Predigt Nr. 1 – Vetter 1 – Str1 226-232 (vereinheitlicht); Str2 1-9
Abschnitt 1
[226]
1 40.
aDis ist
a des
Taͧwelers predie von
b dem
winaht tage
cetc.
Abschnitt 2
1 Die bredie
c von drien gebúrten ist genommen usser den
drien messen des winaht tages und seit, wie wir die
drie krefte unserre selen versamelen súllent und ouch
verloͤckenen aller eigenschaft wellendes, begerendes und
wúrckendes.
Abschnitt 3
1 Man beget húte drier leige geburt in der heiligen cristenheit, in
der ein iegelich cristen mensche so grosse weide und wunne solte
nemen, das er rehte von wunnen solte usser im selber springen in
jubilo und in minnen, in dangnemekeit und
d inrelicher froͤide.
2 Und weler mensche des nút in ime bevint, der mag sich woͤrhten
e.
Abschnitt 4
1 Nŭ die erste und die úberste geburt das ist, das der himelsche
vatter gebirt sinen eingebornen sŭn in goͤttelicher wesenlicheit
in persoͤnlicher underscheit.
2 Die ander geburt, die man húte
beget, das ist die muͤterlich berhaftikeit, die geschach megde-
licher kúschekeit in rehter lŭterkeit.
3 Die dirte geburt ist, das
got alle tage und alle stunde wurt werlichen geistlichen geborn
in einre gŭten sele mit gnaden und mit minnen.
Abschnitt 5
1 Dise drie ge-
búrte beget man húte mit den drien messen.
Abschnitt 6
1 Singet
f man in der
[227]vinster naht und get an:
2 "Dominus dixit ad me:
3 Filius meus es
tu,ego hodie genui te."
4 Und dise messe meinet die verborgene
geburt, die geschach in der vinsterre verborgenre unbekanter got-
heit.
Abschnitt 7
1 Die ander messe get an:
2 "Lux fulgebit hodie super nos."
3 Und die meinent
g den schein der gegoͤtteter menschlicher naturen.
4 Und die messe ist ein teil in vinsternisse und ein teil in dem tage;
sú was ein teil bekant und ein teil unbekant.
Abschnitt 8
1 Die dirte messe
singet man in dem claren tage, und die get an:
2 "Puer natus est
nobis et filius datus est nobis."
3 Und meinet die minnecliche ge-
burt, die alle tage und in allen ougenblicken sol geschehen
und geschiht in einre ieklicher gŭter heiligen selen, ob sú sich
derzŭkeret mit warnemende und mit minnen.
4 Wan sol sú diser
geburt in ir bevinden und gewar werden, das muͦs geschehen durch
einen inker und widerker alle ir krefte.
5 Und in diser geburt
wurt ir got also eigen und git sich ir als eigen úber alles das
eigen, das ie oder ie eigen wart.
6 Das wort das sprichet:
7 "Ein kint
ist uns geborn und ein sŭn ist uns gegeben."
8 Er ist unser und
zemole unser eigen und úber alle eigen, er wurt allezit ge-
born on underlas in uns.
Abschnitt 9
1 Von diser minneclichen geburt, die
dise leste messe meinet, von der wellen wir nŭ allererste
sprechen, wie wir herzŭkummen súllen, das die edel geburt in
uns adelichen und fruhtberlichen geschehe.
2 Das sullen wir leren
an der eigenschaft der ersten vetterlichen geburt, da der vatter
gebirt sinen sŭn in der ewikeit.
3 Wan von úberflússikeit des
úberwesenlichen richtŭmes in der gŭti gottes so enmoͤhte er
sich nút inne enthalten:
4 Er muͤste sich ŭsgiessen und gemein-
samen.
5 Wan als
Boecius und sant
Augustinus sprechent:
6 "Dis
gottes nature und sin art ist, das er sich ŭsgiesse."
7 Und alsus
hat der vatter sich usgegossen an dem usgange der goͤttelichen
personen
h.
8 Und vor hat er sich entgossen an die creature
i.
9 Darumb
sprach sant
Augustinus:
10 "Wan got gŭt ist, darumb sin wir.
11 Und
als, daz alle creaturen guͦtz hant, daz ist alles von der we-
senlichen guͤti gottes."
Abschnitt 10
1 Allein weles ist nŭ die eigenschaft, die
wir an der vetterlichen geburt merken und leren súllen?
2 Der
vatter an siner persoͤnlicher eigenschaft so kert er
j in sich
selber mit sime goͤttelichen vinsternisse
k und durchsihet sich
selber in clarem verstan den
l wesenlichen abgrunde sins ewigen
[228]wesens.
3 Und von dem blossen verstane sin selbes so sprach er
sich alzŭmole ús.
4 Und das wort ist sin sŭn, und das bekennen
sin selbes, das ist das geberen sins sŭnes in der ewikeit.
5 Er ist
inne blibende in wesenlicher einikeit und ist ŭsgonde an persoͤn-
lichem underscheide.
6 Alsus get er in sich und bekennet sich
selber, und er get danne usser sich in geberenne sin bilde, das
er da bekant und verstanden hat,
mund persoͤnliche underscheit
mund get denne wider in sich in vollekomene behegenlicheit
sin selbes.
7 Die behegenlicheit flússet ŭs in ein unsprechen-
liche minne, das do ist der heilige geist.
8 Alsus blibet er
inne und get us und got wider in.
9 Darumb sint alle usgenge
umb die widergenge
n.
10 Darumb ist des himmels loͧf alre eldeste
ound vollekomenste
p, wan er aller eigenlicheste wider in sinen
ursprung und in sinen begin get, da er ŭsgieng.
11 Alsus ist des
menschen louf alre edelste und aller vollekomenste, wanne
q aller
eigenlicheste wider in sinen ursprung get.
Abschnitt 11
1 Nŭ die eigenschafte,
die der himelsche vatter hat an sime ingange und an sime usgange,
die eigenschaft sol oͧch der mensche an ime haben, der ein geistliche
mŭter wil werden diser goͤttelichen geburt.
2 Er sol alzŭmole in
sich gon und denne usser sich gon.
3 Also wie?
4 Die sele hat drie
edele krefte, in den
r ist sú ein wor bilde der heiligen drivalti-
keit:
5 gehúgnisse, verstentnisse und frige wille.
6 Und úbermitz
disen kreften so ist sú gotz griffig unde enpfenglich, das sú als
des enpfenglich mag werden, das got ist und hat und geben mag,
und ist úbermitz dis sehende in ewikeit.
7 Wan die sele ist
geschaffen zwuschent zit und ewekeit.
8 Nŭ mit irme oͤbersten
teile so gehoͤret sú in ewigkeit und mit irme nidersten teile
so gehoͤret sú in die zit, mit iren sinnelichen, vihelichen
kreften.
Abschnitt 12
1 Nŭ ist die sele beide mit iren úbersten und nidersten
kreften ŭsgelouffen in die zit und in die zitlichen ding, umb
die sipschaft, die die obersten zuͦ den nidersten hant, so ist
der loͧf ir sere geringe und bereit uszuͦloͧffende in die sinnelichen
ding und enget der ewigkeit.
2 Entrŭwen, es mŭs von not ein
widerloͧf geschehen, sol dise geburt geborn werden.
3 Do mŭs
ein kreftig inker geschehen, ein inholn, ein indewendig
versamenen aller krefte, der nidersten und der oͤbersten, und
da sol werden ein vereinunge von aller zerstrowunge, also
[229]alle vereinete ding sint kreftiger.
Abschnitt 13
1 Also ein schutze ein zil
wil eben treffen, so tŭt er ein ouge zŭ, das daz ander deste
nauwer gesehe.
2 Der ein ding wil tieffe merken, der tŭt
alle sine sinne derzuͦ und twinget sin sinne uf ein in die sele,
do sú us sint geflossen, als alle die zwige kumment us dem
stamme des boͧmes.
3 Als alle die krefte versament sint, sinne-
lichen und guͤnlichen und beweglichen krefte, in die oͤbersten,
in den grunt - dis ist der ingang -, denne sol do geschehen ein
ŭsgang, ja ein úbergang usser ime selber und úber in.
4 Do sullen
wir verloigenen aller eigenschaft wellens und begerens und
wurkens.
5 Denne do sol bliben ein blos lŭter meinen got
s und
des sinen nút eigens in dekeinre wise nút zŭ sine oder zŭ
werdende oder zŭ gewinnende, denne aleine zŭ sine und im
stat ze gebenne uf das hoͤhste und uf daz nehste, das er sins
werkes und sinre geburt in dir bekummen múge und von dir des
ungehindert werde.
6 Wan wenne zwei soͤllent ein werden, so
mŭs sich das ein halten lidende und das ander wurkende.
7 Sol
min ouge enpfohen die bilde in der want oder waz es sehen sol,
so mŭs es an im selber blos sin aller bilde, wan hette es
t einig
bilde in im einiger varwen, so gesehe es niemer kein varwe.
8 Oder hat das ore ein getoͤne, so gehort es niemer enkein
getoͤne.
9 So welich dinge enphahen sol, das muͦs itel, lidig und
wan sin.
10 Danabe sprach sant
Augustinus:
11 "Gús ús, das duͦ múgest
erfúllet werden.
12 Gang ús, uf das dŭ múgest ingan."
13 Und sprach
ouch anderswo:
14 "O dŭ edele sele, o
u edele creature, was gest dŭ us
dir sŭchen den, der alzŭmole und allerwerlicheste und bloͤslicheste
in dir ist?
15 Und sit daz du bist teilhaftig goͤttelicher nature,
was hestŭ denne ze tŭnde oder ze schaffende mit allen creaturen?"
16 Wenne der mensche alsus die stat, den grunt bereitete, so ist
kein zwifel do an, got muͤsse do alzemole erfullen.
17 Der himel
risse e und erfúllete das itel!
18 Und got lot nŭ
v vil minre die
ding itel:
19 Es wer wider alle sin nature und wider sin gerehti-
keit.
20 Und darumb soltŭ swigen, so mag dis wort diser geburt
in dich sprechen und in dir gehoͤrt werden.
21 Aber sicher:
22 Wiltŭ
sprechen, so mŭs er swigen.
23 Man enmag dem worte nút bas ge-
dienen denne mit swigende und mit losende.
24 Gast dŭ nŭ alzuͦmole
us, so got er on allen zwifel zŭmole in, weder minre noch merre
[230]denne als vil us als vil in.
Abschnitt 14
1 Von disem usgange vinden wir ein
glichnisse in her
Moyses buͦche, das got
Abraham hies gon us
sinem lande, usser sime geslehte, er wolte ime zoͤigen alles guͦt.
2 Alles guͦt das ist dise gotteliche geburt, die ist alleine alle
w guͦt.
3 Sin lant oder sin ertrich, usser dem er solte, das ist der licham
in aller genuͤgeden und unordenunge.
4 Die moge, das meinen wir
die neigunge der sinnelicher krefte und ir bildunge, die in noch
in ziehen und sleiffent.
5 Ouch bringent sú in bewegunge liebes
und leides, froͤide und trurikeit, begerunge und vorhte, sorgvel-
tikeit unde lihtmuͤtikeit.
6 Dise moge die sint uns gar nohe sippe,
der sol man gar nauwe warnemen, das man ir zŭmole usge,
sol erzoiget werden alles gŭt, das dise geburt in der worheit ist.
Abschnitt 15
1 Man sprichet:
2 "Ein heime gezogen kint das ist usse als ein rint."
3 Daz ist in disem war, wan die menschen, die nút sint ŭsgegangen
irs heimen, noch nút
x sint úbergegangen úber die nature noch
uber das, die sinne moͤhtent bringen, sehende oder hoͤrende oder
fuͤlende oder bewegede, die disem heim und allem heim natur-
licher dinge nút sint úber und ŭsgegangen, die
y sint rehte
als rinder oder als kelber zŭ verstande zŭ disen hohen goͤt-
lichen dingen.
4 Also ist ir indewendig grunt reht als ein isenin
berge, do nie kein lieht in geschein
z.
5 Wenne in die sinnelicheit
enget
aa, die bilde und formen, so wissent und gefuͤlent sú nút me.
6 Dise sint noch doheime, darumb bevindent sú diser geburt nút.
7 Von disen sprach
Cristus:
8 "Wer durch mich lot vatter, mŭter
ab und
acker, der sol hundert werbe als vil wider nemen
ac und darzŭ
das ewige leben."
Abschnitt 16
1 Nŭ han wir gesprochen von der ersten und lesten
geburt, wie wir in der lesten an der ersten sullent lere nemen.
2 Nŭ wellen wir sú ouch wisen an die mittelste geburt, das der
gottes sun als hinaht geborn ist von der mŭter und unser brŭder
ist worden.
3 Er wart in der ewikeit geborn sunder mŭter und
in der zit sunder vatter.
4 Sant
Augustinus sprach:
5 "
Maria was
vil seliger von dem, das got geistlichen in ir sele geborn was,
denne das er liplich von ir geborn wart."
6 Wer nŭ wil, das
dise geburt in sinre selen edellichen und geistlichen werde geborn
als in
Marien selen, der sol warnemen der eigenschaft, die
Maria an ir hatte, die mŭter was liplichen und geistlichen.
7 Sú was ein lŭter maget, ein jungfroͤwe, und sú was ein
[231]verlobete, ein vertrŭwete jungfroͧwe.
8 Und sú waz ingeslossen
adund allein
ad, abgescheiden, wan der engel gieng zŭ ir
ae.
9 Und alsus
sol ein geistlich muͦter gottes diser geburt sin:
10 Sú sol sin
lŭter reine maget.
11 Ist sú wol ettewenne gewesen us der
luterkeit, so sol sú nŭ widerkeren, so wurt sú wider reine
und magtlich.
12 Ein maget betútet also vil, als
af das ŭswert un-
frŭhtber ist und von innen vil frúhte hat.
13 Also sol dise maget
ir ussere minne zŭsliessen und nút vil gewerbes damitte han,
nút vil frúht domitte bringen.
14 Maria endoͤwete nút wan
zŭ gottelichen dingen.
15 Indewendig sol sú vil frúhte haben.
16 "Alle die zierde des kúnges tohter die ist aller
ag von innen."
17 Alsus
sol dise juncfrouwe in abegescheidenheit sin, alle ir sitten, ir
sinne, ir gelas alles inwert
ah.
18 So bringet sú vil frúhte und
grosse frúht:
19 gotte selber, gottes sŭn, gottes wort, das alle
ding ist und treit in im.
20 Maria was ein vertrŭwete jung-
froͧwe.
21 Also sol dise sin getrŭwet noch sant
Paulus lere.
22 Dŭ solt dinen wandelberen willen insenken in den goͤttelichen
willen, der unbewegenlich ist, das
aidin krangheit helfe
ai.
23 Mariawas ouch ingeslossen.
24 Also sol ouch dise dirne gottes sin in-
geslossen, ob sú dise geburt wil in der worheit in ir bevinden,
doch nút allein von zitlichen usloͧffungen, die ettewas ge-
brestlich schinet
aj, sunder ouch von sinnelicher uͤbunge der
tŭgende.
25 Und sol ein raste, ein stille in ir machen und
ak in
sich sliessen und
al den sinnen
amin der naturen
am sich verbergen
und verteilen
an und entslieffen
ao etzwie dicke und machen in ir
ein stillenisse, ein inreliche raste.
26 Hievon sol men singen
in dem nehesten sunnentag in dem anhebende der messe:
27 "Dum
medium silencium fieret."
28 "Do das mittel swigen wart und alle
ding in dem hoͤhesten swigene warent und die naht iren
louf vollebraht hette, herre, do kam din almehtige rede von
dem kuniglichen stule."
29 Das was das ewige wort von dem vet-
terlichen hertzen.
30 In disem mittel swigende, in disem do alle
ding sint in dem hoͤhsten swigende und ein war silencium ist,
denne wurt man dis wort in der worheit hoͤrende, wan sol
got sprechen, dŭ mŭst swigen.
31 Sol got ingon, alle ding
muͤssent ŭsgon.
32 Do unser herre
Jhesusap ingieng in
Egipten, do
vielent alle die abgoͤtte dernider
aq, die in dem lande
[232]warent.
33 Das sint din abtgoͤtte:
34 alles, daz dich irret des woren
unmittellichen inganges diser ewiger geburt, es si wie gŭt
oder heilig es schine.
35 Unser herre
Jhesus sprach:
36 "Ich bin
kummen zŭ bringende ein swert, zŭ scheidene als, daz
dem menschen zŭgehoͤret, mŭter, swester, bruͦder."
37 Wan was
dir heimelich ist, das ist din vigent,
arder manigvaltiger
ar bilde,
die dis wort in dir bedeckent und úbergent
as.
38 Allein so ist dir
doch nút benemmet dise raste.
39 Allein sú alle zit nút mag
gesin, so sol sú doch ein geistliche mŭter diser geburt
at.
40 Die sol dis mittel swigen in ir dicke und dicke
au in ir eine gewon-
heit machen, das ir
av die gewonheit ein habet in ir mache.
41 Wan das eim wol geuͤbeten menschen als nút ist, das dunket
einen ungeuͤbeten menschen sin zŭmole unmuͤgelich, wan gewon-
heit machet kunst.
Abschnitt 17
1 Das wir nŭ alle diser edeler geburt
und
aw gerŭm in uns geben, das wir wore geistliche mŭter werden,
des helfe uns got.
2 Amen.