Predigt Nr. 10 – Vetter 6 – BT 17vb–19rb; LT 27va–29vb; AT 22va–24va; KT
51vb–53rb
[17vb]
Überschrift
Absatz 1
Absatz 2
FN-Anzahl: 3
1 Am. v. sontag nach der
heyligen drey künig achtet
1 sagt diß nachgende predig, wie die seel sey ein mittel zwischen
zeyt und ewigkeit.
2 Unnd wenn sie sich scheidt von allen
bildenn, so traͤgt sie ein suͤß joch und der usser mensch ein leychte bürden.
3 Gezogen uff die wortt
ChristiaMatthei .xj.
a:
4 "Iugum meum suave est et onus meum leve."
2
5 "
bMein joch
A ist suͤß und mein bürde ist leicht
b."
1 Am fünften Sonntag nach dem Oktavfest
der Heiligen Drei Könige erklärt die folgende Predigt, wie die Seele etwas Trennendes
[in der Mitte] zwischen Zeit und Ewigkeit darstellt.
2 Und wenn
sie [die Seele] sich von allen bildlichen Vorstellungen löst, trägt sie ein süßes Joch
und der äußere Mensch eine leichte Last.
3 Sie [die Predigt]
bezieht sich auf die Worte Christi bei Matthäus 11. [Kapitel]:
4 "Iugum meum suave est et onus meum leve."
5 "Mein Joch ist süß
und meine Last ist leicht."
Abschnitt 1
Absatz 3
Absatz 4
Absatz 5
FN-Anzahl: 44
1 Die ewig warheit, unser
c herr
Jesus
Christus hatt gesprochen
din dem ewangelio durch
sanctum
Mattheumd:
2 "Mein joch
e ist suͤß und mein bürd ist leicht."
3
3 Diser warheit wide
rsprechen
f all
natürlich menschen also ferr, als sie die natur traͤgt.
4 Und
sprechen, das gotts joch bitter sey und sein bürd schwer.
5 Und
muͦß es doch war sein, wann es hat die warheit selber gesprochen.
6 Wann ein ding,
gdas da ser druckt und
das
g man schwerlich nach
him zeücht
h, das heißt
i ein bürden.
4
7 Bey
j dem joch nimpt man den inwendigen menschen und
by der bürden den ußwendigen
B
menschen.
5
8 Der inwendig edel mensch ist kommen uß dem edlen grundt der
gottheit
6 und auch gebildet nach dem edlen lauteren gott und da wider ingeladen unnd geruͤfft und würt wider
ingezogen,
7 also das er alles
guͦts mag teilhafftig werden.
[18ra]
9 Und
k das
ler
lieblich gründt
l hat von natur, das mag die seel überkommen
m von gnad.
8
10 Nuͦn
n wie der ewig gott in dem inwendigen grundt gegründt hat und
verborgen und verdeckt leit,
9 welcher mensch das finden moͤcht und erkennen
und beschawen, der wer on allen zweyfel selig.
11 Unnd
wiewol
o das ist,
das der mensch sein inwendig gesicht der sele verkert
p und irr geet, doch so hat er
q ein ewiges locken und
neigen darzuͦ und kan kein ruͦw vinden noch haben.
12 Wann alle
ding moͤgen im nicht genuͦg sein in allen aussern dingen,
rwann das zeucht
r in in das aller innerst on seyn wissen.
13 Wann diß ist ein end.
14 Als alle ding rasten und
ruͦwen an ir eygnen statt als der stein uff der erden unnd das feür in dem
slufftt, also thuͦt die lieb andechtig sel in gott irem heil.
C10
15 Wem ist nuͦn diß joch suͤß und
leicht und diß ziehen und diß tragen?
16 Niemant sicherlich dann
den menschen, die ir gemuͤt haben gekert inwendig in den lautteren grundt gottes
11 von allen
creaturen
u.
17 Die sel ist recht inmittel zweyschen zyt und
ewigkeit.
12
18 Kert sie sich zuͦ der zeit, so vergißt sie on zweyfel der
ewigkeitt unnd werden ir dann alle ding ferr
v die gott zuͦgehoͤren
w.
19 Zuͦ
D13 gleycher weyß alle
ding, die man ferr sicht, die scheynen dem menschen klein und was da nahe ist, das
schynt groß, wann es hat wenig mittels, als die lauter sonn:
20 Wiewol
x die
sonn zuͦ sechtzig mal groͤsser ist
y dann das
z erdtrych
14 – der aber ein becken nimpt mit wasser
zuͦaasummerzeit, so sie hoch an dem hymmel steet,
und legt darin einen kleinen spiegel,
15 darin erscheynt die groß sonn mitteinander
unnd scheynt darin kaum als ein kleiner bod.
21 Und wie klein das
mittel were
ab, das da
zwyschen dem kleinen spiegel und der grossen sonnen kaͤm, das nem dem spiegel das bild
der grossen sonnen zuͦhand.
22 Also zuͦ gleycher weyß ist es umb
den lauteren
16 menschen, der das mittel gelegt hat, es sey was es sey oder
wie klein das ymmer geseyn mag, das der mensch in dem grundt der warheit nit kann,
noch mag gesehen.
23 On allen zweifel: das mittel, wie klein es
ist, benimpt im, das
ac
sich das groß guͦtt, das da gott ist,
17 in dem spiegel
18 seiner seel
[18rb] nicht erbilden kan noch mag.
24 Ja, wie edel und wie
lauter bild
19 ymmer seind, die machen
allesampt mittel des unverbildten bil
Edes,
20 das da ist gott selber.
21
1 Die ewige Wahrheit, unser Herr Jesus
Christus, sprach in dem Evangelium, [geschrieben] von dem heiligen Matthäus:
2 "Mein Joch ist süß und meine Last ist leicht."
3 Dieser Wahrheit widersprechen alle Menschen ihrer Natur gemäß insofern,
also sie von der Natur geleitet werden.
4 Und sie sagen, dass
Gottes Joch bitter sei und seine Last schwer.
5 Aber es muss
trotzdem wahr sein, denn die Wahrheit selbst hat es gesagt.
6 Denn eine Sache, die einen sehr niederdrückt und die man nur mit Mühe hinter sich
her zieht, die wird eine Last genannt.
7 Das Joch soll man auf
den inneren Menschen beziehen und die Last auf den äußeren Menschen.
8 Der innere edle Mensch ist aus dem edlen Grund der Gottheit
hervorgegangen, und [er ist] geformt nach dem Bilde des edlen reinen [= unvermischten]
Gottes, und dorthin [= in den Grund der Gottheit] [ist er] wieder eingeladen und wird
gerufen und wird wieder hineingezogen, so dass er an allem Guten teil hat.
9 Und was der gütige Grund [= Gott] von Natur aus besitzt, das kann die
Seele durch Gnade erlangen.
10 Der Mensch nun, der wahrnehmen und
erkennen und betrachten kann, wie nun der ewige Gott sich in dem inneren Grund
verwurzelt hat und dort verborgen und versteckt liegt, der wäre zweifellos selig.
11 Und auch wenn es geschieht, dass der Mensch seine inneren
Augen der Seele abwendet und in die Irre geht, so verspürt er doch einen
immerwährenden Reiz und und ein Neigung dazu [= zum Grund der Gottheit] und kann weder
Ruhe finden noch zur Ruhe kommen.
12 Denn alle Dinge können ihm
[= dem Menschen] nicht genügen in allen äußeren Belangen, denn es zieht ihn in das
Allerinnerste, ohne dass er es weiß.
13 Denn dieses ist seine
Bestimmung:
14 Genauso wie alle Dinge verweilen und Ruhe finden
an ihrem eigenen Platz wie der Stein auf der Erde und das Feuer in der Luft, so findet
auch die liebe andächtige Seele in Gott, ihrem Heil, Ruhe.
15 Für
wen ist nun dieses Joch süß und leicht, und es zu schleppen und zu tragen [süß und
leicht]?
16 Mit Sicherheit keinem anderen als für die Menschen,
die ihren Sinn in sich gekehrt haben in den reinen Grund Gottes, weg von jeder
Kreatur.
17 Die Seele befindet sich genau in der Mitte zwischen
Zeit und Ewigkeit.
18 Wendet sie sich der Zeit zu, vergisst sie
zweifellos die Ewigkeit, und alle Dinge, die zu Gott gehören, entfernen sich von ihr.
19 Genauso erscheinen dem Menschen alle Dinge, die man in der
Ferne sieht, klein, und was nahe ist, das erscheint groß, denn es steht nichts im Wege
als nur die reine Sonne:
20 Die Sonne ist sechzigmal größer ist
als die Erde: Wenn aber einer im Sommer, wenn sie hoch am Himmel steht, ein Gefäß
nimmt und einen kleinen Spiegel hineinlegt, spiegelt sich die große Sonne darin und
erscheint trotzdem nicht einmal so groß wie ein kleines Boot.
21 Und wie klein auch das Trennende [in der Mitte] wäre, das zwischen den kleinen
Spiegel und die große Sonne käme, es nähme dem Spiegel sofort das Bild der großen
Sonne.
22 Genau in derselben Weise ist es um den reinen Menschen
bestellt, der das Trennende verursacht hat, ganz egal, was es ist oder wie klein es
auch immer sei, so dass der Mensch nicht in den Grund der Wahrheit [gelangen] oder ihn
erblicken kann
23 Zweifellos hindert ihn das Trennende, egal wie
klein es auch sei, daran, dass sich das große Gute, das Gott ist, im Spiegel seiner
Seele abbilden kann, noch dazu imstande ist.
24 Ja, ganz egal,
wie edel und wie rein auch immer bildliche Vorstellungen sein mögen, sie erzeugen doch
allesamt etwas Trennendes vom nicht darstellbaren [Ur-]Bild, das Gott selbst
ist.
Abschnitt 2
FN-Anzahl: 8
1 Nuͦn
adsolt ir wissen
ad:
2 In welcher seel sich der ewig guͤtig got
22
erspieglen soll,
23 die muͦß bloß seyn und lauter und gefreyet von allen bilden.
24
3 Unnd wo sich ein einig bild in disem spiegel weyset und zeigt,
da württ die seel des waren bildes vermittelt, das do gott lautter ist.
4 Nuͦn alle
ae menschenn, die diser bloßheit in in nicht warnemen, das sich diser
verborgen grundt in in nit entdecken und entbilden mag
afinwendig der vernunfft der sel
af25, dise menschen seind alle
küchendieneren und küchenknecht unnd den selben menschen ist das joch bitter.
5 Und wer nie darin gesach, noch des grundes nye geschmacket,
das ist ein offentlich zeichen, spricht
Origenes, das er des ewigen nymer geschmecken noch entbeyssen soll.
26
1 Nun müsst ihr Folgendes wissen:
2 Die Seele, in der sich der ewige und gütige Gott
widerspiegeln soll, muss nackt sein und rein und frei von allen bildlichen
Vorstellungen.
3 Und dort wo sich ein einziges Bild in diesem
Spiegel sehen lässt und zeigt, da wird der Seele das wahre Bild verwehrt, das der
reine Gott ist.
4 Alle die Menschen nun, die für diese Nacktheit
in sich keine Sorge tragen, so dass sich dieser versteckte Grund in ihnen nicht
offenbaren und Gestalt annehmen kann im Erkenntnisvermögen der Seele, diese Menschen
sind alle Küchendiener und Küchenknechte, und diesen Menschen ist das Joch bitter.
5 "Und [im Hinblick auf den] der nie in den Grund blickte,
noch von ihm kostete, ist das ein deutliches Zeichen", sagt Origines, "dass er von ihm
ewiglich weder kosten noch essen wird."
Abschnitt 3
Absatz 6
FN-Anzahl: 12
1 Nuͦn wissent, welcher mensch zuͦ dem mynsten im tag einmal
ag nit inkert in seyn
grundt nach seinem vermügen, der lebt nit – on zweifel – als ein rechter warer
christenlicher mensch.
2 Aber
ah die menschenn, die den grundt raumen unnd
sich im muͤssigen und die bilde ablegen, das sich die
sonn
27 in iren inwendigen grundt
der seel ergiessen mag,
28
denselben menschen ist das joch gottes suͤß und über alle suͤssigkeit
ai.
3 Unschmaͤcklich unnd
aj bitter und widerzaͤme
ist in alles, das das gott nitt ist,
akin in selbs und in
allen creaturen
ak29.
4 Ja
al,
amalles, das
sie
am ye geschmeckten oder entpfunden haben,
30
den seind
an alle dise
werck
ao ein bittere
gall.
5 Wann
F wo diser edler grundt
geschmeckt würt, der zeücht so ser den
ap menschen, er zeücht das marck auß den beinen und
das bluͦt auß den aderen.
31
6 Unnd
aq wo sich diß bild in der warheit hat gebildet, da erloͤschen alle
bild in scheidlicher weyß.
1 Nun sollt ihr erfahren, dass der Mensch,
der nicht mindestens einmal am Tag in sich geht in seinen Grund, unzweifelhaft nicht
wie ein richtiger wahrhaftiger Christenmensch lebt.
2 Aber für
die Menschen, die in sich Platz schaffen für den Grund und für ihn ruhig werden und
bildliche Vorstellungen ablegen, damit sich die Sonne in ihren inneren Seelengrund
ergießen kann, für diese Menschen ist das Joch Gottes süß und jenseits aller Süße.
3 Schlecht schmeckend und bitter und widerwärtig ist für sie
in sich selbst und jeder Kreatur alles, was Gott nicht ist.
4 Ja, alles, was sie jemals kosteten oder wahrnahmen: ihnen kommen alle diese Sachen
wie bittere Galle vor.
5 Denn, wo von diesem edlen Grund
gekostet wird, zieht dieser den Menschen so sehr [zu sich], dass er ihm das Mark aus
den Knochen und das Blut aus den Adern zieht.
6 Und wo sich
dieses [Ur-]Bild wahrhaftig erzeugt, da verlöschen alle bildlichen Vorstellungen,
indem sie sich [vollständig] lösen.
Abschnitt 4
Absatz 7
FN-Anzahl: 9
1 Nuͦn
ar warumb hindern dich
as die ding, damitt du umb geest in der zeyt?
32
2 Das ist, das du mit den dingen bist verbildet mit
eygenschafften.
3 Werest du
atdes bildes
at und der eygenschafft ledig und frey und
unbekümmert
au in der warheit und
av hettestu ein gantz
aw künigreych, es schadt dir
awgantz nit.
33[18va]
4 Biß
ax
on eygentschafft und bildloß und ledig und frey und unbekümert mit allen creaturen und
hab mit urlaub, was du bedarffst
aymitt einer
ay notdurfft,
die gemischt sey mit demuͤtigkeit in goͤttlicher vorcht, so günnet dir der ewig got
wol deiner not durfft on zwyfel.
5 Hast du sein nicht, so getraw
dem herren, er soll und muͦß dich wol versorgen.
34
6 Und solt es durch unuernünfftig creaturen geschehen, er
verlaßt die seynen nicht als wenig, als er die ewigkeitt
G laßt
az.
35
1 Warum stellen nun die Dinge, mit denen
du dich in diesem Leben befasst, ein Hindernis für dich dar?
2 Das kommt daher, dass du durch diese Dinge verformt wirst durch Selbstbezogenheit.
3 Wärest du von bildlicher Vorstellung und Selbstbezogenheit
frei und ihrer ledig und [hieltest dich] ohne Einschränkung zur Wahrheit, dann könnte
es dir nichts anhaben, [selbst] wenn du ein ganzes Königreich besäßest.
4 Sei ohne Selbstbezogenheit und ohne bildliche Vorstellung und ledig und
frei und unbeschwert von aller Kreatur und behalte, wie es dir erlaubt ist, was du zum
Leben brauchst, wozu auch Demut in Gottesfurcht gehört; dann gewährt dir der ewige
Gott zweifellos, was du zum Leben benötigst.
5 Hast du das
nicht, so vertraue auf den Herrn, er muss und wird gut für dich sorgen;
6 und wenn es [auch] durch unwissende Geschöpfe erfolgte: Er lässt die
Seinen so wenig im Stich, wie er von der Ewigkeit lässt.
Abschnitt 5
FN-Anzahl: 8
1 Man findet von einem altvatter geschriben, der was als bildloß
unnd
ba ledig und
bb frey und unbekümert mit
allen creaturen, das im mitnichten kein
bc bild bleib in seynem gemuͤtt.
2 Nuͦn fuͤgt es sich, das ein mensch kam klopffen an sein gemach, do kam er haͤrfür.
3 Da hiesch im der mensch ettwas, das er im uß seynem gemach
bringen solt.
36
4 Do diser heylig altvatter wider in sein gemach kam, als
bald
bd was diß
bild hinweg, das er zuͦmal darumb nicht wißte, warumb in diser mensch gebetten het.
5 Diser
be mensch klopfft aber an,
37 do kam der altvatter
und sprach:
6 "Sun gee selber herein und nimm, was du bedarffst.
7 Wann deine bild kan ich so lang nit behalten, daz ich wiß,
was du woͤllest.
8 Also ist meyn gemuͤt bloß aller bilde und
ledig und frey."
38
1 In dem, was über einen geistlichen
[Alt-]Vater geschrieben wurde, findet man, dass er sich keine bildlichen Vorstellungen
machte und so ledig und frei und unbeschwert von aller Kreatur war, dass in seinem
Denken und Empfinden keinerlei bildliche Vorstellung Bestand hatte.
2 Nun begab es sich, dass ein Mensch kam und an sein Zimmer klopfte; da
trat er [= der geistliche Vater] heraus.
3 Da bat ihn der Mensch
um etwas, das er ihm aus seinem Zimmer holen sollte.
4 Als
dieser heilige geistliche Vater zurück in sein Zimmer kam, war die bildliche
Vorstellung sofort verschwunden, so dass er gleich nichts mehr davon wusste, worum ihn
dieser Mensch gebeten hatte.
5 Derselbe Mensch klopfte erneut
an, da kam der geistliche Vater zu ihm und sagte:
6 "[Mein]
Sohn, geh selbst hinein und nimm, was du brauchst.
7 Denn deine
Vorstellung kann ich nicht lange genug in mir festhalten, dass ich wüsste, was du
wolltest.
8 In einer solchen Weise ist mein Denken und Empfinden
entblößt von allen bildlichen Vorstellungen und ledig und frei."
Abschnitt 6
Absatz 8
FN-Anzahl: 12
1 HMerck
bf:
2 in disen bildlosen menschenn
bg schynt die
goͤttlichen sonn in on underlaß
39 unnd werdent
also
bh adelich gezogen
uß in selber und uß allen dingen unnd haben iren willen geben gefangen dem goͤttlichen
willen in allen dingen und darzuͦ lauter und bloß sich selber in allen creaturen in
lieb und in leid in thuͦn und lassen
bi.
40
3 Dise menschen seind so gar verstrickt in dem fryen gottlichen
willen und werden so wunnigklich gezogen in das joch gottes, das sie dardurch
vergessen lieb und leids und aller ding und darumb scheynendt inen alle ding klein und
wenig, wann sie sich in gott vergangen haben.
4 Aber die ewigen
ding scheynen in nahent und groß, wann sie in inen allzeyt inwendig gegenwertig seind
von ires adels wegen
bjder tugend
bj.
5 Hierumb so
vergessen sie in der suͤssen lieb gottes alles leydenn.
6 Ob man
sie lieb oder
[18vb] hasse, des haben sie steten fryd mitt allen creaturen mit veinden
41 und
bk mit freünden.
7 Disen menschenn ist allzeyt suͤß das joch unsers
bl herren.
8 In lieb unnd in leid steen sie unbekümert mitt allen
creaturen.
42
1 Du sollst dir merken:
2 In diese Menschen, die sich keine bildliche Vorstellung machen, scheint
die göttliche Sonne unablässig hinein, und sie werden auf so ehrenvolle Weise aus sich
selbst herausgezogen und aus allen Dingen, und sie haben ihren Willen dem göttlichen
Willen in allen Dingen unterworfen und darüber hinaus sich selbst in jeder Kreatur, in
Liebe und in Leid, in [ihrem] Tun und Lassen.
3 Diese Menschen
sind so gänzlich verflochten mit dem freien göttlichen Willen und werden so voller
Freude und Lust in das Joch Gottes gespannt, dass sie auf diese Weise Lieb und Leid
und alle Dinge vergessen; und darum erscheinen ihnen alle Dinge klein und unbedeutend,
weil sie sich in Gott verloren haben.
4 Aber die ewigen Dinge
erscheinen ihnen nahe und groß, weil sie stets in ihrem Inneren vorhanden sind
aufgrund ihrer durch Tugenden erworbenen Würde.
5 Deswegen
vergessen sie in der süßen Liebe Gottes alles Leid.
6 Ganz egal,
ob man sie liebt oder hasst, sie halten doch beständigen Frieden mit jeder Kreatur,
mit Feinden und mit Freunden.
7 Diesen Menschen ist das Joch
unseres Herren zu jeder Zeit süß.
8 In Lieb und in Leid bleiben
sie unbeschwert von aller Kreatur.
Abschnitt 7
Absatz 9
FN-Anzahl: 9
1 Nuͦn nemen wir das ander wortt für uns, das
Christus sprach:
2 "Mein bürd ist
leycht."
43
3 Do meinet man den usseren menschen, uff den manigfaltige
kümmernyß
bm leiden fallt.
4 Eya, minnigklicher
bn
gott, wer
I seind nuͦn dise menschen, den die bürd gottes allzeit leicht und suͤß
zuͦ tragen ist?
5 Wann leider niemand yetzund mer leyden will,
wie geystlich er scheynet unnd wenet zuͦ seyn unnd muͦß doch in der warheitt ein
leiden und ein lassen in dem menschen syn, soll im anders recht geschehen.
6 Wann kere dich
bo, wohin du woͤllst: Du muͦst disen weg und kein anders.
7 Wann ich sag dir in der warheit:
8 Fleychst du
den reyffen, so falstu
J in tieffen
kalten schnee.
44
9 Darumb lyd dich froͤlich und willigklich unnd bevilch dich
gott in allen dingen.
45
10 Wann unser herr
Jesus
Christus muͦst sich bitterlich leyden und also wider inkeren und kommen in sein
eygen glory seins hymelischen vatters.
46
1 Jetzt wenden wir uns dem zweiten Wort
zu, das Christus sagte:
2 "Meine Last ist leicht."
3 Damit ist der äußere Mensch gemeint, der von vielfältigem Kummer und
Leid getroffen wird.
4 Ach, liebreicher Gott, wer sind denn nun
die Menschen, für die das Tragen der Last Gottes stets leicht und süß ist?
5 Denn in heutiger Zeit will leider niemand mehr Leid auf sich nehmen,
ganz egal, wie fromm er wirkt und [selbst] meint zu sein, aber es ist wahr, dass der
Mensch leiden und loslassen muss, wenn er denn gerechtfertigt werden soll.
6 Denn schau, wohin du willst: Du musst diesen Weg gehen und keinen
anderen.
7 Denn ich sage dir – und das ist wahr:
8 Läufst du vor dem Raureif weg, fällst du in den tiefen kalten Schnee.
9 Deswegen füge dich fröhlich und willig und überlasse dich
Gott in allen Dingen.
10 Denn unser Herr Jesus Christus musste
sich in bitterer Weise fügen, um wieder zurückzukehren und einzugehen in seine eigene
Herrlichkeit, die seines himmlischen Vaters.
Abschnitt 8
Absatz 10
FN-Anzahl: 8
1 Was
bp sollen nuͦn leyden die diener gottes
bq?
2 Sie sollen
demuͤtigklich lyden die urteil gotts unnd sein verhengknyß, wo und wie die uff sie
fallen, es sy zuͦ recht oder unrecht,
47 es sey von gott oder von dem
menschen, es sterben dir deine freünd, oder du verlierest dein guͦtt oder die eer oder
den
br trost
außwendig oder inwendig gotts oder der creaturen
bs.
3 Dise bürden solt du leychtigklich und froͤlichen tragen und dar zuͦ dein eygen
gebrechen, die dir leid seint, die du nit überwinden kanst oder magst.
4 So leg dich doch demuͤtigklich under die bürde zuͦ leyden in dem
goͤttlichen willen und ergib es gott und laß dich darinn
bt demuͤtigklich in
bu seynen liebsten
willen hie in zeyt und in ewigkeit.
48
1 Was müssen nun die Diener Gottes
ertragen?
2 Sie müssen demütig die Entscheidungen Gottes
hinnehmen und welche Geschicke er bestimmt und wo und in welcher Weise sie sie
ereilen, ganz egal, ob zu recht oder ungerechtfertigt, ob von Gott oder von Menschen
gemacht, ganz egal, ob deine Freunde sterben oder ob du deinen Besitz oder die Ehre
verlierst oder äußeren oder inneren Halt und Unterstützung von Gott oder den
Kreaturen.
3 Diese Belastungen sollst du mit Leichtigkeit und
fröhlich ertragen und darüber hinaus deine eigenen Schwächen, die dir verhasst sind,
die du [aber] nicht überwinden kannst, noch dazu imstande bist.
4 Deswegen beuge dich demütig unter die Last, nach dem Willen Gottes zu leiden und
übergib es Gott und überlasse dich demütig seinem überaus geliebten Willen, sowohl in
dieser Welt als auch in Ewigkeit.
Abschnitt 9
FN-Anzahl: 8
1 In
bv
gleycher weyß
K als das pferdt,
das do macht den mist in dem stalle – und wiewol
bw das ist, das es
bx ist, ein unflat an im selber – das selb pferd zeücht
doch
by widerumb den
selben myst mitt grosser arbeit uff das veld uff den acker
bz.
2 So
waͤchßt dan da
caedles guͦtts korn
ca und
cb[19ra] suͤsser wein, der nimmer also wuͤchsse, waͤre der unrein myst nit.
1 Genauso wie das Pferd, das im Stall Mist
hinterlässt – und obwohl es so ist, dass es sein eigener Dreck ist, zieht dieses Pferd
doch andererseits denselben Mist mit großer Mühe auf das Feld, auf den Acker; so
wächst dann dort edles gutes Korn und süßer Wein, der niemals in dieser Weise dort
wüchse, gäbe es nicht den dreckigen Mist –
Abschnitt 10
FN-Anzahl: 7
1 Also
cc thuͦ du auch.
2 Wann dein
eigner myst das seind deine gebrechenn, den du nit gethun kanst
L noch überwinden, die trag mitt
arbeyt und mit fleysse und mit ernst uff den acker des
cd wyllenn gottes in rechter
gelassenheit
49 dein selbs.
3 ceUnd trag als das
ce pferdt deinen myst auff das rein edel
gruͤn
cf felt.
4 On zweyfel do wechst in einer
demuͤtigen gelassenkeyt edel wunnigklich frücht uß vor gott dem hymelischenn vatter
und vor allenn seinen außerwelten dienern.
50
1 genauso handle auch du: Denn dein
eigener Mist sind deine Schwächen, gegen die du nichts ausrichtest, noch sie
überwinden kannst, diese trage mit Mühe und Anstrengung und mit Ernsthaftigkeit auf
den Acker des göttlichen Willens, indem du von dir selbst in der richtigen Weise
ablässt.
2 Und trage wie das Pferd deinen Mist auf das reine
edle grüne Feld.
3 Zweifellos wird daraus in demütiger
Gelassenheit edle Freude spendende Frucht wachsen im Angesicht Gottes des himmlischen
Vaters und aller seiner auserwählten Diener.
Abschnitt 11
Absatz 11
FN-Anzahl: 13
1 Nuͦn woͤlcher mensch sich druckt under die bürde und under alle urteil
und verhencknyß gottes mit demuͤtiger gelassenheyt und leydet sich dann froͤlich unnd
guͤtlich in dem goͤttlichen willen in haben und
cg mangeln mitt eim bleybendenn
ch ernst in demuͤtiger
hoffnung und alle ding von gott nympt und sy denn wyder ufftregt in rechter warer
ci abgescheidenheit
51 unnd mit einem
ynbleyben bey im selber unnd sich denn insenchet in den ewigen willen gottes in einer
verlaugnung sein selbs unnd aller creaturen
cj:
2 Woͤlcher mensch dises warliche und lautterlichen thet unnd den
ck in dysem stuͤnde in einer wesentlicher
wise, dem were dann die burde gottes leicht in der warheit – ja
cl, also leycht, das auff denn selben
menschen alle die burdenn würden gelegt, die all dyse welt tregtt, ob das müglichen
were,
52 die würdenn im also leycht, das es im ein
rechte freude
cm were.
53
3 Ja
cn, es were im ein wünne unnd ein genuͤgte, ein freude unnd ein
hymmelreych.
4 Wann
co der ewig gott truͤge dyse burdenn und der mensch
gieng zuͦmal darunder ledig unnd were also uß im selber gegangen unnd gott gienge do
zuͦmal alle zeyt in in alles des menschen thuͦn und lassen.
54
1 Derjenige Mensch nun, der sich der Last
und allen Entscheidungen Gottes und den von ihm verhängten Geschicken in demütiger
Gelassenheit unterwirft und sich dann froh und in innerem Frieden dem göttlichen
Willen in Reichtum und Armut mit einem stetigen ernsthaften Sinn in demütiger
Zuversicht überlässt und alle Dinge von Gott annimmt und sie ihm dann wieder
anempfiehlt und sich dabei in einer echten und wahrhaftigen Loslösung [von allem
Irdischen] befindet und ganz bei sich selbst ist und sich dann in den ewigen Willen
Gottes versenkt ohne Rücksicht auf sich selbst und alle Kreatur:
2 Für denjenigen Menschen, der dies mit einem wahrhaften und aufrichtigen
Sinn täte und dann darin beständig bliebe, wäre die Last Gottes leicht – das ist wahr
–, ja, [sie wäre] so leicht, dass – wenn das möglich wäre – wenn auf diesen Menschen
alle Lasten gelegt würden, die die ganz Welt zu tragen hat, diese ihm so leicht wären,
dass er eine echte Freude daran hätte.
3 Ja, es wäre ihm ein
großes Glück, ein Genuss, eine Freude und wie das Himmelreich.
4 Denn der ewige Gott trüge diese Last, und der Mensch liefe unter ihr frei und wäre
in dieser Weise aus sich herausgegangen, und Gott hielte gleichzeitig für alle Zeit
Einzug in all das Tun und Lassen dieses Menschen.
Abschnitt 12
FN-Anzahl: 1
1 Das
cp der ewig got also würcke in unß, das unß seyn joch suͤß werde und
sein bürde leycht, des helff unß gott der vatter unnd der suͦn und der heylig geist.
2 Amen.
1 Dazu, dass der ewige Gott in dieser
Weise in uns sein Werk vollbringe, dass uns sein Joch süß werde und seine Last leicht,
helfe uns Gott, der Vater und der Sohn und der heilige Geist.
2 Amen.