Predigt Nr. 10 – Vetter 6 – W1 55rb-58ra (diplomatisch)
Überschrift
[55rb]
Bruͦd̓ Jo̓hā taulerA
Abschnitt 1

Iiugvm meū ſvave et·
onvs meus leve· die ewige
warheit vnſe herre ihv̄ xpī
hat geſprochē· Min ioch daʒ
iſt ſenfte vn̄ mine bvrde lich-
te· dit wort wider ſprechēt
alle natvrliche menſchen·
alſe vere ſi ir natur dret ſi
ſprechent daʒ vns h͛en ioch
bitter ſi vn̄ ſin̄e bvrde ſwere·
vn̄ mvͦʒ doch war ſin wan [55va]
die ewige warheit hait
iʒ geſprochē· ein ioch heiʒ-
it ein ding· daʒ mā· ſwer-
lichē naʒvgit vn̄ eine bv-
rde heiʒit ein dink daʒ ſere
drvcket vn̄ ſwere iʒ· bi
dem ioch nimet man den
inwendigen menſchē vn̄ bi
der bvrdē den vʒerē mēſchē
den alden den irdeſchē mēſ-
chē· der inwendige edil
menſche· der iʒ vſ deme
edelen grvnde der gotheit
her vʒ komē vn̄ iʒ gebildit
na dem edelen lvterē gode
vn̄ iʒ da wider in geladen vn̄
gerofena vn̄ wirt wider
geʒogē daʒ he allis des gvͦ-
des deilheftich mach wer-
den 10 des der edil wncliche
grvnt hat van naturen
daʒ mag ſi irkrigē van
genaden 11 wie got in dem
inwendigē grvnde d͛ ſelen
gegrvndet hat· vn̄ virbor-
gen vn̄ bedeckit liget d͛
daʒ vinden vn̄ bekenen vn̄
beſchavwen mochte d͛ were
an allen ʒwifel ſelich· 12 vn̄
wie der menſche ſin geſichte
hat vʒ gekert· vn̄ irre geit
doch hat he ein ewich lockē
vn̄ ein neigē herʒvͦ vn̄ īkan
keine raſte nirgē gewinen
wan he dit vmbe geit 13 wā
alle ding inmogent ime nit
ſin genvg inbvʒen diſeme
wan dit reiʒit vn̄ ʒuhit
in allet in raſte ſvnder ſin
wiʒen 14 wan dit iʒ ſin ende
15 alſe alle ding raſtēt an irre
ſtat· alſe der ſten vf der
erden vn̄ dat vur in d͛ lvͦft
alſo raſtet die ſele in gode·
16 weme iʒ nuͦ dit ioch ſvͦʒe
diʒ ʒiehē vn̄ daʒ trechen
17 nimanne· dan den menſchē
die ir antlitʒe vn̄ ir gemvͦde
hant gekert in wert van
allen kreaturen 18 die ſele
iʒ rechte ein mittel thvſen
ʒit vn̄ ewicheit· 19 kerit [56ra]
ſi ſich ʒvͦ der ʒit ſo virgiſʒit
ſi der ewicheit vn̄ werdēt
ir die ding verre 20 vn̄ dan
abe achtet ſi ſi cleine alſe
alliit dat man verre ſiehi-
t· daʒ ſchinit cleine vn̄ daʒ
na iſt· daʒ ſchinet groʒ·
wan dit hat wenich mitels
21 alſe die ſvnne wie ſi ſeʒʒich
werbe merre iʒ wan alle
ertriche· der ein beckē bit
waʒʒer neme ʒvͦ ſvͦmer ſo
ſi hohe an dem himel ſteit vn̄
lechte einē ſpigel drin dar
in ſchine die groʒe ſvnne
ʒvͦ male vn̄ ſchine kome alʒ
ey̍n clen bodem 22 vn̄ wie cle-
ne ouch daʒ mittel ſi daʒ dar
inthvſchen dem clenē ſpigilb
vn̄ der groʒer ſvnen queme
daʒ neme den ſpigel dat
bilde der groʒer ſvnen ʒvͦma-
le· 23 alſo recht iʒ denc mēſchē
der dit mittil niet abe in
hait gelacht iʒ ſi waʒ iʒ ſi
oder wie clene iʒ ſi daʒ he
in diſen grvnt nit inkan ge
ſiehen· 24 an allen ʒwifel daʒ
ſelve mittel benimet ime daʒ
ſich daʒ groʒe guͦt daʒ got
iʒ in deme ſpiegil nit irbildē
mach· 25 vn̄ wie edil vn̄ wie
lvter die bilde ſint alle mach-
int ſi mittel des vnvirbildēt
bildes daʒ got iʒ·
Abschnitt 2
welche
ſele in der ſich diſe gotliche
ſvnne irſpigelend ſal
die muͦʒ· bloʒ ſin vn̄ gevrihet
van allen bilden wan wa
einich bilde ſich irwiſet ī diſem
ſpiegel da wirt ſi diſer vir
mittelt· alle die wile man
diſer bloʒheit niet war in
nimet daʒ ſich dit virbor
gē des grundes nit inmach
indeckene noch irbildē· dit
ſint allis cuchen dirnen vn̄ dē
iʒ dit ioch ſwer vn̄ wer nie
dar in ingeſach noch diʒ grū-
des nie geſmackeden dat iʒ
ein vffenf ʒeichen ſprichit
originvs daʒ he iʒ ewelichē [56va]
nvmer ſvlle geſmackin
noch gebiʒen·
Abschnitt 3
welch mēſch
ſich niet ʒvͦ dem minſten
in inkerit in den grvnt
eins ʒvͦ deme dage dochit
na ſime virmvͦgē der īlebit
niet alſ ein recht kriſtē
menſche· aber die ſeligen
die diſeme rvͦment vn̄ ſich
ime mvͦʒigent vn̄ die bilde
abe legent daʒ ſich die ſv̄ne
drin mach ir gieʒen· den
iʒ dit ioch godes vber honic
hg· vn̄ vber alle den ſmag
den man irdenkē mach
ſvͦʒe vn̄ vnſmeclichē vn̄ bit͛
allis dat dit niet iniſh ia al
die die dvs ie geſmachten
den iʒ alle diſe werilt eine
bitter galle wan wa dis
edelen grundes geſmackit
iʒ da treckit hei vn̄ zvͦhit
ſo ſere iʒ ʒvͦhit daʒ mark
vʒ den beinen vn̄ daʒ blvͦt
vʒ den aderen· vn̄ wa ſich [b]
dit bilde in der warheide
irbildet hait da virleʒint
alle bilde in ſcheidelicher
wiſen·
Abschnitt 4
wan abe hinderīt
dich die ding ſi ſin waʒ kv̄-
ne ſi ſin· dat iʒ dat dvͦ bit
den dingēj virbildet biʒ bit
eigenſchaft weris dv des
bildes vn̄ der eigenſchaft·
ledich· hettes dvͦ dan ein·
konīgriche is inſchate dir
niet biʒ an eigenſchaft vn̄
bildelos vn̄ habek wes
dvͦ bedarft in allen dingē
Abschnitt 5

man vindet van eime heil-
gen vader· der waʒ alſe bil-
delos daʒ ime kein bilde blef·
do klopte einirl vor ſinre
dvir vn̄ hieſch etwaʒ he
ſagede he ſvlde iʒ ime holē·
do he hin in quam do waʒ
iʒ ime ʒvͦ male virgeʒʒēm
gien klopde aber he ſprach
waʒ wiltvͦ dirre hieſch a-
bern[57ra]
he meinte aber he ſolde iʒ
ime holen vn̄ virgaʒ in aber
10 ʒvͦ dem drittē male klopde
aber der iene· 11 do ſprach dir-
re 12 kvm vn̄ nim ſelver· 13 ich
inkan des bildes as lange
in mir inthaldē niet· 14 alſe
bloʒ iʒ min gemvͦde aller bil-
de·
Abschnitt 6
in diſen bildeloſen ludē
da ſchinet die gotliche·
ſvnne in vn̄ wirt alſe ſvʒ-
lich irʒogē vʒ in ſelver vn̄
vʒer allen dingē vn̄ iren
willen gebent gevangen
vn̄ ſich ſelver vn̄ alle ding
dem gotlichē willen dar in
ſint ſi virſtrickit· vn̄ die
werdent wncliche geʒogē
in godes ioch vn̄ virgeʒʒīt
der dinge· des ſchinent ſi
in in cleine vn̄ ewige ding
ſint in na die ſint īwēdich
die ſchinent in groʒ van
iris niedes wegē die ſint
in vnmitliche dan abe vol-
gent ſi in ſvʒliche·
Abschnitt 7
nuͦ nemī
wir daʒ ander wort mine [b]
bvrde iʒ lichte da my̍de
nimit man den vʒeren·
menſchen da mangveldich
liden vf vellit· Och min-
clicher got wer ſint nvͦ
die ſeilige lvͦde den die bvr-
de godes licht iʒ· want
nieman inwil liden vn̄
muͦʒ doch vmmer ein liden
vn̄ ein laʒen ſin ker is war
dvͦ wilt xp̄c muͦſte liden
vn̄ komē alſo in ſin ere
Abschnitt 8
waʒ
ſaltuͦ nvͦ liden· dvͦ ſalt
liden die vrdeil vn̄ virhenk-
niſe godes wa vn̄ wie die
vf dich vallent iʒ ſi van
gode vn̄ van den luͦden·
dir ſterben die vrunt oder
virlvͦſt des guͦdes der erē
des troſteſ inwēdich oder
vʒwendich gotʒ oder der
kreatuͦrē· die burde ſaltuͦ
lichtlichē dragē· vn̄ die
eigen gebrechē die dir leit
ſint vn̄ niet vber winden
macht noch inkans ſo le-
ge dich vnder die burde [57va]
ʒvͦ liden den gotlichē wilē
gotʒ vn̄ lit iʒ gode·
Abschnitt 9
daʒ
pert machit den miʒt
in dem ſtalle· vn̄ wie der
mist ein ſtanc vn̄ ein vn-
flat an ime ſelver hait
daʒ ſelve pert ʒvͦhit den
ſelvē mist bit groʒer ar-
beide vf daʒ velt· vnd
weſit dan vʒ edel ſchone
weis vn̄ edel ſvʒe win
der nvmer alſo gewuͦſe
inwere der miʒt niet da·
Abschnitt 10

alſo din miſt dat ſint din
eigen gebrechē den dvͦ
nuͦ niet gedvn inkans
noch abe gelegē noch
vber windē inkans· die
ʒvch bit arbeide vn̄ bit
vliʒe vͦf den acker des
minclichē willen gotʒ·
in rechter gelaʒinheit
dins ſelves ſprede dinen
miſt vf daʒ edil velt an
allen ʒwifel da weſit ī
einre otmvͦdiger gelaʒī-
heit edil wunnecliche vrv- [b]
cht vʒ·
Abschnitt 11
wer ſich drvckede
vnder diſe vn̄ vnder alle
vrteil vn̄ virhencniſe
godes bit demvͦdiger
gelaʒinheit vn̄ lechte
ſich in godes willen in
haben vn̄ in darvē bit
eime biblivēdē ernſte vn̄
demvͦdiger hofenvngē
vn̄ alle ding van gode
nemē· vn̄ ſi ime wider
vf dragē in rechter
abe geſcheidenheit vn̄
bit eime ine blivē bi ime
ſelver vn̄ ſich inſenken
in den ewigē willen gotʒ
in eime virleukē ſins
ſelves in̄ aller kreaturē
ſo wer dit dede vn̄ in diſe-
me ſtunde den wurde
die bvrde gotʒ lichte in
der warheit ia alſe lichte
daʒ vf den menſchē alle
die burden wurden ge-
lacht die alle die werilt
ʒvͦ male dret die worden
ime alſe licht da ime recht [58ra]
were iʒ were ime alſe
lvter niet ia iʒ were i-
me eine wnne eine genvg-
de eine vreude vn̄ ein hi
melrich· want got druge
die burde vn̄ der menſche
ginge ʒvͦ male ledich· he
wer iʒ allis vʒgegangē
vn̄ got ginge ʒvͦ male in
alre wiſen in· ī alle des mēſc-
heno dvͦne vn̄ laʒen·
Abschnitt 12
daʒ
alſvs daʒ edil gotʒ wort
an vns war werde daʒ·
vns ſin ioch ſuʒe werde
vn̄ ſine bvrde licht· des
helve vns got amē
Abschnitt 13
bid-
it vor den ſchriber

Textapparat

ao auch als v lesbar.
bzweites i schwer leserlich und über dem g wiederholt.
cdavor getilgt id.
ddavor gestrichen irspli.
eam Wortende t getilgt.
foffen oder vffen getilgt, vffen von anderer Hand am unteren Rand mit Einfügungszeichen ergänzt.
gletzter Buchstabe gebessert.
hin über der Zeile ergänzt.
ih auf Rasur.
ji gebessert.
kdavor gestrichen be.
lzweites i über der Zeile ergänzt.
mam Wortende ein Buchstabe getilgt.
ndanach längere Rasur, letztes Wort noch lesbar: sine, Reklamente am unteren Rand getilgt und von anderer Hand mit bräunlicher Tinte gebessert zu he meinte.
oēſc auf Rasur.

Marginalien

A am Rand: des v ſundages na criſtdach

Anmerkungen

Johannes Tauler
geb.: ca. 1300
gest.: 1361
Anm.: Dominikaner; Mystiker
weiterführende Informationen
Jesus Christus
Anm.: biblische Person
weiterführende Informationen
Origines
Anm.: Kirchenvater
weiterführende Informationen
XML: unbekannt
XSLT: unbekannt