Predigt Nr. 3 – Vetter 2 – BT 5va–7va
[5va]
Überschrift
Absatz 1
FN-Anzahl: 2
Ein predig an der heiligen dry künig abent1, die uns lert fürsichtigklich warnemen des ends im anfang eins yegklichen wercks und warnet uns vor dryen fyenden, die unser seel suͦchen zuͦ verderben. Genommen uß dem evangelio Matthei.ii.: "Accipe puerum et matrem eius et vade in terram Israel."2
Eine Predigt für den Vorabend des Festes der Heiligen drei Könige, die uns lehrt, im Anfang eines jeden Werkes dessen Ende vorausschauend zu beachten, und die uns vor drei Feinden warnt, die versuchen, unsere Seele zu verderben. [Das Wort ist] dem Evangelium des Matthäus, 2. [Kapitel], entnommen: "Accipe puerum et matrem eius et vade in terram Israel."
Abschnitt 1
Absatz 2
FN-Anzahl: 0
"Nim das kind und sin muͦter und gee in das land Israel." Das man die heiligen geschrifft in dem heiligen ewangelio tusentmalen über laͤß und predigte und überdechte, so findet man ye niendert mer warheit unnd ye gefunden ward von den menschen dann disen nachgenden worten, die da sprechend: "Nim das kind und die muͦter und far wider in das land Israhel, wan die sind tod, die do die sele des kinds gesuͦcht habend und es toͤdten wollten."
„Nimm das Kind und seine Mutter und geh in das Land Israel." Wenn man die Heilige Schrift im heiligen Evangelium tausendfach durchläse und [über sie] predigte und durchdächte, dann findet man nirgendwo mehr Wahrheit, als sie je von Menschen gefunden wurde, in diesen nachfolgenden Worten, die da lauten: "Nimm das Kind und seine Mutter und geh zurück in das Land Israel, denn diejenigen, die damals die Seele des Kindes gesucht haben und es töten wollten, sind tot."
Abschnitt 2
Absatz 3
FN-Anzahl: 3
[b] Es seind etlich menschen als bald so in inwendig uffstat ein guͦt begerung eines nüwen wesens unnd eins guͦten dings, als bald seind sie also kuͤn unnd verwegen und fallen denn uff die innigkeit der geburt des geistes mitt eim geschwinden ernst unnd inkeren das selb zuͦ thuͦn. Unnd da bey wissen noch sehen dise menschenn nit, ob das ir natur vermüg oder ob ir inwendiger grund3 oder ir genad als groß syg, das sy genuͦgsam sig zuͦ dem end des werckes, das sie da angefangen haben. Und darumb der mensch in einem yeglichen werck das end soll ansehen, ee er sich in kein werck kere ußwendig oder inwendig, ob er daz moͤcht volbringen oder nit. Und denn als bald so soll der mensch die innigkeit des geists bald in got werffen und keren, darumb das er all seine werck in im unnd durch in volbringt nach dem aller liebsten willen gots. Aber es seind etlich menschen under disen, die woͤllen alsAbald hinweg louffen unnd vil neüwer wiß understond. Sy anfahen nun diß, nuͦ das. Unnd in diser verwegenheyt verdürbt mancher mensch leiplich unnd geistlich, der uff sin eigen gemach und fürnemen buwt im geist und in natur. Das offt da selbst ist die natur, da man went got zuͦ suͦchen.4
Es gibt viele Menschen, welche, sobald in ihrem Inneren eine gute Begierde nach einem neuen Sein und nach einer guten Sache erweckt wird, sogleich äußerst kühn und vermessen sind und sich darum in die Innigkeit der Geburt des Geistes mit ungestümen Ernst und Einkehr stürzen, um dieses zu vollziehen. Doch dabei wissen diese Menschen nicht, noch sehen sie voraus, ob ihre Natur das kann und ob ihr innerer Grund und die ihnen gegebene Gnade groß genug ist, dass sie dafür ausreicht, das Werk, das sie da angefangen haben, auch zu vollenden. Und darum soll der Mensch bei einem jeglichen Werk an das Ende denken, bevor er sich äußerlich oder innerlich irgendeinem Werk zuwende, ob er es zu Ende bringen kann oder nicht. Und dann soll der Mensch sogleich die Aufmerksamkeit des Geistes rasch auf Gott richten und zu ihm kehren, damit er all seine Werke in ihm und durch ihn nach dem aller liebsten Willen Gottes vollbringe. Aber unter diesen gibt es etliche Menschen, die wollen sogleich loslaufen und sich vieler neuer [Andachts-]Formen unterziehen. Sie fangen nun dies, dann jenes an. Und in dieser Vermessenheit verderben viele Menschen körperlich und seelisch, die sich auf ihr eigenes Urteilsvermögen und auf ihre Absicht verlassen, sowohl in ihrem Geist als auch in ihrer Natur. Wo man wähnt, Gott zu suchen, genau dort ist oft die Natur.
Abschnitt 3
FN-Anzahl: 5
Und darumb der lieb Joseph do er geflohen was mit dem kinde und mit seiner muͦter und im der engel gottes in dem schlaff verkündet hat, das Herodes5 tod wer,6 do hoͤret er sagen daz Archelaus7, sin sun, in dem land regieren were an sines vatter stat, und forcht ser, das daß kintlinaJesus vonn dem getoͤdtet wurde.8
Und dazu: als der liebe Joseph mit dem Kind und mit dessen Mutter geflohen war und ihm der Engel Gottes im Schlaf verkündet hatte, dass Herodes tot sei, [und] er da sagen hörte, dass dessen Sohn Archelaus in dem Land an Stelle seines Vaters regieren würde, da fürchtete er sehr, dass das kleine Kind Jesus von diesem getötet würde.
Abschnitt 4
Absatz 4
FN-Anzahl: 5
Nun, was soͤllen wir hie by verston? Herodes, der das kind verjaget und toͤdten wolt, das ist die welt on zweiffel, die das kinde toͤdBtet in dem menschen, die man von not fliehen muͦß unnd soll, ob man anders das kinde lebendig behalten will.9 Das kinde ist die seel eins yegklichen menschen.10 Und darumb so ja das ist, das der mensch [6ra] ußwendig die welt geflohen hat – es sey in klausen11 oder in kloͤster –, so steet denn uff Archelauß und herrscht in dem menschen. Daz ist: die gantz welt stat denn auch in dir inwendig, die du villeicht nimmer überwinden kannst, es sy dann grosse uͤbung und fleiß unnd ernst und darzuͦ goͤttliche hilff, die dir zuͦ hilff kommen muͦß, soltu es anders überwinden. Wan ich sag dir, daß du vil starcker grymmiger feindt hast, die alle zeyt wider dich seind und wider dich fechten.12
Nun, was sollen wir daraus lernen? Herodes, der dem Kind nachjagte und es töten wollte, steht ohne Zweifel für die Welt, die das Kind im Menschen tötet, die man notwendigerweise fliehen muss und soll, wenn man trotzdem das Kind am Leben halten will. Das Kind ist die Seele eines jeglichen Menschen. Und darum: wenn sich das eben schon so verhält, dass der Mensch äußerlich aus der Welt geflohen ist – sei es in eine Klause oder in Klöster –, so erhebt sich Archelaus dennoch und herrscht in diesem Menschen. Das heißt: In deinem Inneren erhebt sich sodann die ganze Welt, die du vielleicht nie mehr überwinden kannst, es sei denn mit großem Eifer, Fleiß und Ernst und zudem göttlicher Hilfe, die dir zuteil werden wird, wirst du diesen Zustand trotzdem überwinden. Denn ich sage dir, dass du viele starke, grimmige Feinde hast, die zu aller Zeit gegen dich sind und gegen dich kämpfen.
Abschnitt 5
Absatz 5
FN-Anzahl: 2
Der erst feind ist die welt. Der vichtC dich an mit geistlicher hoffart, daß du hie durch wilt gesehen sein und geacht werden in der menschen augen und dar zuͦ in iren hertzen erhoͤcht werdenn. Es wil auch der mensch hiedurch der welt wol gefallen an kleydern, an wandelung, an hohen worten, an gelasse, an weißheyt, an freünden, an gewalt, an guͦt, an ere. Und diß gefert ist nicht anders dann ein paner des teufels.13
Der erste Feind ist die Welt. Der greift dich durch geistliche Überheblichkeit an, dass du hierdurch [durch die Weltflucht] in den Augen der Menschen gesehen und geachtet werden und zudem in ihren Herzen erhöht werden willst. Auch will der Mensch hierdurch der Welt gut gefallen mit seiner Kleidung, seinem Lebenswandel, mit hochgestochenen Worten, mit Gelassenheit, Weisheit, mit Freunden, mit [Verfügungs-] Macht, mit Besitz und mit Ansehen. Und dieses Benehmen ist nichts anderes als ein Banner des Teufels.
Abschnitt 6
Absatz 6
FN-Anzahl: 0
Der ander feind ist sein eigen fleisch, daz ficht den menschen an mit leiplicher und geistlicher unkeüscheit, mit worten und mit wercken. Und an disen sünden allen sind schuldig alle menschen, die do gebrauchen iren lust in sinnlicher lustigkeit, in welcherley weiß das sey. Das nem ein mensch an im selbs fleissigklich war, wo in dise gebrechen am allermeysten anruͤren in allen seinen sinnen und schaͤmlichen dingen, damit der mensch allezeyt verunkeüscht würdt. Wo anders der mensche mit den creaturen in liebender weysse in seinem grund besessen ist – sy seyen weltlich oder geystlich – und darzuͦ hat er diß in seinem hertzen mit gantzen willenn nacht und tag, diß alles tregt den menschen in die untugendt der sünd, die da heißt unkeüscheyt. Zuͦ gleicher weyß als die ußwendig unkeüscheit hinweg tregt die reynigkeyt des leibs, also tregt die inwendige unkeüscheyt hinweg die edlen lauteren reinigkeyt des geists. Und als vil der geyst edler ist dann daz flei[b]sch, also vil ist auch dise sünd schedlicher dann die andern sünd, er sey weltlich oder geystlich.
Der andere Feind ist sein eigenes Fleisch, das greift den Menschen mit leiblicher und geistlicher Unkeuschheit, mit Worten und mit Werken an. Und an allen diesen Sünden sind alle Menschen schuld, die ihre Lust hier befriedigen in sinnengeleiteter Begierde, in welcherlei Form das auch sei. Ein [jeder] Mensch nehme das aufmerksam an sich selbst wahr, wo ihn diese Gebrechen am allermeisten berühren in allen Sinnen und Scham erregenden Dingen, mit denen der Mensch jederzeit zur Unkeuschheit verführt wird. Wo ferner der Mensch in liebender Zuneigung zu den Geschöpfen in seinem Grund verharrt – seien sie weltlich oder geistlich -, besonders, wenn er dies zudem bei Nacht und Tag in seinem Herzen festhält, treibt dies alles den Menschen in die Untugend dieser Sünde, die man da Unkeuschheit nennt. In der gleichen Weise, in der die äußerliche Unkeuschheit die Reinheit des Körpers vertreibt, genau so vertreibt die innere Unkeuschheit die edle lautere Reinheit des Geistes. Und um so viel der Geist edler ist als das Fleisch, genau so viel ist auch diese Sünde schädlicher als die anderen Sünden, es sei im weltlichen oder im geistlichen [Bereich].
Abschnitt 7
Absatz 7
FN-Anzahl: 0
Der dritt feind ist der boͤß will, so der boͤß geist dich anficht mit bitteren boͤsen gedancken, mit arckwon, mit urteyl, mit haß, mit rechen, das denn in dem menschen uff steet. Daz ist: Hat dir der mensch gethon und hat dir das also zuͦ gesprochen und dasselb wiltu nit leiden und erzeygst ein saur zornigs antlyt und schwaͤr geberd und schwere herte zornige wort, die du deinem nebenmenschen zuͦsprichst, dadurch dann unfrid und mißhandlung und vil ander untugent kommen. Diß alles ist ein same und ein insprechung des tüfels und seine werck on zweifel.
Der dritte Feind ist der böse Wille, wenn der böse Geist dich anficht mit bitteren bösen Gedanken, mit Misstrauen, mit Vorurteil, mit Hass, mit Rachegedanken, die dann in dem Menschen hochkommen. Das heißt: Hat dir dieser Mensch das angetan und hat genau das zu dir gesagt, und du willst dasselbe nicht ertragen und zeigst ein säuerliches zorniges Gesicht und bedrückte Gebärden und leidvolle, harte, zornige Worte, die du zu deinem Mitmenschen sagst, dadurch entstehen dann Unfrieden und falsche Handlungen und viele andere Untugenden. Dies alles ist zweifellos ein Samen und eine Einflüsterung des Teufels und sein Werk.
Abschnitt 8
Absatz 8
FN-Anzahl: 2
Darumb wiß: Wiltu ymmer selig werDden, so muͦstu dißem allem entfliehen und muͦst dich guͦtlich und demuͤtiglich under der trotten des leydens willigklichen geben zuͦ leydenn durch gots willen – man thuͦ dir recht oder unrecht. Hierinn laß dich got und die warheyt entschuldigen unnd laß dich selber unentschuldiget, so wirdt in dir der frid gots warlich geborn inwendig und außwendig in leid und in lieb. Und nimst du diß nit mit fleiß in dich und mit ernst, so ist diser Archelaus gegenwertig, der dir deine kind toͤdet. In der warheit: daz sind die edlen gnaden gots in diner sel.14
Darum wisse: Willst du jemals selig werden, dann musst du diesem allem entfliehen und musst dich der Kelter des Leidens gut und demütig willig ergeben, um Gottes Willen zu leiden – gleichgültig, ob man dir Recht oder Unrecht tue. In dieser Haltung sollst du Gott und die Wahrheit von Schuld freisprechen und dich selber nicht schuldfrei lassen, dann wird in dir der Friede Gottes wahrlich geboren, innerlich und äußerlich, in Leid und in Freude. Und eignest du dir dies nicht mit Fleiß und mit Ernst an, dann ist dieser Archelaus gegenwärtig, der dir dein Kind tötet. Es ist wahr: dies sind die edlen Gnadenbeweise Gottes in deiner Seele.
Abschnitt 9
FN-Anzahl: 2
Und darumb diser demuͤtig Joseph fraget fleissig mit ernst, ob yemant mer werde, der das kind Jesum toͤdten wolt. Also zuͦ glycherwiß wenn dise vorgend untugent alle in dem menschen überwunden seind, so wiß fürwar das dannocht tausent strick seind, die der mensch durch und durch brechen muͦß, die da niemant bekennet dann der mensch allein, der warlich zuͦ im selber und in sich keret ist. Wan Joseph bedeüt als vil als einn fleyssig feststeen in einem goͤtlichen seligen leEben und in dem willen gottes und empsig zuͦnehmen in dem willen gottes mit treüwe.15 Und der huͤtet des kindes gar [6va] wol und der muͦter vor den, die es toͤdten woͤllen.
Und darum fragte dieser demütige Joseph angelegentlich und ernsthaft, ob es noch jemanden gebe, der das Kind Jesus töten wolle. Ganz genauso [gilt,] wenn diese zuvor genannten Untugenden alle in diesem Menschen überwunden sind, so sollst du es wahrhaftig wissen, dass es immer noch tausend Fallstricke gibt, die der Mensch gänzlich zerreißen muss, die auch niemand kennt als dieser Mensch allein, der wahrlich zu sich selbst und in sich gekehrt ist. Denn 'Joseph' heißt so viel wie ein eifriges festes Stehen in einem göttlichen seligen Leben und in dem Willen Gottes und ein emsiges Wachsen mit Treue in dem Willen Gottes. Und der behütet das Kind und die Mutter wirklich gut vor denen, die es töten wollen.
Abschnitt 10
Absatz 9
FN-Anzahl: 4
Diser Joseph ward von dem engel gottes gemanet und widerumb geladen in das land Israhel. IsFrahel ist gesprochen als vil als ein land der schauwung.16 Hierinn verderbendt vil menschen, daß sy sich uß disen manigfaltigen stricken der anfechtung woͤllen außbrechen, ee sy die barmhertzigkeit gots durch sein gnad außlaßt und er dann sy von dem engel gots werdenn außgefuͤrt oder gemanet. Und da durch fallen sy dann in groß schwer irrung, daz sy sich selber woͤllen ee außlassen, ee daz sy got warlich außlat. Das ist mit irer vernünfftigen behendigkeit unnd mit hohen worten, die sy versteen und von hohen dingen unnd darzuͦ künden sie von der hohen dryualtigkeit schauwen und reden. Was grosser irrung hievon gewachsen und kommen ist und noch all tag kompt, das ist ein iamer ob allenG dingen ze wissen. Wann dise menschenn woͤllen die strick der verhengniß gotß und dise vinsternuß nit außleyten von Egypto, das als vil bedeüt als ein vinsternuß.17 Und darumb in der warheyt: all creaturen, die got ye beschuͦff mügen dich nit auß diser gefengkniß gelassen noch dir warlich darauß helffenn. 10 Der ewig barmhertzig gott alleinn mag es thuͦn und niemandt anders. 11 Darumb so kere es hynn, wo hyn du woͤllest, so muͦß es also seyn und nit anders in der warheit, sol dir anders recht geschehen.18 12 Und darumb so lauff und suͦch und jag die gantzen welt mit einander auß, so empfindst du diser hilff an niemandt überal dan an got bloß allein. 13 Darumb will unser herr ein instrument darzuͦ haben, durch den er das selbe würcket – es sey engel oder mensch – daz mag er wol thuͦn, ob er will. 14 Aber wiß: 15 Er muͦß es selb thuͦn und niemant anders. 16 Und darumb souͦch es inwendig in dem grund und laß dein ußsuͦchen und außlauffen sein und leid dich guͤtlich durch gots willen und [b] bleyb da in Egyptenland in der vinsternuß, biß du warlich von dem engel gottes heraußgeladen werdest.
Dieser Joseph wurde vom Engel Gottes aufgefordert und zurück gesandt in das Land Israel. 'Israel' bedeutet so viel wie ein Land der [Gottes-]Schau. Darin verderben viele Menschen, weil sie sich aus diesen vielfältigen Fallstricken der Anfechtung befreien wollen, bevor sie die Barmherzigkeit Gottes durch seine Gnade hinaus lässt und bevor sie schließlich von dem Engel Gottes herausgeführt oder ermahnt werden. Und dadurch geraten sie dann in große schwere Irrtümer, so dass sie sich selbst befreien wollen, bevor Gott sie wahrlich hinaus lässt. Das liegt an der Schläue ihrer Vernunft und an den hochgestochenen Worten, die sie verstehen, und an den hohen Dingen, und zudem verkünden und reden sie von der Schau der hohen Dreifaltigkeit. Was hieraus an großen Irrtümern erwachsen und hervorgegangen ist und noch alle Tage hervorgeht, das ist beklagenswerter als alle Dinge, von denen wir wissen. Denn diese Menschen wollen die Fesseln des von Gott verhängten Schicksals und diese Finsternis nicht aus Ägypten hinausführen, das [doch] so viel heißt wie 'Finsternis'. Und darum, in Wahrheit: Alle Kreaturen, die Gott je erschuf, können dich nicht aus diesem Gefängnis befreien, noch dir wirklich daraus heraushelfen. 10 Der ewige barmherzige Gott allein kann es tun, und niemand anders. 11 Darum, drehe es wohin du willst, genau so und nicht anders muss es in Wahrheit sein, wenn dir trotzdem recht geschehen soll. 12 Und darum: wenn du die ganze Welt abläufst und absuchst und durchjagst, so findest du nirgendwo bei irgendjemandem Hilfe außer nur bei Gott allein. 13 Darum will unser Herr ein Instrument dafür besitzen, durch das er das bewirkt – es sei ein Engel oder ein Mensch –; das kann er wirklich tun, sofern er es will. 14 Aber wisse: 15 Er selbst muss es tun und niemand anders. 16 Und darum suche es innen im Grund und lass dein Suchen außerhalb und dein Hinauslaufen sein und verhalte dich gut um Gottes willen und bleibe dort im Land Ägypten in der Finsternis, bis du wahrlich vom Engel Gottes herausgeschickt wirst.
Abschnitt 11
Absatz 10
Absatz 11
Absatz 12
FN-Anzahl: 8
JosephH ward gewarnet unnd gemanet in dem schlaff. "Wer schlafft der sündet nit."19 So sol der andechtig mensch seyn in eynem waren ruͤwigen schlaff ußwendig zuͦ allen leydungen und anfechtungen, die da uff in fallenn mügen und sol sich williglich in einer uffgesetzten leydung demuͤtigklich under daz leiden biegen und dasselb leiden in einer entschlaffenn weiß und ker sich gantz nüt daran und laß sich20 guͤtlich hierinn und leid es froͤlich durch got. Nitt baß und fruchtbarer kannst du sein ledig werden on zweyfel. Und bleib on sünd in disem schlaff der gedult, so wirstu warlich ußgeladen durch dein demuͦtige underthenigkeit, als dem heiligen Joseph geschach. Nun wissent: Dise huͤter soͤllen sein die I prelaten der heiligen kirchen: pfaffen, bischoff, aͤpt, prior und geistlichen beichtiger. Dise prelaten alle soͤllen die menschen regieren und richten nach dem lob gotts und nach allen seim liebsten willen. So seind sy von erst leider selb blind, und also fuͤrt ein blind den andern, daz zuͦ foͤrchten ist, daz sie beyd miteinander fallen in den grund ewiger verdamnuß.21 10 Unnd darumb so haben wir vil oberherren. 11 Also hab ich ein supprioren und ein prioren und ein provincial22 und bischoff und bapst, die alle über mich seind. 12 Und woͤlten sy all uͤbel mit mir, das sy all zuͦ woͤlffenn an mir würden und mich all beissen woͤlten, sol ich mich in einer waren gelassenheit23 und underthenigkeit demuͤtiglich under sy legen und dasselb demuͤtiglich leidenb on alles murmelen unnd widerreden. 13 Geschech mir wol von in, das solt ich demuͤtigklich von gott uffnemen. 14 geschech mir aber übel und ungleich von in, das sol ich guͤtlich und froͤlich durch gots willen von in leyden durch die oͤbersten liebe gots.
Joseph wurde im Schlaf gewarnt und ermahnt. "Wer schläft, sündigt nicht." So soll der andächtige Mensch äußerlich gegenüber allen Leiden und Anfechtungen, die dort auf ihn fallen könnten, in einem wahren ruhigen Schlaf verharren, und soll sich in auferlegtem Leid bereitwillig demütig unter das Leiden beugen, und dasselbe in einer Weise ertragen, als schlafe er, und kümmere sich gar nicht darum und bleibe gütlich darin und ertrage es fröhlich um Gottes willen. Ohne Zweifel kannst du von ihm nicht besser und nützlicher frei werden. Und bleibe in diesem Schlaf der Geduld ohne Sünde, so wirst du wahrlich durch deine demütige Untertänigkeit hinausgeführt, wie es dem heiligen Joseph widerfuhr. Nun wisset: Solche Hüter sollten die Prälaten der heiligen Kirche sein: Priester, Bischöfe, Äbte, Prioren und geistliche Beichtväter. All diese Prälaten sollen die Menschen regieren und hinführen auf das Lob Gottes und nach seinem liebsten Willen. Nun sind sie aber zunächst leider selbst blind, und somit führt ein Blinder den anderen, womit zu fürchten ist, dass sie beide miteinander in den Abgrund ewiger Verdammnis fallen. 10 Und darum haben wir so viele Vorgesetzte. 11 Darum habe ich einen Subprior und einen Prior und einen Provinzial und Bischof und Papst, die alle über mir stehen. 12 Und wollten sie alle mit mir übel umgehen, sodass sie alle an mir zu Wölfen würden und mich alle beißen wollten, dann sollte ich mich in wahrer Gelassenheit und Unterwürfigkeit demütig ihnen unterstellen und dies demütig ertragen, ohne alles Murren und ohne Widerrede. 13 Würden sie mich gut behandeln, das sollte ich demütig von Gott annehmen. 14 Widerführe mir aber Übles und Ungerechtigkeit von ihnen, soll ich das gütlich und fröhlich um Gottes Willen für die höchste Liebe Gottes von ihnen erdulden.
Abschnitt 12
FN-Anzahl: 0
Darumb der heylig Joseph forcht sich allzyt, biß daz im [7ra] der engel gotz verkündet, das sy todt weren, die das edel kind Jesum suͦchten zuͦ toͤdten. Darnach fragt er mitt gantzem fleyß, wer in dem land regieren wer.
Darum fürchtete sich der Heilige Joseph die ganze Zeit, bis ihm der Engel Gottes verkündete, dass diejenigen tot seien, die versucht hatten, das edle Kind Jesus zu töten. Denn er forschte mit allem Fleiß danach, wer die Herrscher im Land waren.
Abschnitt 13
Absatz 13
FN-Anzahl: 3
Hier an irren aber etlich menschen, die zuͦmal alle forcht verlieren wellen. Wann der mensch solt auß der forcht nymmerJme kommen, die weil er lebte in diser zeyt. Wann es spricht der heylig prophet: "Timor domini sanctus permanens in seculum seculi."24 Das ist: "Die heylig forcht gots soll alle zeit bleiben biß an das end der welt." Und ob es were, das dir der engel gottes saget unnd verkündet, dannocht solt du dich foͤrchten und solt fleyssig in dir selbs warnemen, was in dir inwendig regier, ob es got warlich sey oder dein eigen natur.25
Hierüber irren wiederum viele Menschen, die alle Furcht völlig ablegen wollen. Denn der Mensch soll niemals die Furcht ablegen, solange er hier in dieser Zeitlichkeit lebt. Denn es spricht der heilige Prophet: "Timor domini sanctus permanens in seculum seculi." Das heißt: "Die heilige Furcht vor Gott soll alle Zeit bleiben bis zum Ende der Welt." Und selbst wenn es geschähe, dass der Engel Gottes dir das sagt und verkündet, dennoch sollst du dich fürchten und eifrig in dich selbst hineinhören, was in deinem Inneren regiert, ob es wirklich Gott ist oder deine eigene Natur.
Abschnitt 14
Absatz 14
FN-Anzahl: 1
"Darnach nam der heilig Joseph das kindt Jesum und sein wyrdige demuͤtige muͦter."26 Bey dem kind Jesu versteen wir ein lautern reinen menschen. Also soll der mensch gantz lauter unnd reyn seyn und unvermackelt mitt allen aussern zergengklichen dingen. Er sol auch klein seyn in underworffner tieffer demuͤtigkeyt under gott unnd durch gots willen under alle creatur.
"Danach nahm der Heilige Joseph das Kind Jesus und seine würdige demütige Mutter. Unter dem Kind Jesus sollen wir einen lauteren, reinen Menschen verstehen. Ebenso soll der Mensch gänzlich lauter und rein sein und ohne Makel von allen äußerlichen vergänglichen Dingen. Er soll auch klein sein in unterwürfiger tiefer Demut unter Gott und um Gottes willen [auch] unter alle Geschöpfe.
Abschnitt 15
Absatz 15
FN-Anzahl: 2
Bey der edlen muͦter Christi versten wir war lauter goͤtlich lieb. Wann goͤtKlich lieb ist ein muͦter der waren lauter demuͦt und verkleinung des menschen gegen im selber mitt einer underworffenheit under den goͤtlichen willen zuͦ eyner waren groͤsseren lauterkeit. In disem grad ist der mensch noch jung unnd soll noch nicht froͤlichen außfaren in das land der beschouwung. Er mag wol seynen ablaß darinnen holen, ob er will und denn als bald zuͦstund wider in Egyptenland faren, biß er darzuͦ kommen ist, das er ein volkommen man worden ist durch die wappen unsers herren Jesu Christi, der uns warlichen alle ding in seinem heyligen lauteren unschuldigen lebenn gelert und geweyßt hat den weg der volkommenheyt. Darumb wenn wir das wort gots nicht gehaben mügen, so fin[b]den aber wir in seynem reynen lauterenL leben alle ding, der wir notturfftig seind zuͦ dem ewigen leben.
Unter der edlen Mutter Christi sollen wir die reine göttliche Liebe verstehen. Denn göttliche Liebe ist die Mutter der wahren reinen Demut, und [sie ist] die Verringerung des Menschen sich selbst gegenüber mit Unterwerfung unter den göttlichen Willen zu wahrer größerer Reinheit. Auf dieser Stufe ist der Mensch noch jung und soll noch nicht fröhlich in das Land der [Gottes-]Schau reisen. Er kann wirklich seine Vergebung darin erwerben, wenn er will, und dann sofort gleich zurück in das Land Ägypten reisen, bis er soweit gekommen ist, dass er ein vollkommener Mann geworden ist durch die Waffen unseres Herrn Jesus Christus, der uns wahrlich in seinem heiligen lauteren unschuldigen Leben alle Dinge gelehrt und den Weg der Vollkommenheit gewiesen hat. Darum: wenn wir das Wort Gottes nicht haben können, so finden wir dennoch in seinem reinen lauteren Leben alle Dinge, die wir zum ewigen Leben benötigen.
Abschnitt 16
FN-Anzahl: 2
Unnd darumb so kam er gen Jherusalem, do er zwoͤlff jar alt was.27 Er belieb aber dozuͦmal nit da: Er floch hinweg,28 wann er was do noch nit volkommen nach der menscheyt gewachsen. Er floch hinweg, byß er ein volkomner man was worden und nit mer zuͦ wachsen hett. Aber do er ein volkomner man was wordenn, kam er taͤglich gen Jherusalem und weyset unnd leret die juden und saget in den weg der warheyt unnd was wanderen in dem land Galilea zuͦ Capharnaum unnd in der statt Nazareth unnd überal im lande Juda als ein gewaltiger herr. Unnd da selb thet er wunder unnd zeychen.
Und deshalb kam er nach Jerusalem, als er zwölf Jahre alt war. Er blieb aber damals nicht dort: Er floh von dort, denn er war damals noch nicht vollkommen zum Menschen herangewachsen. Er floh von dort, bis er ein vollkommener Mann geworden war und nicht mehr wachsen musste. Aber als er ein vollkommener Mann geworden war, kam er täglich nach Jerusalem und unterwies und lehrte die Juden und lehrt sie den Weg der Wahrheit und wanderte als gewaltiger Herr in Kapharnaum im Land Galiläa und in der Stadt Nazareth und überall im Land Judäa. Und eben dort vollbrachte er Wunder und Zeichen.
Abschnitt 17
Absatz 16
Absatz 17
FN-Anzahl: 4
Also zuͦ gleyer weyß sol ein yeglicher andechtiger mensch auch thuͦn: Er soll sich nitt in das edel land der beschowung legen. Er mag wol ein weyle darin gon, aber er soll wyder fliehen, die weyl er nicht volkommenlich gewachsen und noch jung unnd ungeuͤbt unnd unvolkommen ist. Wann aber nun der mensch volkommen worden ist und ein starcker volkomner manlicher mensch wyrt, so soll er denn kommen in das land Juda. Wann Juda ist als vil als ein verjehung gottes.29 Unnd zuͦ Jherusalem in dem waren fryd30, da selbst magst du denn froͤlich unnd manlich leren und straffen unnd gewaltigklich faren zuͦ Galilea, das ist ein überfart.31 Hie ist denn der mensch über alle ding kommen und überfaren und denn kompt der mensch in die statt Nazareth, in die lüstigen bluͤe32 der freuden. Darauß entspringen denn die schoͤMnen lüstigen wolschmeckenden bluͦmen des ewigen lebens. Da ist dann unsprechlich fryd und freud, wunne und trost und ein stilles schweygen und rasten allein in gott. 10 Den selben fryd, freud und trost allen hymelschen und menschlichen zungen unmüglich außzuͦsprechen ist.
In genau der gleichen Weise soll auch ein jeglicher andächtiger Mensch handeln: Er soll sich nicht im edlen Land der [Gottes-]Schau zur Ruhe setzen. Er kann wohl eine Zeitlang dorthin gehen, aber er soll wieder weggehen, solange er nicht herangewachsen und noch jung und ungeübt und unvollkommen ist. Sobald aber nun der Mensch vollkommen [erwachsen] geworden und ein starker vollkommener mannhafter Mensch geworden ist, so soll er zurück kommen in das Land Judäa. Denn 'Judäa' heißt so viel wie ein Bekenntnis zu Gott. Und in Jerusalem selbst, in dem wahren Frieden, kannst du sodann fröhlich und mannhaft lehren und tadeln und mit Vollmacht [ausgestattet] nach Galiläa fahren: Das bedeutet 'eine Überfahrt'. Hier ist dann der Mensch über alle Dinge hinausgekommen und darüber hinaus gefahren, und dann kommt der Mensch in die Stadt Nazareth, in die wohlgefällige Blüte der Freuden. Daraus entspringen dann die schönen, wohlgefällig duftenden Blumen des ewigen Lebens. Dort ist dann unaussprechlicher Friede und Freude, Wonne und Trost und ein tiefes Schweigen und Rasten in Gott allein. 10 Derselbe Frieden, [die] Freude und [der] Trost kann von keinen himmlischen noch von menschlichen Zungen beschrieben werden.
Abschnitt 18
Absatz 18
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Kinder, in disem lauteren waren grund[7va] gottes kommen und versincken zuͦgrund alle menschen, die sich allein demuͤtigklich gelassen haben und guͤtlich gelitten haben alle anfechtung des leidens, ußwendig unnd inwendig, durch den liebsten willen gottes unnd sich da bey demuͤtigklich under gedruckt habenn under das joch gottes und under alle creaturen, biß sy der ewig guͤtig gott durch seine gnad selber ußlediget und ußgefuͤrt hat. Dise menschen kommen denn durch diß in den waren wesenlichen lautern friden gottes unnd kommen in die lieblichen lüstigen bluͤed gottes unnd haben denn offt da ein lieblichen lüstigen froͤlichen augenplick und gegenwurff des sy da ewigklich in gott gebrauchen sollen. Das uns das allen widerfar, das verleich uns der barmhertzig guͤtig gott. Amen.
Kinder, in diesen reinen wahren Grund Gottes kommen und sinken bis auf den Grund alle Menschen, die sich vollkommen demütig gelassen und alle Anfechtungen des Leidens, äußerlich und innerlich in Güte um den liebsten Willen Gottes erlitten haben, und sich dabei demütig unter das Joch Gottes und unter alle Kreaturen hinunter gedrückt haben, bis sie der ewige gütige Gott durch seine Gnade selbst befreit und hinausgeführt hat. Diese Menschen kommen dadurch dann in den wahren seinshaften reinen Frieden Gottes und kommen in die liebliche wohlgefällige Blüte Gottes und haben dann dort häufig einen lieblichen wohlgefälligen fröhlichen Augenblick und Widerschein, den sie dort ewig in Gott geniessen sollen. Dass dies uns allen zuteil werde verleihe uns der barmherzige gütige Gott. Amen.

Variantenapparat

akintlin] kinlin BT1522
bleiden LT AT KT] fehlt BT

Marginalien

A Eygen uff satz
B Die welt.
C Feindt des menschen.
D Wie man uͤberwinden muͦß
F Israhel.
G Gott mag allein uns erloͤsen
H [Kein Inhalt in Worddatei]
I prelaten der kirchen.
J Der mensch solt nymer on forcht sein
K Goͤtlich lieb
L So wir das gots wort nit haben moͤgen
M Nazareth

Stellenkommentar

1 Gemeint ist der Vorabend von Epiphanias (In vigilia epiphaniae Domini), also der 5. Januar.
2 Mt 2,20. - Mt 2,19-23 wurde bei der Vigil vor Epiphanias als Evangelium gelesen (vgl. Ordinarium, S. 152, Nr. 583).
3 Gemeint ist der Seelengrund. Zu diesem vgl. oben S. #, Anm. # in Pr. 1. Hier und auch an zwei weiteren Stellen in der vorliegenden Predigt (vgl. unten, 6,4, S. #, Z. #, 18,1, S. #, Z. #) ist im BT vom Seelengrund die Rede, nicht aber in den Handschriften des 14. Jahrhunderts. Er wird in ihnen in der vorliegenden Predigt nur einmal erwähnt (vgl. unten, 11,12, S. #, Z. #).
4 An dieser Stelle ist in den Handschriften des 14. Jahrhunderts nicht von der Natur die Rede. Auch die unten in 13,6, S. #, Z. # folgende schroffe Gegenüberstellung von Gott und Natur findet sich nicht im Handschriftentext. In anderen Predigten Taulers überliefern die frühen Handschriften allerdings durchaus pointiert negative Aussagen über die menschliche Natur (vgl. Pr. 4, Hs. #,#, unten S. #, Z. # sowie S. #, Anm. #).
5 Gemeint ist König Herodes I. von Judäa, der im Jahr 4 v. Chr. starb.
6 Vgl. Mt 2,19f.
7 Gemeint ist Herodes Archelaos, der nach dem Tod seines Vaters Herodes I. im Jahr 4 v. Chr. Ethnarch von Judäa wurde.
8 Vgl. Mt 2,22.
9 Hier und im Folgenden greift Tauler auf die im Mittelalter sehr verbreitete Methode der allegorischen Schriftauslegung zurück.
10 Diese allegorische Auslegung des Kindes findet sich nicht in den Handschriften des 14. Jahrhunderts.
11 Zum mittelalterlichen Inklusenwesen im deutschsprachigen Raum vgl. zusammenfassend Doerr, Institut; Signori, Anchorites. Zu den zahlreichen Klausen in Straßburg und Köln vgl. Pfleger, Geschichte; Asen, Klausen.
12 Mit der nun folgenden Aufzählung der drei Feinde Welt, Fleisch und Teufel greift Tauler hier ebenso wie in Vetter 80, S. 424,21f. einen weit verbreiteten Topos auf. Zu dessen Traditionsgeschichte vgl. Wenzel, Enemies; Mösch, Geburt, S. 262f. Als Beispiele für die Verwendung des Topos vgl. u. a. Bernhard von Clairvaux, Sermones super Cantica Canticorum I,V,9 (Werke 5, S. 62,5-8), Sermo XXIII,2f. (Werke 9, S. 378,20-382,5); Eckhart, Sermo XXXVI,1 n. 364, LW IV, S. 313,7. Anders als in der vorliegenden Predigt wird bei Bernhard und Eckhart allerdings das Fleisch an erster und die Welt an zweiter Stelle genannt.
13 Anders als im BT wird in den Handschriften des 14. Jahrhunderts an dieser Stelle der Teufel nicht erwähnt.
14 In diesem Abschnitt bietet der BT einen viel ausführlicheren Text als die Handschriften des 14. Jahrhunderts.
15 Der hebräische Name Joseph bedeutet "er [Gott] fügt hinzu" (vgl. auch Gn 30,24). Als mutmaßliche Quelle Taulers vgl. die Namensdeutung in Hieronymus, Liber interpretationis hebraicorum nominum (CChr.SL 72, S. 67,20): "augmentum"; vgl. auch ebd., S. 136,4f.; 146,17; 157,5f.; 160,22.
16 Als mutmaßliche Quelle Taulers für diese Namensdeutung, die in der heutigen etymologischen Forschung nicht mehr vertreten wird (vgl. zusammenfassend Zobel, jiśra̅’el, Sp. 988-990), vgl. Hieronymus, Liber interpretationis hebraicorum nominum (CChr.SL 72, S. 75,21): "Israhel est uidere deum siue uir aut mens uidens deum."; vgl. auch ebd., S. 139,22; 152,15f.; 155,20. Der Name Israel wird dabei auf die hebräischen Wörter ’îš ("Mensch"), r’h ("sehen") und ’el ("Gott") zurückgeführt (vgl. auch Hieronymus, Hebraicae quaestiones in libro Geneseos 32,28f. [CChr.SL 72, S. 41,14-18]).
17 Die altägyptisch-koptische Bezeichnung für Ägypten bedeutet "das Schwarze [Land]" (vgl. Schenkel, Ägypten, Sp. 193). Als mutmaßliche Quelle Taulers vgl. die Namensdeutung in Hieronymus, Liber interpretationis hebraicorum nominum (CChr.SL 72, S. 143,28f. und 151,14): "tenebrae uel tribulatio"; vgl. auch ebd., S. 156,25f..
18 Diese nachdrückliche Bekräftigung der vorangegangenen Aussage findet sich nicht in den Handschriften des 14. Jahrhunderts.
19 Zu diesem Sprichwort vgl. Thesaurus proverbiorum 10, S. 103, s. v. Schlafen, 7.1. Nach Thomas von Aquin kann man im Schlaf deshalb nicht sündigen, weil die Vernunft im Schlaf keine Urteilsfreiheit besitze (Summa theologiae II-II, q. 154, a. 5 [Editio Leonina 10, S. 229]): "Omne enim peccatum dependet ex iudicio rationis [...]. In dormiendo autem ratio non habet liberum iudicium [...]. Et ideo id quod agit homo dormiens, qui non habet liberum iudicium rationis, non imputatur ei ad culpam: sicut nec illud quod agit furiosus aut amens." Zu der nur im Handschriftentext enthaltenen präzisierenden Einschränkung der Aussage, dass man im Schlaf nicht sündigen könne, vgl. die weiteren Ausführungen von Thomas ebd. (Editio Leonina 10, S. 229f.), in denen dieser darlegt, dass sich im Schlaf die Folgen vorangegangener Sünden manifestieren können. Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund von Taulers Aussagen vgl. auch Mösch, Geburt, S. 272f.
20 Zur Rezeption des auf Meister Eckhart zurückgehenden mystischen Konzepts der Gelassenheit bei Tauler vgl. Völker, Gelassenheit, S. 281-285, 288-290; Gandlau, Trinität, S. 232f., 285f., 329; Zekorn, Gelassenheit, S. 83-88; Enders, Gelassenheit, S. 361f.; Früh, Zeichen; McGinn, Gelâzen, S. 98-100. Im Handschriftentext werden im vorliegenden Abschnitt anders als im BT auch noch an zwei weiteren Stellen Termini aus dem Begriffsfeld der Gelassenheit verwendet (vgl. Handschriftentext, #,#, S. #, Z. #; #,#, S. #, Z. #).
21 Vgl. Mt 15,14. - Dieser Satz des BT findet sich nicht im Handschriftentext.
22 Mit Subprior, Prior, Provinzial (prior provincialis) und dem nur im Handschriftentext erwähnten Ordensmeister (magister ordinis/magister generalis) werden die Spitzenämter der dominikanischen Ordenshierarchie aufgezählt. Zu diesen Ämtern vgl. Senner, Konsens, S. 386-388.
23 Zu dem Gedanken, dass Gelassenheit auch die klaglose Unterordnung unter die kirchliche Hierarchie impliziert, vgl. auch Vetter 55, S. 255,11-28.
24 Ps 18,10.
25 An dieser Stelle ist in den Handschriften des 14. Jahrhunderts nicht von der Natur die Rede. Vgl. auch oben S. #, Anm. #.
26 Mt 2,21.
27 Vgl. Lc 2,41-50.
28 Vgl. Lc 2,51.
29 Der hebräische Name Juda bedeutet nach Gn 29,35"[Gott] möge gepriesen, bekannt werden" (vgl. auch Görg, Juda, S. 82f.). Als mutmaßliche Quelle Taulers vgl. die Namensdeutung in Hieronymus, Liber interpretationis hebraicorum nominum (CChr.SL 72, S. 67,19): "laudatio siue confessio"; vgl. auch ebd., S. 152,15; 157,4.
30 Vgl. die dem heutigen Stand der etymologischen Forschung nicht mehr entsprechende (vgl. zusammenfassend Gaß, Ortsnamen, S. 12f.) Deutung des Namens Jerusalem in Hieronymus, Liber interpretationis hebraicorum nominum (CChr.SL 72, S. 121,9f.; 146,16; 152,17f.; 154,23; 155,18): "uisio pacis"; vgl. auch ebd., S. 136,5. Der Name wird dabei auf die hebräischen Wörter r’h ("sehen") und ša̅lôm ("Friede") zurückgeführt (vgl. auch Wutz, Onomastica 1, S. 585).
31 Der Ortsname Galiläa lässt sich von der hebräischen Wurzel g-l-l ("rollen") ableiten und dann im Sinne der Substantive ga̅lîl ("Kreis") oder gelîlâ ("Bezirk") verstehen (vgl. Bösen, Galiläa, S. 13-17; Dušek, Galilee). Als mutmaßliche Quelle Taulers vgl. die Namensdeutung in Hieronymus, Liber interpretationis hebraicorum nominum (CChr.SL 72, S. 131,2): "uolubilis siue transmigratio facta"; vgl. auch ebd., S. 140,25.
32 Entsprechend dem Erfüllungszitat Mt 2,23, das auf Is 11,1 Bezug nimmt, lässt sich der Ortsname Nazareth auf das hebräische Wort neṣär ("Spross"; Vulgata: flos) zurückführen (vgl. Riesner, Nazareth, S. 332f.). Als mutmaßliche Quelle Taulers vgl. die Namensdeutung in Hieronymus, Liber interpretationis hebraicorum nominum (CChr.SL 72, S. 137,24f.): "flos aut uirgultum eius uel munditiae aut separata vel custodita"; vgl. auch ebd., S. 142,18.
Matthäus
Anm.: Evangelist
weiterführende Informationen
Josef von Nazaret
Anm.: biblische Person
weiterführende Informationen
Herodes I. Judäa, König
Anm.: König von Judäa
weiterführende Informationen
Herodes Archelaos
Anm.: Ethnarch von Judäa
weiterführende Informationen
Jesus Christus
Anm.: biblische Person
weiterführende Informationen
Eckhart, Meister
Anm.: Dominikaner; Theologe, Philosoph und Mystiker
weiterführende Informationen
Ordinarium juxta ritum sacri ordinis fratrum praedicatorum, hg. von Franciscus-M. Guerrini, Rom 1921Doerr, Otmar, Das Institut der Inclusen in Süddeutschland, Münster i. W. 1934 (Beiträge zur Geschichte des alten Mönchtums und des Benediktinerordens 18)Signori, Gabriela, Anchorites in German-speaking regions, in: McAvoy, Liz Herbert (Hg.), Anchoritic Traditions of Medieval Europe, Woodbridge 2010, S. 43-61Pfleger, Luzian, Zur Geschichte der Inklusen am Oberrhein am Ausgang des Mittelalters, in: Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland 139 (1907), S. 501-513Asen, Johannes, Die Klausen in Köln, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 110 (1927), S. 180-201Vetter, Ferdinand (Hg.), Die Predigten Taulers aus der Engelberger und der Freiburger Handschrift sowie aus Schmidts Abschriften der ehemaligen Straßburger Handschriften, Berlin 1910 ( DTM 11) [Digitalisat]Wenzel, Siegfried, The Three Enemies of Man, in: Mediaeval Studies 29 (1967), S. 47-66Mösch, Caroline F., Daz disiu geburt geschehe. 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(Hg.), Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Bd. 3, Stuttgart u. a. 1982, Sp. 986-1012Schenkel, Wolfgang, Ägypten. I. Allgemein, in: Betz, Hans Dieter u. a. (Hg.), Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, 4., völlig neu bearbeitete Aufl., Bd. 1, Tübingen 1998, Sp. 193f., Kuratorium Singer der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (Hg.), Thesaurus proverbiorum medii aevi. Lexikon der Sprichwörter des romanisch-germanischen Mittelalters, Bd. 10, Berlin/New York 2000Thomas von Aquin, Opera omnia. Iussu impensaque Leonis XIII P. M. edita cura et studio Fratrum Praedicatorum, Bd. 10: Secunda secundae Summae theologiae. A quaestione CXXIII ad quaestionem CLXXXIX, Rom 1899Völker, Ludwig, "Gelassenheit". Zur Entstehung des Wortes in der Sprache Meister Eckharts und seiner Überlieferung in der nacheckhartischen Mystik bis Jacob Böhme, in: Hundsnurscher, Franz / Müller, Ulrich (Hg.), "Getempert und gemischet". 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Generierung, Etablierung, Transformation, Göttingen 2012 (Historische Semantik 17), S. 143-170McGinn, Bernard, Gelâzen/Gelâzenheit from Eckhart to the Radical Reformers, in: Meister-Eckhart-Jahrbuch 13 (2019), S. 89-111Senner, Walter, Konsens, Konflikt, päpstlicher Eingriff. Die "Säuberungsaktion" in der Teutonia 1330-1334, in: Heusinger, Sabine von u. a. (Hg.), Die deutschen Dominikaner und Dominikanerinnen im Mittelalter, Berlin/Boston 2016 (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens. Neue Folge 21), S. 383-401Görg, Manfred, Juda - Namensdeutung in Tradition und Etymologie, in: Bartelmus, Rüdiger / Krüger, Thomas / Utzschneider, Helmut (Hg.), Konsequente Traditionsgeschichte. Festschrift für Klaus Baltzer zum 65. Geburtstag, Freiburg i. Ue./Göttingen 1993 (Orbis biblicus et orientalis 126), S. 79-87Gaß, Erasmus, Die Ortsnamen des Richterbuchs in historischer und redaktioneller Perspektive, Wiesbaden 2005 (Abhandlungen des deutschen Palästina-Vereins 35)Wutz, Franz, Onomastica sacra. Untersuchungen zum Liber interpretationis nominum hebraicorum des hl. Hieronymus, Bd. 1: Quellen und System der Onomastika, Leipzig 1914 (Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur 41,1)Bösen, Willibald, Galiläa als Lebensraum und Wirkungsfeld Jesu. Eine zeitgeschichtliche und theologische Untersuchung, Freiburg i. Br./Basel/Wien 1985Dušek, Jan, Galilee, Galileans. II. Hebrew Bible/Old Testament, in: Allison, Dale C. u. a. (Hg.), Encyclopedia of the Bible and its Reception, Bd. 9, Berlin/Boston 2014, Sp. 911Riesner, Rainer, "Was kann aus Nazareth Gutes kommen?" (Johannes 1,46). Archäologie und Geschichte des Heimatortes Jesu, in: Theologische Beiträge 48 (2017), S. 324-339 [Digitalisat]
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