Auswahl: Übersetzer

340 Guttmann, Dr. [Otto] (Lebensdaten unbekannt)

"Probe einer Uebersetzung Shakespearescher Sonette", in: Programm des Königlichen Gymnasiums zu Hirschberg (Hirschberg: Pfund, 1874), Teil B, S. 6-15.

31 Sonette: 12, 27, 31, 33, 50, 52, 54, 55, 59, 60, 61, 62, 71, 73, 75, 76, 91 fälschlich mit 12 überschrieben, 98, 102, 111, 114, 116, 128, 130, 132, 138, 140, 144, 148, 150, 153.

In der Reihenfolge 12, 31, 27, 33, 50, 54, 52, 55, 59, 61, 60, 62, 71, 75, 73, 76, 91, 102, 98, 111, 114, 128, 116, 130, 132, 140, 138, 144, 148, 150, 153

Beitrag (S. 6-7): [entspricht Einleitung zu den Sonetten]

Es möge mir erlaubt sein, der Uebertragung einiger Shakespearescher Sonette einige Worte vorauszuschicken. Im Laufe dieses Schuljahrs trat unerwartet, wegen Kränklichkeit des eigentlich dazu berufenen Herrn Collegen, die Forderung an mich heran, die Abfassung des Programms zu übernehmen, und obwohl ich nicht vorbereitet war, oder, wie wohl der technische Ausdruck in diesem Falle lautet, eine größere philologische Arbeit nicht parat hatte, wollte es mir nicht gelingen, mich dieser "Ehrenpflicht" zu entziehen. So ward ich zum Schriftsteller wider Willen.
Besonders verdrießlich war es mir, das Studium des Englischen, das mich seit einiger Zeit gefesselt hielt und mir lieb geworden war in dem Umhersuchen nach einer vielleicht völlig fruchtlosen philologischen Gelegenheitsarbeit unterbrechen zu sollen, und so entschloß ich mich kurz zu dem Wagniß, lieber einige, wenn auch möglicherweise mangelhafte Früchte meiner englischen Lectüre, zu veröffentlichen, in der Annahme, daß das, was mir selbst Vergnügen gewährt hatte, vielleicht auch anderen einiges Interesse einzuflößen vermöchte. Außerdem hielt ich mich für einigermaßen entschuldigt, daß ich trotz meines Charakters als klassischer Philologe in diesem Falle davon Abstand nahm, meinen kritischen Scharfsinn oder meine Uebersetzungskunst dem klassischen Alterthum zu widmen, wenn ich bedachte, welch erstaunliche Summe kritischen Scharfsinns bereits darauf verwandt worden ist und noch täglich verwandt wird, und welche Fülle von Uebersetzungen der auch nur irgendwie bedeutenderen Werke des Alterthums bereits existirt, wie wenig oder gar nichts sie auch für das deutsche Publicum geworden sind. In der That ist, auch abgesehen von den Schwierigkeiten des Inhalts, die Differenz der poetischen Formen des Alterthums und der modernen Zeit derartig, daß es nur ausnahmsweise gelingen kann, sie so zu überwinden, daß die deutsche Uebertragung dem Original conform bliebe und doch den Anschein gewährte, daß sie in solcher Weise von einem deutschen Dichter hätte gedichtet werden können. Wie sehr auch die Vortrefflichkeit der Uebertragung selbst der schwierigsten Partien, äschyleischer und aristophanischer Chöre durch Wolf, Droysen u. A. anerkannt werden mag, im Großen und Ganzen tragen sie durchaus den Stempel des Fremden an sich und werden dem deutschen Volke niemals gleichwertig mit den Productionen eigener Dichter erscheinen. Ich habe mich früher in der Uebersetzung einiger Poesien der subjectiven Lyrik versucht, als derjenigen Dichtungsart, die unserem modernen Empfinden am nächsten kommt, und gebe als Probe die Uebertragung eines anacreontischen Liedchens in trochäischen Tetrametern.
Пωλε θρηχίη, τί δή με λοξου όμασι βλέπουϭα
Thrakisch Rößlein, warum siehst du so mit scheuem Aug' mich an,
Fliehest trotzig, scheint zu meinen, ich sei nicht der rechte Mann?
Wisse, schön will ich den Zügel legen um den schlanken Bug,
Mit dem Fuße fest im Bügel lenken dich in schnellem Flug.
Jetzt beweidest du die Fluren, spielst und springst im Sonnenlicht,
Denn noch kennst du ja die Sporen, noch des Reiters Schlachtruf nicht.
Aber hier tritt der Mangel der Ueberlieferung und die Lückenhaftigkeit und Verderbtheit des Textes im Allgemeinen so hindernd entgegen, daß das Unternehmen, in den meisten Fällen ein hoffnungsloses wird. Freilich habe ich mir nie verhehlt, daß auch mein Unternehmen kein geringes ist, und mehr als einmal habe ich Mißtrauen gegen meine Kräfte davon Abstand zu nehmen zu müssen geglaubt, denn vollständig wahr dünken mich die Worte Fr. Bodenstedt's, des bedeutendsten Uebersetzers Shakespearescher Sonette. "Einen Shakespeare zu übersetzen ist wahrlich keine leichte Aufgabe, und unter allen Werken des großen Dichters bieten eben seine Sonette die größten Schwierigkeiten dar. Keinem Uebersetzer wird es gelingen, sein erhabenes Vorbild ganz zu erreichen, und doch muß das als Ziel jedem vorschweben, obwohl gerade diejenigen, welche dies Ziel am festesten im Auge behalten, auch am besten einsehen werden, wie weit sie dahinter zurückbleiben müssen." Das, was mir den Muth gab, den Uebersetzungen dieses berühmten Dichters und Anderer meine zur Seite zu stellen, will ich in Kürze berühren. Als ich vor längeren Jahren, um mich mit allem, was Shakespeare geschrieben, bekannt zu machen, die Bodenstedt'sche Uebersetzung eifrig studirte, war es mir ärgerlich, öfter zu keinem rechten Verständniß gelangen zu können, wie sehr ich auch den Fluß der Sprache und die Schönheit der Bilder bewundern mochte. Und doch ist es meiner Ueberzeugung nach das erste Erforderniß eines Gedichtes, daß es sich leicht und rasch dem Verständnis erschließe, sonst wird es niemals die wahrhaft poetische Kraft bewähren können, das Herz mit mächtigen Empfindungen, die Phantasie mit lebhaften Bildern zu erfüllen.
Freilich, wer diesem Zweck nachgeht, wird manchen Schmuck, womit ein Meister der Rede, wie Shakespeare, unbeschadet der Deutlichkeit seine Verse durchflicht, aufgeben müssen, er wird sich öfter genöthigt sehen, weiter vom Wortlaut des Textes abzuweichen und ein Bild durch ein anderes, näher liegendes zu ersetzen oder ganz fallen zu lassen. "Eine allgemein giltige Uebersetzungsmethode läßt sich nicht feststellen, mehr oder minder wird jeder nach dem Maße seiner Einsicht und Begabung sich seine eigene Methode bilden, welche ihm für die Lösung seiner Aufgabe am geeigneststen scheint." Diesen Worten Bodenstedt's bin ich auch gefolgt und, glaube ich, wird jeder folgen, der sich selbstständig dieser Aufgabe unterziehen will. Ein anderer Punkt, der mir bisher nicht genügend in der Uebertragung hervorgetreten zu sein scheint, ist der epigrammatische Charakter der Shakespeareschen Sonette. Bodenstedt findet es für nöthig, sich gewissermaßen zu entschuldigen, die Sonette nicht sämmtlich in die hauptsächlich durch Rückert und Platen bei uns eingebürgerte strengere Form Petrarka's gegossen zu haben, sondern sich bei den meisten dieselbe Freiheit wie Shakespeare genommen zu haben, "wo der Regel nach die vierzehn Verszeilen, welche ein Sonett bilden, dergestalt gegliedert sind, daß man die zwölf ersten Verse in drei vierzeilige Strophen mit gleichmäßig wechselnden Reimen sondern kann, worauf dann die zwei letzten Verse als abschließendes Reimpaar folgen."
Diese Entschuldigung ist vollständig unangebracht, denn dieses abschließende Reimpaar verleiht eben den Shakespeareschen Sonetten ihren eigenthümlichen epigrammatischen Charakter, indem es in zugespitzter Form den abschließenden Gedanken hervorhebt, und es dünkt mich unmöglich, diese Pointe mit gleicher Schärfe in der sogenannten strengeren Form zur Geltung kommen zu lassen. Endlich habe ich mich bemüht, in der Anwendung des Reims möglichst dem Originale treu zu bleiben, der auch darin weit von der italienischen, bei uns üblichen Form abgeht, daß er als englischer Dichter den männlichen Reim durchaus vorwalten läßt. Freilich wächst dem Uebersetzer bei der Armut des Deutschen an Reimen und namentlich an männlichen Reimen, gegenüber der Fülle klingender Reime im Englischen, keine geringe Schwierigkeit zu, dennoch scheint mir in der modernen Lyrik die Art des Reimes von so großer Bedeutung für die lautliche Wirkung eines Gedichtes, daß sie in der Uebersetzung möglichst festgehalten werden muß, wenn anders eine dem Original gleichartige Wirkung erzielt werden soll.
In der Reihenfolge der Gedichte bin ich der englischen Ausgabe gefolgt und habe der besseren Orientirung halber die Zahlen der Bodenstedt'schen Uebersetzung hinzugefügt und gewissermaßen als Ueberschrift die erste Zeile des Urtextes.
Die Versuche, den poetischen Zusammenhang der Sonette durch eine neue Ordnung derselben herzustellen, haben gewiß ihre Berechtigung, aber wie klar auch der Inhalt einzelner eine Zusammengehörigkeit nachweist, so kann doch das Bestreben, einen inneren Zusammenhang aller herauszufinden, leicht zu weit führen und einer bodenlosen Interpretirungskunst Raum geben, wie es ja bereits vielfach geschehen ist. Da wir nicht einmal mit Sicherheit wissen, ob der schöne und adlige Jüngling, an den der größte Theil der Sammlung gerichtet ist, wirklich der Graf von Southampton ist, und von keiner andern Person, welche der Dichter in den Sonetten besingt, die geringste authentische Kenntniß haben, so ist es ein reines Phantasiren, die Sonette in persönliche und dramatische sondern und daraus einen völligen Liebesroman des Grafen Southampton herausspinnen zu wollen. Dergleichen Interpretationskünste können die klare Auffassung nur beeinträchtigen und in keiner Weise Vortheil bringen. Ich habe jedes Sonett einzeln für sich als besonderes Gedicht betrachtet, und glaube, daß jedes einzelne für sich ein abgeschlossenes Ganze bilden muß, wenn es Anspruch auf Kunstwerth erheben soll.