Predigt Nr. 11 – Vetter 7 – F 52r-58v (vereinheitlicht); Str1 13-18; Str2 43-51
Überschrift
[52r]
1 "Simile est regnum celorum
ahomini patri familias
a."
A
Abschnitt 1
1 Dis ewangelium húte sprach:
2 "Daz himelriche,
daz
b ist gelich einem menschen, eime huswirte, der us
ging, daz er miete
c werklúte in sinen winga-
rten.
3 Und ging fro us zuͦ primen zit, zuͦ tertien
zit und
d zuͦ sexten
eund dingete si umbe ei-
nen tegelichen phenninge.
4 Do es obent waz,
do vant er
f lúte muͤssig stan und sprach
zuͦ in:
5 'Wes stont ir hie allen den
g dag muͤs-
sig?
6 Gont oͧch ir in minen wingarten, und daz
reht ist, daz gibe ich úch.'"
Abschnitt 2
1 Diser huswirt, daz
ist unser lieber
h herre
Jhesus Cristus.
2 Sin hus, daz ist
himelriche und ertriche, vegefúr
iund hel-
le.
3 Der sach, daz alle die nature verirret waz
und daz sin minnenklicher wingarte muͤs-
sig lag.
4 Und me
nsliche
j nature, die dar zuͦ
kge-
maht waz, disen edelen wingarten zuͦ besitzen,
die
l waz verirret und lies disen
m minnenklichen
[52v]wingarten muͤssig ligen.
5 Nu diser herre, er
nwolte disen menschen wider laden in sinen wingar-
ten, da er in zuͦ gemaht hatte, und ging fruͤ-
ge us.
Abschnitt 3
1 In eime sinne so ist unser minnenklicher
herre fruͤge us gegangen, do er in der ewi-
ger geburt ist
o us gegangen us dem vetter-
lichen herzen und ist doch inne bliben.
2 In ei-
me anderen sinne so ist unser lieber
p herre
Jhesus Cristus fruͤge us gegangen in menschliche
nature umbe daz, daz er uns verdingete
und wider brehte in sinen wingarten, und
miete
q lúte
r zuͦ prime, zuͦ tercien
s, zuͦ nonen
zit.
3 Zuͦ vesperzit
t ging er aber us und vant
aber lúte, und dise lúte
u stunden muͤssig.
4 Und er
sprach si herlichen
van, wes si allen den dag
da muͤssig stuͤnden.
5 Und si sprachen:
6 "Wan
uns nieman gedinget enhat."
7 wDis muͤssige
lúte und doch nieman gedinget enhat
w, daz
sint die lúte, die noch stent in irre natúr-
licher luterkeit und unschult, und sint si
vil selig.
8 Und gesach si got ie, daz si niht
verdinget ensint von der welte oder von
[53r]den creaturen oder, sint
x oͧch etwenne verdin-
get gewesen, daz si doch nuͦ
y fri sint und lidig
z,
unverdinget sint.
9 Doch
aa stent dise lúte muͤ-
ssig.
10 Daz ist, si stent in lawikeit, in kaltheit,
minnelos und
ab gnadelos.
11 Wan wa nút die
gnade
ac gotz enist, die wil der mensche stet in der
naturen - und dete der mensche, ob es múgelich were,
alle die guͦten werk, die alle die welt ie gede-
te, - er stet nochtan alzuͦ male muͤssig und
itel und enhilfet zuͦ male nút.
12 Dis fruͤge
usgan, daz meint der usgang der gnaden.
13 Wan der morgen, daz ist ein ende der naht,
da daz vinsternisse ein ende nimet und der
tag der gnaden uf get.
Abschnitt 4
1 Er
ad sprach:
2 "Wes stent
ir hie muͤssig?
3 Gant in minen wingarten.
4 Und
daz reht ist, daz gib ich úch."
5 Dise
ae ging unge-
lich in disen
af wingarten.
6 Die eine, daz sint
an hebende lúte, die gent drin mit usserlicher
arbeit und
ag in sinnelicher wisen und mit iren
eiginen ufsetzen und verblibent
ahdoch in deme,
daz si grosse werk tuͦnt also vasten
aiund
wachen
aj, und bettent vil und ennement irs
[53v]grundes nút war.
7 Si behaltent sich in sin-
nelicher genuͤgeten, gunst
ak, ungunst.
8 Und dan us
wirt geboren unrehte urteil.
9 Und in in stent
vil gebresten: hoffart, swindekeit
al, bitterkeit,
eiginwillekeit, kriegelicheit und manig
amdiseme gelich.
Abschnitt 5
1 Die anderen, die hant versmehet
sinneliche genuͤgede und hant ouch grobe
angebresten úberwunden und sint gekert
zuͦ eime hoheren grate.
2 Die wandelent in der
vernúnftiger uͤbunge und da inne vindent si so-
liche lust und wunne, daz si der alrenehester
worheit verblibent.
Abschnitt 6
1 Sunder die dirten, daz sint
minnenkliche menschen.
2 Die ging
ao úber alle ding und
gieng
ap ordenlichen und edellichen in den win-
garten.
3 Wan die menschen, die inmeinent noch in-
minnentnút dan got in ime selber und in-
sehent weder uf lust noch noch uf nutz
noch uf enkein ding, niht uf alle die us-
flússe, die us gotte gefliessen múgen.
4 Dan
si versinkent inrelichen
aq einvelteklichen in gotte
und si meinent alleine gotz lob und sin ere,
daz sin ewige wol bevelliche
ar wille alleine
[54r]gewerde in in und in allen creaturen.
5 Da dur-
ch
as lident si und lassent si
at alle ding und ent-
phahent von gotte und tragent ime alles,
daz si entphahent, zuͦ male lúterlichen wider
uf und innement sich des sinen zuͦ male niht
an.
6 Si tuͦnt rehte als ein wasser, daz us flús-
set und wider in flússet, als daz mer, das flús-
set us und ilet
au iemer wider in den urspr-
ung.
7 Also
av dise:
8 Alle ire gaben, die
aw tragent
si wider in den grunt, da es geboren wart,
und mit deme so fliessent si selber wider in.
9 Wan
axso si
ax alle ir gaben wider tragent und
nút inwerdent enthalten weder in luste
noch in nútze, noch dis
ay noch daz
az, sus noch
so, so muͦs got von not ir enthalt sin in-
reliche.
10 Nuͦ wie dise meinunge alsus lúter-
lichen den menschen usser ime tragent und wie si
einveltig und blos uf got ge, so hat die
nature ein etwaz wider boͤugen uf sich sel-
ber.
11 Des inkan der mensche nút abe gescheiden
ba,
er welle oder enwelle.
12 Daz ist, daz der mensche
gerne got hette und von naturen begert, se-
[54v]lig zuͦ sinde.
13 Alleine daz
bbsi so
bb, solte gar klei-
neund an dem alreminnesten teile an gesehen
und gemeint werden.
Abschnitt 7
1 Gelicher wis also der ar-
beiter des wingarten:
2 Alleine er durch die
arbeit da si, doch muͦs er ein inbis
bc haben.
3 Und das ist gar
bd kurze zit und die arbeit,
die
be ist gar lang:
4 Al den dag ist die arbeit
und kume als ein stunde ist die labunge.
5 Und
dieselbe, die
bf ist durch die arbeit alleine,
daz er gearbeiten múge, dar umbe ist das
essen.
6 Und die spise, die got eime durch fleisch
und
bg bluͦt und
bh marg und
bi gebeine.
7 Und daz
tragent
bj sich alzemale wider us und wirt
verzert mit der arbeit.
8 Und als daz allez
verzert ist
bk in dem werke, so isset er aber ein
kleines, daz er es verzeren aber in dem
blwer-
ke dis
bl wingarten.
9 Rehte alsus sol der edele
mensche tuͦn, das er also ein widerboͤugunge in ime
vindet, got zuͦ habene, gnade und waz des
ist, daz er des sinen gar kleine und wenig
bman meinen,
bnalleine es
bn doch sin muͦs dan
zuͦ einre ladungen
bound ermachungen, daz er
[55r]es verzeren múge in der arbeit.
10 Und so es
uf daz hoͤheste verzert wirt mit wider-
fliessunge
bp in alre wis, als si es entpfangen
hant, so muͤssen si
bq aber wol
brgelabet werden
in dem
bs minnenklichen usflússen in den wor-
ten, daz si es aber verzeren múgen.
Abschnitt 8
1 Oͧch, kinder,
die
btdie
bu gaben gotz liblichen und geistlichen
alsus wider
bv tragent alzuͦ male, daz sint
die alleine, die noch mere gaben alle zit
entpfenglich und wirdig werdent
bw.
2 Dise
lúte weren des wert
bx, daz si perlin und golt
essent und daz alrebeste, daz die welt
hat
by.
3 Aber nu ist manig edel arm mensche, der
dis nút enhat
bz; der sol vallen in die alle
cavermúgende
cb kraft gotz und sol der
ccgetru-
wen, daz die
cd wol súlle helfen
ce.
Abschnitt 9
1 Kinder, kinder
cf,
disen
cgmenschen geschiht rehte also dem winholze:
2 Daz ist uswendig swartz und dúrre und
ch gar
snoͤde.
3 Und so
ci wer es nút inerkente, den en-
duhte es niergent zuͦ guͦt, dan in daz fúr
ze werfenne und zuͦ verbúrnen.
4 Mer da sint
inne verborgen in dem grunde die lebende ade-
[55v]renund
cj die edele
ck kraft, da die alleredel-
ste suͤsseste fruht us kummet vor alleme
holze und
cl allen boͧmen.
5 Rehte also ist
diseme alreminnenklicheste in got versun-
keme volke:
6 Daz ist uswendig an deme
schine als ein verdorben volke und swarz
und schint dúrre.
7 Wan si sint demuͤtig und
kleine
cmund enge
cm uswert
cn; si ensint weder von
grossen worten noch werken noch von
couf-
setzenund enschinet nút und sint die min-
nesten in irme teile.
8 Aber die
cp die lebende
adere bekente, die in deme grunde ist, da
si irme teile entpfallent und got ir teile
cq,
ir enthalt ist, wafen, welich ein wunnen-
klich ding daz were, daz
cr zuͦ bekennende!
Abschnitt 10
1 Nu
get der wingarter nuͦ schiere us und
csbe-
snit
ct sine reben daz wilde holtz abe.
2 Wan in-
dete er des nút und liesse es stan an deme
guͦten holtze, so brehte es alles suren boͤsen
win.
3 Also sol tuͦn diser edelre mensche:
4 Er sol sich
selben besniden von aller unordenunge und
daz von grunde her us
cu in allen wisen
[56r]und neigunge, liebes und leides.
5 Snit
cv die boͤsen
gebresten abe
cwund daz inbrichet
cx houbet noch
arm noch bein.
6 Halt stille daz messer, bize
cydu besihest, waz du sniden
cz súllest.
7 Und kunde
der wingarter niht die kunst, er snide also
balde abe daz edel holtz, daz die trúbeln schie-
re bringen sol, also daz boͤse und verderbete
den wingarten.
8 Also tuͦnt
da solliche lúte:
9 Si enkún-
nen nút dise kunst.
10 Si lassent die untúgende
und die unrehte neigungen
dbin deme grunde
der nature und howent und snident abe die
arme nature.
11 Die nature ist in ir selber guͦt
und edel.
12 Waz wiltu der
dc?
13 Wan dan daz zit der
frúhte solte komen, daz ist ein
dd goͤtlich leben,
so hastu die nature verderbet
de.
Abschnitt 11
1 Her nach so
heftet man und sticket die reben, man bú-
get die reben,
dfdie reben
df von obenan nider
wert
dg, und sticket si mit starken ramen
dh, da
mit si uf gehalten
di werdent.
2 Da bi man nemen
mag daz suͤsse heilige leben
djund heilige bilde
djund daz liden unsers herren
Jhesus Cristus, der alles
des guͦten menschen enthalt súllen sin, und daz der
[56v]mensche wider geboͤuget sol werden, sin oberste
dknider wert
dl, in deme insinkenne in ware
dmunderworfenre demuͤtikeit, in den grunt, in
Cristum, in der worheit, nút mit gelosen, sun-
der von grunde,
dnoͧch von
dn alle die
do krefte in-
dewendigund ussewendig, sinneliche
dp,
begerliche und
dq vernúnftige krefte, so die al-
ze male werdent gegúrtet ein iekliche uf
ire stat, daz noch die sinne noch der wil-
le noch in
dr enkeine kraft fri inwerde, dan
gebunden und uf gegúrtet stan in rehter
ordenungen under den
ds goͤtlichen willen, daz
got ewikliche gewellet hat in sime ewe-
klichen willen.
Abschnitt 12
1 Dar nach
dt undergrebet man
die stoͤcke und ruͤrt dis
du unkrut us.
2 Rehte
also sol der mensche sich undergraben mit tieffe-
me gemerke sins grundes, obe noch út
da si, daz er daz us ruͤre, umbe daz die
goͤtliche sunne deste unmitteliche
rdv deme grun-
de múge genehen und geschinen, und lest
dw die
oͤberste kraft da wirken.
3 So zúhet die sun-
ne die fúhtekeit her us in die lebende kra-
[57r]ft, die in deme holze verborgen lag, und die trú-
bel, die gent vil schone her fúr.
4 Oͧch, kinder, der
sinen winstog alsus bereite, daz die goͤtliche
sunne drin gewirken und geschinen mohte, we-
licheedele dúre fruht solte got us dem menschen zie-
hen!
5 Dan
dx schinet die sunne und wirket in die
trúbele und duͦt si minnenklichen bluͤgen.
6 Oͧch,
die bluͦmen sint von so guͦteme edelen rouche
dy,
daz alle vergiftnisse der roͧch
dz zuͦ male vertribet:
7 Noch krotte noch slange inmag den rouch
eanút erliden.
8 Oͧch
eb, kinder, kinder
ec, da die goͤtliche
sunne disen grunt unmittelichen beruͤrt, oͧch,
in aller der fruht, die dan us gezogen wirt
edinwendig und ussewendig, oͧch
ee, die get so
luterlichen uf got und bluͤget so wunnenklichen
in eime luter got meinende, daz in der worheit
so wunderliche
ef edellichen roͧch
eg get
eh, daz von
not alle vergiftnisse des alten slangen
eivon not
eifliehen muͦs.
9 Ya, in der worheit
ej, hettent
ekalle die
túfele gesworen, die in der hellen sint, und
el alle
die menschen, die in ertriche sint, si enkunde
nem dem lu-
ter got meinenden menschen nút geschaden.
10 Ie si sich
[57v]des me beflissen, ime ze schaden, so si in ie tief-
ferund hoͤher erhuͦben, so er rehte hie inne
were.
11 Und wirt
en er mit diser bluͤte gezogen
in den tieffen grunt der hellen, es muͦste ei-
me
eo himelriche und got und selikeit da in
der hellen werden.
12 Und dar umbe der
epdise bluͦ-
men
eqin der worheit
eq hette, der endorfte sich
nút voͤrhten in enkeinre wisen
er noch fúrwú-
rfen
es, die ime
et engegen loͧffen, waz daz si.
13 Da
got luterlichen
eu gemeint wirt, da enmag
ime nút gewerren
evnoch geirren.
14 Dan kummet
die sunne noch klerlicher und wirfet ire hitz-
ze uf dise fruht und maht si túnne ie me
und
ew me und beginnet die suͤssekeit da
ex ie me
und
ey me sich sossen und beginnent die mittel
gar túnne werden alsus
ez in diseme, daz die
mittele zuͦ lest also túnne werdent, daz man
die
fagoͤttliche inbliclichen
fa hat vil nach an
fbunderlos.
15 Also dicke und also snel also man
sich zuͦ gekeren mag, so vint man von in
binnen dise
fc goͤtliche sunne schinen vil kla-
re, dan alle
fd sunnen an deme himele ie ge-
[58r]schinen.
16 Und wirt also alle
fe des menschen wise also
vergottet, daz er enkeins dinges also werlic-
henals gotz ingefuͤlt
ffnoch insmacket noch
inweis in einre weselicher wisen, doch verre
úber vernunftig wissen und wisen.
Abschnitt 13
1 Her
nach so brichet man und bloͤsset die blet-
tere abe, daz die sunne sunder alle mitte-
le múge uf die fruht sich gegiessen.
2 Also
so vallent rehte alle mittel in disen
fgmenschen abe
und enphahet
fh alles sunder alle mittel.
3 Hie
vellet gebet abe und die bilde der heiligen
und wisen und uͤbungen.
4 Und oͧch insol der
mensche nút
fi abe werfen, bitz das es selber abe vel-
let.
5 Dan in deme da wirt die fruht so un-
sprechenliche suͤsse, daz dan abe enkein ver-
nunft verstan enmag, und kummet
fjalso verre,
daz der geist in diseme so versinket, daz er
die underscheit so verlúret:
6 Er wirt also
ein mit der suͤssekeit der gotheit, daz sin we-
senalso mit dem goͤtlichen wesen durchgan-
gen wirt, daz er sich
fk verlúset rehte als ein
tropfe wassers in eime grossen vasse wi-
[58v]nes.
7 Also wirt der geist versunken
fl in got
in goͤtlicher einikeit, daz er da verlust al-
le underscheit, und alles, das in dar hat
braht, daz verlúret da sinen namen, also de-
muͤtikeitund meinunge und sich selber
fm,
ist ein luter stille heimeliche einikeit sun-
der alle underscheit.
8 Oͧch, kindere, hie wirt
meinunge und demuͤtikeit ein einveltikeit,
ein wesenliche stille
fn verborgenheit, daz man
es kume gemerken kan.
9 Oͧch, in diseme ein
stunde ze sinde, ya ein
fo oͧgenblik, daz ist
tusent werbe nútzzer und gotte werder dan
xl iar in den
fp eiginen ufsetzen.
Abschnitt 14
1 Daz uns
dis allen werde, des helfe uns got.
2 Amen.