliche Licht leuchtete in die Finsternis, und die Finsternis nahm es nicht auf."
11 Dieses göttliche Licht nun entzündet keinen anderen als allein die Menschen, die geistlich arm sind und die durch ihre eigene Liebe und eigenen Willen arm und entblößt von ihrem eigenen Selbst sind.
12 Das heißt, dass es viele Menschen gibt, die 40 Jahre lang arm an Gütern waren und von diesem edlen Grund [doch] nie einen Tropfen gespürt, noch gekostet haben.
13 Doch sie besitzen es [= das göttliche Licht] im Verstand und in der Vernunft,
14 aber in dem inneren Grund ist es ihnen unbekannt, und es fehlt ihnen, ist fremd und weit entfernt.
Abschnitt 11
FN-Anzahl: 14
1 Darumm
gy so kerent hie zuͦ euwern gantzen
gz fleyß und ernst und alles, das ir geleisten mügen im geist und in natur, uff
ha das euch das war liecht
leüchtehb in schmeckender weyß, darumb das ir warlich kommen moͤgen in disen ursprung, da daz war
hc goͤttlich liecht allzeit leüchtet
hdin dem inwendigen grund des menschen
hd.
47
2 Darumb
he so begerent und
L bittent.
3 Und darzuͦ setzend alles, das ir geleisten moͤget ußwendig und inwendig und bittent
hf die lieben freünd gotts, das sie eüch darzuͦ helffen.
4 Und henckt euch
hfdenn allein bloß und lauter an gott
48 unnd an
hg die ußerwoͤlten freünde gotts, das sie euch mit in zuͦ
hh got ziehen.
hi
5 Das verleych unß gott.
6 Amen.
hi
1 Deswegen verwendet euren ganzen Eifer und Ernsthaftigkeit und alles, was ihr mit eurem Geist und eurer Natur aufbringen könnt, darauf, dass euch das wahre Licht in einer Weise leuchten möge, die ihr verspürt, damit ihr wahrhaftig in den Ursprung kommen könnt, wo das wahre göttliche Licht immerzu in dem inwendigen Grund des Menschen leuchtet.
2 Danach verlangt und darum bittet.
3 Und setzt alles daran, was ihr äußerlich und innerlich aufbringen könnt, und bittet die lieben Freunde Gottes, dass sie euch dabei zur Hilfe kommen.
4 Und klammert euch dann rein und aufrichtig an Gott und an die auserwählten Freunde Gottes, damit sie euch mit sich zu Gott ziehen.
5 Das schenke uns Gott.
6 Amen.