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610 Wanschura, Karl (1867-1949)

Die Sonette Shakespeares von Franz Bacon geschrieben (Wien: Staatsdruckerei; Leipzig: Reisland, 1930), 39 S.

22 Sonette (in Prosa):1, 7, 20, 21, 22, 23, 29, 38, 39, 55, 61, 65, 81, 85, 87, 96, 125, 133, 134, 141, 143, 144.

In der Reihenfolge: 22, 23, 39, 144, 133, 134, 20, 21, 1, 7, 65, 55, 38, 61, 81, 85, 29, 87, 125, 96, 141, 143

Aus dem Beitrag (S. 39-40):

"Der Stratforder Naturbursche und spätere Schauspieler William Shakespeare kann nicht der Verfasser der seinen Namen tragenden Sonette sein, denn diese Gedichte sind wie wir gesehen haben, von einem Manne geschrieben, der in bereits vorgeschrittenen Jahren noch unverheiratet und kinderlos war, der sich selbst zu den Gelehrten, das heißt zu den wissenschaftlich Gebildeten, rechnete und daher in Universitätsmann war, und der schließlich von sich bekanntgibt, daß er der Sohn der Königin Elisabeth gewesen ist; lauter Tatsachen, die mit der Person des Stratforders nicht in die entfernteste Beziehung gebracht werden können.

Dieser ist vielmehr, wie schon aus den Sonetten hervorgeht, ein bloßer Strohmann des wahren Dichters, der sich eben des Namens Shakespeare als seines Pseudonyms bediente.
Der wahre Verfasser aber ist Franz Bacon, Baron von Verulam und Vizegraf von St. Albans, der große Philosoph, Redner und Staatsmann, der als Lordkanzler einer Parlamentsintrige zum Opfer gefallen ist und wegen Geschenkannahme in Amtssachen, die damals gang und gäbe war, als Sündenbock geopfert, seines Amtes für verlustig erklärt und mit schweren Strafen belegt wurde, die allerdings nie zum Vollzuge gelangten. Daß nur Bacon der Verfasser sein kann, geht zu vollen Evidenz nicht bloß aus der Tatsache hervor, daß jene drei Ausschließungsgründe, die gegen die Person des Stratforder Naturburschen als Verfasser der Sonette sprechen, bei ihm nicht zutreffen. Die Identität unseres Dichters mit Bacon wird vielmehr dadurch bewiesen, daß die einzig in der Welt dastehenden metaphysischen Ideen, die rosenkreuzerischen Symbole, die verschiedenen wissenschaftlichen Ansichten, die politische, kulturelle und religiöse Einstellung, insbesondere aber auch der Stil und die Spracheigentümlichkeiten des Dichters Shakespeare mit denen des Philosophen und Staatsmannes Bacon in einer Art und Weise übereinstimmen, wie sie nur möglich ist, wenn wir es mit ein und derselben Persönlichkeit zu tun haben. Es ist ausgeschlossen, daß man vielleicht einen oder den anderen dieser Gedanken oder Ausdrücke auch bei einem anderen Schriftsteller seiner Zeit finden mag, alle diese oft merkwürdigen und absonderlichen Ideen, Sätze und Worte zusammengenommen bilden aber eine solche eindeutige Einheit, daß man zur sicheren Überzeugung kommen muß, daß sie nur einem Griffel und einem Geiste, eben jenem Bacon, entsprungen sein können. Die Einwendungen, denen man öfter begegnet, daß nur ein guter Mensch auch ein großer Dichter und Denker sein könne, was bei Bacon nicht zutreffe, oder daß man sich sein Ideal, das man sich von seiner Stratforder Größe gemacht habe, nicht nehmen lassen wolle, sind an sich kindisch und stehen zudem mit der Tatsache in Widerspruch, daß Bacon zwar ein schwacher, aber ein guter und nur zu guter Mensch war, und daß er es sicherlich in moralischer Beziehung mit dem Stratforder Strohmann jederzeit aufzunehmen imstande war.
Wenn manche Zweifler auf den Umfang der philosophischen und politisch-juristischen Werke hinweisen, die Bacon unter seinem wirklichen Namen geschrieben hat, und wenn sie dann meinen, daß er daneben nicht auch die poetischen Werke verfaßt haben könne, die den Namen seiner Strohmänner tragen, so muß demgegenüber betont werden, daß alle seine Werke zusammengenommen kaum das Doppelte der Shakespeare-Dramen übersteigt und daher dem Umfange nach z. B. die Lebenswerke eines Lope de Vega, eines Voltaire oder eines Goethe bei weitem nicht erreichen. (S. 39-40)

Rezensionen:

Eduard Eckhardt, Deutsche Literaturzeitung, 52 (1931), Sp. 649-651.

Réne Prouvost, Revue critique d'Histoire et de Littérature , 65 (1931), S. 74-75.

Online verfügbar.

Literatur:

Ernst Groth, "Shakespeares Sonette", Beiblatt zur Anglia, 42 (1931), 108-112.

Egon Mühlbach, "Englische und amerikanische Sprache und Literatur", Literarisches Zentralblatt für Deutschland, 81 (1930), S. 1426.